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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Dass sie der Pragmatik Deutschlands, den "Zwangsläufig-
keiten", unter denen heute das Volk verblutet, ihre Bestätigung
und ihren diabolischen Segen verliehen hat, ist erwiesen.
Wozu noch Worte verlieren? Es liegt an uns allen, diese
Pragmatik, diese Zwangsläufigkeiten zu durchbrechen und
zu beweisen, dass Deutschland nicht der Ort ist, wo sich
arrivierte Rathenaus über ihre Sendung nicht täuschen.
Derselbe Herr bemüht sich an anderer Stelle die "germa-
nischen Herren des Abendlandes" von der Beihilfe zur
heutigen Pragmatik freizusprechen 197) und führt als Beweis
an, dass ein holsteinischer Kramladen "sachlicher, zweckfreier
und ungeschäftlicher geleitet wird als eine amerikanische
Kirche". Aber gilt das auch für die A. E. G. und den
preussischen Generalstab? Oder für jene anderen 50 Gesell-
schaften, deren spiritus rector gerade Herr Rathenau ist? Man
lasse die transzendent ethische Wertung beiseite, wenn man
für einen Räuberstaat Rohstoffe ordnet und man spreche nicht
von der intelligiblen Freiheit, wenn man mit Aktien handelt.

Die deutschen Universitäten haben das Volk entmündigt,
haben jede Wissenschaft, die nicht auf den Krieg, den
Staat und den Patriotismus abzielte, die nicht die Köpfe
verwirrte, sie isolierte und unfruchtbar machte, entstellt,
unterdrückt, oder gegen das Wohl des Volkes benutzt. Die
Erziehung der Jugend in der feudalen Tradition, in der
Kaserne und auf der militarisierten Universität hat das
Freiheitsgefühl vollends verkümmern und aussterben lassen.
Es gibt keine Wissenschaft mehr, die der Freiheit dient,
es gibt nur noch liberalistisch verbrämte Staatswissenschaft.

Was aber ist der Staat, von dem seine Lobredner
sagen, dass sich in ihm der religiöse Fortschritt mit dem
wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritt deckt; der
Staat, für dessen Bedienung Herr Rathenau ein "Gemeinschafts-
gefühl handfester Menschen" empfiehlt 198), nachdem er von
Platos, Lionardos und Goethes Eindringen in die "hand-
feste Welt der Dinge" gesprochen hat?

Dass sie der Pragmatik Deutschlands, den „Zwangsläufig-
keiten“, unter denen heute das Volk verblutet, ihre Bestätigung
und ihren diabolischen Segen verliehen hat, ist erwiesen.
Wozu noch Worte verlieren? Es liegt an uns allen, diese
Pragmatik, diese Zwangsläufigkeiten zu durchbrechen und
zu beweisen, dass Deutschland nicht der Ort ist, wo sich
arrivierte Rathenaus über ihre Sendung nicht täuschen.
Derselbe Herr bemüht sich an anderer Stelle die „germa-
nischen Herren des Abendlandes“ von der Beihilfe zur
heutigen Pragmatik freizusprechen 197) und führt als Beweis
an, dass ein holsteinischer Kramladen „sachlicher, zweckfreier
und ungeschäftlicher geleitet wird als eine amerikanische
Kirche“. Aber gilt das auch für die A. E. G. und den
preussischen Generalstab? Oder für jene anderen 50 Gesell-
schaften, deren spiritus rector gerade Herr Rathenau ist? Man
lasse die transzendent ethische Wertung beiseite, wenn man
für einen Räuberstaat Rohstoffe ordnet und man spreche nicht
von der intelligiblen Freiheit, wenn man mit Aktien handelt.

Die deutschen Universitäten haben das Volk entmündigt,
haben jede Wissenschaft, die nicht auf den Krieg, den
Staat und den Patriotismus abzielte, die nicht die Köpfe
verwirrte, sie isolierte und unfruchtbar machte, entstellt,
unterdrückt, oder gegen das Wohl des Volkes benutzt. Die
Erziehung der Jugend in der feudalen Tradition, in der
Kaserne und auf der militarisierten Universität hat das
Freiheitsgefühl vollends verkümmern und aussterben lassen.
Es gibt keine Wissenschaft mehr, die der Freiheit dient,
es gibt nur noch liberalistisch verbrämte Staatswissenschaft.

Was aber ist der Staat, von dem seine Lobredner
sagen, dass sich in ihm der religiöse Fortschritt mit dem
wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritt deckt; der
Staat, für dessen Bedienung Herr Rathenau ein „Gemeinschafts-
gefühl handfester Menschen“ empfiehlt 198), nachdem er von
Platos, Lionardos und Goethes Eindringen in die „hand-
feste Welt der Dinge“ gesprochen hat?

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[123/0131] Dass sie der Pragmatik Deutschlands, den „Zwangsläufig- keiten“, unter denen heute das Volk verblutet, ihre Bestätigung und ihren diabolischen Segen verliehen hat, ist erwiesen. Wozu noch Worte verlieren? Es liegt an uns allen, diese Pragmatik, diese Zwangsläufigkeiten zu durchbrechen und zu beweisen, dass Deutschland nicht der Ort ist, wo sich arrivierte Rathenaus über ihre Sendung nicht täuschen. Derselbe Herr bemüht sich an anderer Stelle die „germa- nischen Herren des Abendlandes“ von der Beihilfe zur heutigen Pragmatik freizusprechen ¹⁹⁷⁾ und führt als Beweis an, dass ein holsteinischer Kramladen „sachlicher, zweckfreier und ungeschäftlicher geleitet wird als eine amerikanische Kirche“. Aber gilt das auch für die A. E. G. und den preussischen Generalstab? Oder für jene anderen 50 Gesell- schaften, deren spiritus rector gerade Herr Rathenau ist? Man lasse die transzendent ethische Wertung beiseite, wenn man für einen Räuberstaat Rohstoffe ordnet und man spreche nicht von der intelligiblen Freiheit, wenn man mit Aktien handelt. Die deutschen Universitäten haben das Volk entmündigt, haben jede Wissenschaft, die nicht auf den Krieg, den Staat und den Patriotismus abzielte, die nicht die Köpfe verwirrte, sie isolierte und unfruchtbar machte, entstellt, unterdrückt, oder gegen das Wohl des Volkes benutzt. Die Erziehung der Jugend in der feudalen Tradition, in der Kaserne und auf der militarisierten Universität hat das Freiheitsgefühl vollends verkümmern und aussterben lassen. Es gibt keine Wissenschaft mehr, die der Freiheit dient, es gibt nur noch liberalistisch verbrämte Staatswissenschaft. Was aber ist der Staat, von dem seine Lobredner sagen, dass sich in ihm der religiöse Fortschritt mit dem wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritt deckt; der Staat, für dessen Bedienung Herr Rathenau ein „Gemeinschafts- gefühl handfester Menschen“ empfiehlt ¹⁹⁸⁾ , nachdem er von Platos, Lionardos und Goethes Eindringen in die „hand- feste Welt der Dinge“ gesprochen hat?

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/131>, abgerufen am 27.11.2024.