dass wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden vollziehen", um dann hinzuzufügen: "Wir sind ein Volk von Kriegern. Militarismus ist der zum kriegerischen Geist hinaufgesteigerte heldische Geist. Es ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Es ist "Faust" und "Zarathustra" und Beethoven-Partitur in den Schützengräben" 15). Oh diese Herren Sombart, wie wenig ahnen sie von der Ver- einigung mit der Gottheit!
Freiheit und Heiligung: das heisst Opfer und noch einmal Opfer, Opfer an Gut, und wenn es sein muss, an Blut, aber in einer anderen Sphäre, auf einer anderen Bühne als auf dem wackelnden heutigen Kriegstheater! Als Michael Bakunin nach zehnjähriger Kerkerhaft und Verbannung mit krummem Rücken, ohne Zähne, herzkrank und grau, als Fünfzigjähriger auf dem Friedens- und Freiheitskongresse in Bern erschien, umringten ihn seine Freunde aus den achtundvierziger Jahren, und man bestürmte ihn, die Me- moiren seiner Konspirationen und Strassenkämpfe, seiner Todesurteile, Verbannung und Flucht zu schreiben. "Il faudrait parler de moi-meme!", sagte er. Er fand, es gäbe wichtigere Dinge zu tun, als von der eigenen Person zu sprechen. Und von Leon Bloy rührt das tief verlorene, vielleicht religiöseste Wort unserer Zeit her: "Qui sait, apres tout, si la forme la plus active de l'adoration n'est pas le blaspheme par amour, qui serait la priere de l'abandonne?" Versteht man danach, was Freiheit und Heiligung ist?
dass wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden vollziehen“, um dann hinzuzufügen: „Wir sind ein Volk von Kriegern. Militarismus ist der zum kriegerischen Geist hinaufgesteigerte heldische Geist. Es ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Es ist „Faust“ und „Zarathustra“ und Beethoven-Partitur in den Schützengräben“ 15). Oh diese Herren Sombart, wie wenig ahnen sie von der Ver- einigung mit der Gottheit!
Freiheit und Heiligung: das heisst Opfer und noch einmal Opfer, Opfer an Gut, und wenn es sein muss, an Blut, aber in einer anderen Sphäre, auf einer anderen Bühne als auf dem wackelnden heutigen Kriegstheater! Als Michael Bakunin nach zehnjähriger Kerkerhaft und Verbannung mit krummem Rücken, ohne Zähne, herzkrank und grau, als Fünfzigjähriger auf dem Friedens- und Freiheitskongresse in Bern erschien, umringten ihn seine Freunde aus den achtundvierziger Jahren, und man bestürmte ihn, die Me- moiren seiner Konspirationen und Strassenkämpfe, seiner Todesurteile, Verbannung und Flucht zu schreiben. „Il faudrait parler de moi-même!“, sagte er. Er fand, es gäbe wichtigere Dinge zu tun, als von der eigenen Person zu sprechen. Und von Léon Bloy rührt das tief verlorene, vielleicht religiöseste Wort unserer Zeit her: „Qui sait, après tout, si la forme la plus active de l'adoration n'est pas le blasphème par amour, qui serait la prière de l'abandonné?“ Versteht man danach, was Freiheit und Heiligung ist?
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dass wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden
vollziehen“, um dann hinzuzufügen: „Wir sind ein Volk
von Kriegern. Militarismus ist der zum kriegerischen Geist
hinaufgesteigerte heldische Geist. Es ist Potsdam und Weimar
in höchster Vereinigung. Es ist „Faust“ und „Zarathustra“
und Beethoven-Partitur in den Schützengräben“
¹⁵⁾
. Oh
diese Herren Sombart, wie wenig ahnen sie von der Ver-
einigung mit der Gottheit!
Freiheit und Heiligung: das heisst Opfer und noch
einmal Opfer, Opfer an Gut, und wenn es sein muss, an
Blut, aber in einer anderen Sphäre, auf einer anderen Bühne
als auf dem wackelnden heutigen Kriegstheater! Als Michael
Bakunin nach zehnjähriger Kerkerhaft und Verbannung mit
krummem Rücken, ohne Zähne, herzkrank und grau, als
Fünfzigjähriger auf dem Friedens- und Freiheitskongresse
in Bern erschien, umringten ihn seine Freunde aus den
achtundvierziger Jahren, und man bestürmte ihn, die Me-
moiren seiner Konspirationen und Strassenkämpfe, seiner
Todesurteile, Verbannung und Flucht zu schreiben. „Il
faudrait parler de moi-même!“, sagte er. Er fand, es gäbe
wichtigere Dinge zu tun, als von der eigenen Person zu
sprechen. Und von Léon Bloy rührt das tief verlorene,
vielleicht religiöseste Wort unserer Zeit her: „Qui sait, après
tout, si la forme la plus active de l'adoration n'est pas le
blasphème par amour, qui serait la prière de l'abandonné?“
Versteht man danach, was Freiheit und Heiligung ist?
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/21>, abgerufen am 23.11.2024.
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