Die Romantik Bismarcks ist von der üblichen Romantik etwas verschieden. Sie ist eine junkerliche Romantik. Von all den abenteuerlichen geistigen Exkursionen seiner Zeit, die instinktiv zurück zum Mittelalter strebte, blieb ihm allein der Machtgedanke jener frühen Kaiser, der Scharf- richterglaube an die gewaltsame Lösung von Konflikten, die Shakespearewelt voll monströser Intrige, der Glaube an Blut und Eisen als Universalmittel politischer Kuren; und so selbstbewusst er gegen die Ideologen, Träumer und Phantasten auftrat, so sehr blieb er seiner junkerlichen Kraft-, Rauf- und Zechromantik treu 96). Das Raubritter- und Vasallentum, der blutige Sadismus altteutscher Lands- knechtsmetzeleien, der rostige Waffenspektakel elisabetha- nischer Trauerspiele -- in Bismarck fanden sie ihren spätesten Apologeten, geschwächt durch Nervenkrisen und Weinkrämpfe, beargwöhnt von einem fadenscheinigen "Christenglauben", der in beständigen Konflikt geriet mit den Wirtschaftsproblemen des 19. Jahrhunderts, aber be- klatscht vom ganzen egoistischen Pseudo-Nationalismus der Lutherschule. Wo konnte jene feudal-heroische Reichsherrlich- keit des Mittelalters, die in der Rumpelkammer und auf dem habsburgischen Throne moderte, überhaupt noch einmal auf- erstehen, wenn nicht in Hinterpommern, in Preussen? Aber musste sie noch einmal auferstehen? Das ist eine andere Frage.
Der ungeduldig sich langweilende junge Herr von Bismarck, dem es bevorstand, sich "noch einige Jahre mit der Rekruten dressierenden Fuchtelklinge zu amüsieren, dann ein Weib zu nehmen, Kinder zu zeugen, das Land zu bauen und die Seelen seiner Bauern durch planmässige Branntweinfabrikation zu untergraben" (seine eigenen Worte), leidet an "Verwilderung und Liebesmangel". Der "Um- gang mit Pferden, Hunden und Landjunkern" (seine eigenen Worte) ruiniert ihn. Er ist eine Art Rimbaud ohne Paris. Zu Königs Geburtstag wird er sich "besaufen und
Die Romantik Bismarcks ist von der üblichen Romantik etwas verschieden. Sie ist eine junkerliche Romantik. Von all den abenteuerlichen geistigen Exkursionen seiner Zeit, die instinktiv zurück zum Mittelalter strebte, blieb ihm allein der Machtgedanke jener frühen Kaiser, der Scharf- richterglaube an die gewaltsame Lösung von Konflikten, die Shakespearewelt voll monströser Intrige, der Glaube an Blut und Eisen als Universalmittel politischer Kuren; und so selbstbewusst er gegen die Ideologen, Träumer und Phantasten auftrat, so sehr blieb er seiner junkerlichen Kraft-, Rauf- und Zechromantik treu 96). Das Raubritter- und Vasallentum, der blutige Sadismus altteutscher Lands- knechtsmetzeleien, der rostige Waffenspektakel elisabetha- nischer Trauerspiele — in Bismarck fanden sie ihren spätesten Apologeten, geschwächt durch Nervenkrisen und Weinkrämpfe, beargwöhnt von einem fadenscheinigen „Christenglauben“, der in beständigen Konflikt geriet mit den Wirtschaftsproblemen des 19. Jahrhunderts, aber be- klatscht vom ganzen egoistischen Pseudo-Nationalismus der Lutherschule. Wo konnte jene feudal-heroische Reichsherrlich- keit des Mittelalters, die in der Rumpelkammer und auf dem habsburgischen Throne moderte, überhaupt noch einmal auf- erstehen, wenn nicht in Hinterpommern, in Preussen? Aber musste sie noch einmal auferstehen? Das ist eine andere Frage.
Der ungeduldig sich langweilende junge Herr von Bismarck, dem es bevorstand, sich „noch einige Jahre mit der Rekruten dressierenden Fuchtelklinge zu amüsieren, dann ein Weib zu nehmen, Kinder zu zeugen, das Land zu bauen und die Seelen seiner Bauern durch planmässige Branntweinfabrikation zu untergraben“ (seine eigenen Worte), leidet an „Verwilderung und Liebesmangel“. Der „Um- gang mit Pferden, Hunden und Landjunkern“ (seine eigenen Worte) ruiniert ihn. Er ist eine Art Rimbaud ohne Paris. Zu Königs Geburtstag wird er sich „besaufen und
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Die Romantik Bismarcks ist von der üblichen Romantik
etwas verschieden. Sie ist eine junkerliche Romantik. Von
all den abenteuerlichen geistigen Exkursionen seiner Zeit,
die instinktiv zurück zum Mittelalter strebte, blieb ihm
allein der Machtgedanke jener frühen Kaiser, der Scharf-
richterglaube an die gewaltsame Lösung von Konflikten,
die Shakespearewelt voll monströser Intrige, der Glaube an
Blut und Eisen als Universalmittel politischer Kuren; und
so selbstbewusst er gegen die Ideologen, Träumer und
Phantasten auftrat, so sehr blieb er seiner junkerlichen
Kraft-, Rauf- und Zechromantik treu
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. Das Raubritter-
und Vasallentum, der blutige Sadismus altteutscher Lands-
knechtsmetzeleien, der rostige Waffenspektakel elisabetha-
nischer Trauerspiele — in Bismarck fanden sie ihren
spätesten Apologeten, geschwächt durch Nervenkrisen und
Weinkrämpfe, beargwöhnt von einem fadenscheinigen
„Christenglauben“, der in beständigen Konflikt geriet mit
den Wirtschaftsproblemen des 19. Jahrhunderts, aber be-
klatscht vom ganzen egoistischen Pseudo-Nationalismus der
Lutherschule. Wo konnte jene feudal-heroische Reichsherrlich-
keit des Mittelalters, die in der Rumpelkammer und auf dem
habsburgischen Throne moderte, überhaupt noch einmal auf-
erstehen, wenn nicht in Hinterpommern, in Preussen? Aber
musste sie noch einmal auferstehen? Das ist eine andere
Frage.
Der ungeduldig sich langweilende junge Herr von
Bismarck, dem es bevorstand, sich „noch einige Jahre mit
der Rekruten dressierenden Fuchtelklinge zu amüsieren,
dann ein Weib zu nehmen, Kinder zu zeugen, das Land
zu bauen und die Seelen seiner Bauern durch planmässige
Branntweinfabrikation zu untergraben“ (seine eigenen Worte),
leidet an „Verwilderung und Liebesmangel“. Der „Um-
gang mit Pferden, Hunden und Landjunkern“ (seine
eigenen Worte) ruiniert ihn. Er ist eine Art Rimbaud ohne
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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