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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Aufhebung der Herzens- und Geistesversklavung, Befreiung
unserer verschütteten, schüchternen, süssesten vox humana:
Geistige Einheit der Nation. In Wagners Musik lebten die
Baader, Novalis und Hölderlin fort; lebte der Geist der Beet-
hoven und Suso. Die materielle, wirtschaftliche, äussere Ein-
heit hatte Bismarck gesucht; mit Pöbelmethoden, grässlich
und gröblich. Die innere, geistige, höhere Einheit galt es zu
suchen und finden.

Nietzsche kam aus der besten Schule: Schopenhauers
und Wagners, zweier Kirchenväter der Romantik; zweier
der menschlichsten, unerschöpflichsten Geister, die die Nation
hervorgebracht hat. Die pessimistische Absage Schopen-
hauers rührte und leitete ihn; dessen herb nach innen
gerichteter Ueberschwang. Was war denn Schopenhauers
Pessimismus, wenn nicht die Enttäuschung eines fanatischen
Wahrheitsfreundes, der den Schwindel einer selbstherrlichen
Welt voller Illusionen, einer Welt voll goldener Herzen
und gemeinsten Philistertums durchschaute? 114). Wer hat
die "Kultur" und das neue deutsche Reich Hegel'scher
Provenienz mit seinem Kraft- und Geistprotzentum so
gründlich abgelehnt wie er? Wer den allgemeinen Taumel
zu Genuss so bissig und unbarmherzig gegeisselt? Mag
Mehring ihn immer nach seiner Parteischablone den "Phi-
losophen des geängstigten Spiessbürgertums" nennen 115).
Schopenhauer wusste um einen Begriff, der leider der
deutschen Entwicklung verloren ging: den der Hybris, der
Sünde und Schuld; und er wusste um einen Heroismus,
der die ganze teutsche Sozialdemokratie begräbt, den
Heroismus des Heiligen und des Asketen 116). Schopenhauer
hätte nicht Kriegskredite bewilligt, Schopenhauer nicht die
geistige Einheit der nationalen und politischen geopfert,
und nicht die menschliche Einheit der nationalen. Und
Schopenhauer hatte eine Gemeinde. Die junge intellek-
tuelle Partei seiner Zeit, auf seinen Namen schwor sie den
"ruchlosen Optimismus" ab, der 1871 seine Saturnalien

Aufhebung der Herzens- und Geistesversklavung, Befreiung
unserer verschütteten, schüchternen, süssesten vox humana:
Geistige Einheit der Nation. In Wagners Musik lebten die
Baader, Novalis und Hölderlin fort; lebte der Geist der Beet-
hoven und Suso. Die materielle, wirtschaftliche, äussere Ein-
heit hatte Bismarck gesucht; mit Pöbelmethoden, grässlich
und gröblich. Die innere, geistige, höhere Einheit galt es zu
suchen und finden.

Nietzsche kam aus der besten Schule: Schopenhauers
und Wagners, zweier Kirchenväter der Romantik; zweier
der menschlichsten, unerschöpflichsten Geister, die die Nation
hervorgebracht hat. Die pessimistische Absage Schopen-
hauers rührte und leitete ihn; dessen herb nach innen
gerichteter Ueberschwang. Was war denn Schopenhauers
Pessimismus, wenn nicht die Enttäuschung eines fanatischen
Wahrheitsfreundes, der den Schwindel einer selbstherrlichen
Welt voller Illusionen, einer Welt voll goldener Herzen
und gemeinsten Philistertums durchschaute? 114). Wer hat
die „Kultur“ und das neue deutsche Reich Hegel'scher
Provenienz mit seinem Kraft- und Geistprotzentum so
gründlich abgelehnt wie er? Wer den allgemeinen Taumel
zu Genuss so bissig und unbarmherzig gegeisselt? Mag
Mehring ihn immer nach seiner Parteischablone den „Phi-
losophen des geängstigten Spiessbürgertums“ nennen 115).
Schopenhauer wusste um einen Begriff, der leider der
deutschen Entwicklung verloren ging: den der Hybris, der
Sünde und Schuld; und er wusste um einen Heroismus,
der die ganze teutsche Sozialdemokratie begräbt, den
Heroismus des Heiligen und des Asketen 116). Schopenhauer
hätte nicht Kriegskredite bewilligt, Schopenhauer nicht die
geistige Einheit der nationalen und politischen geopfert,
und nicht die menschliche Einheit der nationalen. Und
Schopenhauer hatte eine Gemeinde. Die junge intellek-
tuelle Partei seiner Zeit, auf seinen Namen schwor sie den
„ruchlosen Optimismus“ ab, der 1871 seine Saturnalien

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[223/0231] Aufhebung der Herzens- und Geistesversklavung, Befreiung unserer verschütteten, schüchternen, süssesten vox humana: Geistige Einheit der Nation. In Wagners Musik lebten die Baader, Novalis und Hölderlin fort; lebte der Geist der Beet- hoven und Suso. Die materielle, wirtschaftliche, äussere Ein- heit hatte Bismarck gesucht; mit Pöbelmethoden, grässlich und gröblich. Die innere, geistige, höhere Einheit galt es zu suchen und finden. Nietzsche kam aus der besten Schule: Schopenhauers und Wagners, zweier Kirchenväter der Romantik; zweier der menschlichsten, unerschöpflichsten Geister, die die Nation hervorgebracht hat. Die pessimistische Absage Schopen- hauers rührte und leitete ihn; dessen herb nach innen gerichteter Ueberschwang. Was war denn Schopenhauers Pessimismus, wenn nicht die Enttäuschung eines fanatischen Wahrheitsfreundes, der den Schwindel einer selbstherrlichen Welt voller Illusionen, einer Welt voll goldener Herzen und gemeinsten Philistertums durchschaute? ¹¹⁴⁾ . Wer hat die „Kultur“ und das neue deutsche Reich Hegel'scher Provenienz mit seinem Kraft- und Geistprotzentum so gründlich abgelehnt wie er? Wer den allgemeinen Taumel zu Genuss so bissig und unbarmherzig gegeisselt? Mag Mehring ihn immer nach seiner Parteischablone den „Phi- losophen des geängstigten Spiessbürgertums“ nennen ¹¹⁵⁾ . Schopenhauer wusste um einen Begriff, der leider der deutschen Entwicklung verloren ging: den der Hybris, der Sünde und Schuld; und er wusste um einen Heroismus, der die ganze teutsche Sozialdemokratie begräbt, den Heroismus des Heiligen und des Asketen ¹¹⁶⁾ . Schopenhauer hätte nicht Kriegskredite bewilligt, Schopenhauer nicht die geistige Einheit der nationalen und politischen geopfert, und nicht die menschliche Einheit der nationalen. Und Schopenhauer hatte eine Gemeinde. Die junge intellek- tuelle Partei seiner Zeit, auf seinen Namen schwor sie den „ruchlosen Optimismus“ ab, der 1871 seine Saturnalien

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/231>, abgerufen am 25.11.2024.