Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.gerade dort unbekannt, wo sie hätten wirken sollen, in An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist es Jenseits von Systemkonstruktion und patentiertem Sitten- gerade dort unbekannt, wo sie hätten wirken sollen, in An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist es Jenseits von Systemkonstruktion und patentiertem Sitten- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0147" n="139"/> gerade dort unbekannt, wo sie hätten wirken sollen, in<lb/> Deutschland, und so kann man auch von Bakunins Atheismus<lb/> sagen, dass er nur dem Pangermanismus zustatten kam,<lb/> indem er nämlich durch Marx auf die romanische Inter-<lb/> nationale und Russland lokalisiert blieb, und dort zur<lb/> Schwächung der Resistenz beitrug <note xml:id="id26c" next="id26c26c" place="end" n="26)"/>. Die Voltaire'sche<lb/> Geissel schwang in Deutschland erst Nietzsche. Die Origi-<lb/> nalität der von ihm vorgebrachten Argumente verblasst<lb/> jedoch bedenklich nach der Lektüre von Bakunins Schriften<lb/> „Antithéologisme“ (1867) und „Dieu et l'état“ (1871), deren<lb/> letztere, publiziert 1882 von Cafiero und Elisée Reclus,<lb/> Nietzsche vielleicht sogar vorlag <note xml:id="id27c" next="id27c27c" place="end" n="27)"/>. Beide Schriften gingen<lb/> hervor aus der toskanischen Freimaurerei, mit der Bakunin<lb/> durch ihren Grossmeister Dolfi in Verbindung trat <note xml:id="id28c" next="id28c28c" place="end" n="28)"/>.</p><lb/> <p>An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist es<lb/> allein die einsam überragende Persönlichkeit Franz von<lb/> Baaders, die in Deutschland bewusst und mit mächtigen<lb/> Argumenten für das Christentum und die Einheit des Gött-<lb/> lichen eintritt gegen die antichristlichen Philosophien. <hi rendition="#i">„Ἐν<lb/> ῾Χριστῶ εἰσι πάντεϛ οἱ δησαυροὶτῆϛ σορίαϛ καὶτῆϛ γνώσεωϛ<lb/> ὰπόκρυφοι“:</hi> mit diesem Satze der philosophia occulta<lb/> kämpft er gegen die pantheistischen und rationalistischen<lb/> Allerweltshumanisten und Schwärmer; gegen Kant, Hegel<lb/> gleicherweise wie gegen Schelling, dessen Naturphilosophie<lb/> ihm nur ein „Ragout mit allerhand, auch christlichen<lb/> Ingredienzien“ ist.</p><lb/> <p>Jenseits von Systemkonstruktion und patentiertem Sitten-<lb/> kodex stellt er eine unabhängige christliche Moral als<lb/> „höhere Physik des Geistes“ auf. „Aller Missbrauch der<lb/> Kraft“, schreibt er in seinen Tagebüchern, „alle Usurpation<lb/> muss schlechterdings aufhören. Sie muss in Trümmer<lb/> gehen oder eine neue Organisation empfangen. Die meisten<lb/> Menschen seufzen durch unsere widersinnige Politik unter<lb/> diesem elenden Selbstbetruge und schrumpfen zu kümmer-<lb/> lichen Tieren ein“. „Die gütige Natur oder vielmehr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0147]
gerade dort unbekannt, wo sie hätten wirken sollen, in
Deutschland, und so kann man auch von Bakunins Atheismus
sagen, dass er nur dem Pangermanismus zustatten kam,
indem er nämlich durch Marx auf die romanische Inter-
nationale und Russland lokalisiert blieb, und dort zur
Schwächung der Resistenz beitrug
²⁶⁾
. Die Voltaire'sche
Geissel schwang in Deutschland erst Nietzsche. Die Origi-
nalität der von ihm vorgebrachten Argumente verblasst
jedoch bedenklich nach der Lektüre von Bakunins Schriften
„Antithéologisme“ (1867) und „Dieu et l'état“ (1871), deren
letztere, publiziert 1882 von Cafiero und Elisée Reclus,
Nietzsche vielleicht sogar vorlag
²⁷⁾
. Beide Schriften gingen
hervor aus der toskanischen Freimaurerei, mit der Bakunin
durch ihren Grossmeister Dolfi in Verbindung trat
²⁸⁾
.
An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ist es
allein die einsam überragende Persönlichkeit Franz von
Baaders, die in Deutschland bewusst und mit mächtigen
Argumenten für das Christentum und die Einheit des Gött-
lichen eintritt gegen die antichristlichen Philosophien. „Ἐν
῾Χριστῶ εἰσι πάντεϛ οἱ δησαυροὶτῆϛ σορίαϛ καὶτῆϛ γνώσεωϛ
ὰπόκρυφοι“: mit diesem Satze der philosophia occulta
kämpft er gegen die pantheistischen und rationalistischen
Allerweltshumanisten und Schwärmer; gegen Kant, Hegel
gleicherweise wie gegen Schelling, dessen Naturphilosophie
ihm nur ein „Ragout mit allerhand, auch christlichen
Ingredienzien“ ist.
Jenseits von Systemkonstruktion und patentiertem Sitten-
kodex stellt er eine unabhängige christliche Moral als
„höhere Physik des Geistes“ auf. „Aller Missbrauch der
Kraft“, schreibt er in seinen Tagebüchern, „alle Usurpation
muss schlechterdings aufhören. Sie muss in Trümmer
gehen oder eine neue Organisation empfangen. Die meisten
Menschen seufzen durch unsere widersinnige Politik unter
diesem elenden Selbstbetruge und schrumpfen zu kümmer-
lichen Tieren ein“. „Die gütige Natur oder vielmehr
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