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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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schwung im religiösen Ideal. Die Umwelt ist es, die re-
belliert, die unterdrückte Tradition der vorreformatorischen
christlichen Idee, und diesen mächtigen Faktoren wird das
unterdrückende Individuum, heute das ganze protestantische
Deutschland, auf die Dauer nicht gewachsen sein. Der
deutsche Protestantismus war die Kontrerevolution gegen die
christlich-kommunistischen Bauernaufstände des Mittelalters.

Hegels Rebellion gegen Gott hatte durchaus keine
synthetischen, wohl aber zerstörende, nihilistische Motive.
Man konnte Preussen nicht gut von Gott ableiten. Das
sah selbst Hegel ein; ebenso wie Kant, der an Gott wohl
nur deshalb nicht mehr glaubte, weil er die preussische
Wirklichkeit und Friedrich Wilhelm I. noch kannte und
sich schämte. Also musste man Gott von Preussen ableiten
oder ihn ganz beiseite lassen und einen Ersatz für ihn
suchen. Kant fand das "Ding an sich", Hegel die "Weltseele".
Hegels Weltseele war ein immerhin respektables Objekt.
Kein preussischer Regent konnte sich beklagen, mit ihr in
intime Beziehungen gesetzt zu werden. Oder ist eine Welt-
seele weniger erhaben als ein theistischer Gott? Was Gott
an Charakter voraushat, ersetzte die Weltseele gewissermassen
an Breite. Die Erhabenheit Gottes sowohl wie der Weltseele
lag ja nur in dem mystifikatorischen "Gehalt", den beide
zu liefern hatten.

In der "Weltseele" war ein Gott-Ersatzmittel gefunden von
erklecklicher Würde. Hegel setzte seine Weltseele bei Adam
und Eva in eine Art Krankenfahrstuhl, gab ihr These und Anti-
these als zwei Hebel in die Hände und liess sie in der Synthese
sich fortbewegen. Er nannte das die "Fortbewegung der reinen
Vernunft vom An-sich durch das Für-sich zum An-und-für-sich".
Den zurückgelegten Weg nannte er Prozess oder Fortschritt.
Nach Verlauf von einigen tausend Jahren kam die Weltseele in
Berlin an und die Studenten jubelten ihr zu, als sie im König-
lichen Palais abstieg. Herrn Professor Hegel aber, als dem Er-
finder dieser Maschine, brachten die Studenten einen Fackelzug.

schwung im religiösen Ideal. Die Umwelt ist es, die re-
belliert, die unterdrückte Tradition der vorreformatorischen
christlichen Idee, und diesen mächtigen Faktoren wird das
unterdrückende Individuum, heute das ganze protestantische
Deutschland, auf die Dauer nicht gewachsen sein. Der
deutsche Protestantismus war die Kontrerevolution gegen die
christlich-kommunistischen Bauernaufstände des Mittelalters.

Hegels Rebellion gegen Gott hatte durchaus keine
synthetischen, wohl aber zerstörende, nihilistische Motive.
Man konnte Preussen nicht gut von Gott ableiten. Das
sah selbst Hegel ein; ebenso wie Kant, der an Gott wohl
nur deshalb nicht mehr glaubte, weil er die preussische
Wirklichkeit und Friedrich Wilhelm I. noch kannte und
sich schämte. Also musste man Gott von Preussen ableiten
oder ihn ganz beiseite lassen und einen Ersatz für ihn
suchen. Kant fand das „Ding an sich“, Hegel die „Weltseele“.
Hegels Weltseele war ein immerhin respektables Objekt.
Kein preussischer Regent konnte sich beklagen, mit ihr in
intime Beziehungen gesetzt zu werden. Oder ist eine Welt-
seele weniger erhaben als ein theistischer Gott? Was Gott
an Charakter voraushat, ersetzte die Weltseele gewissermassen
an Breite. Die Erhabenheit Gottes sowohl wie der Weltseele
lag ja nur in dem mystifikatorischen „Gehalt“, den beide
zu liefern hatten.

In der „Weltseele“ war ein Gott-Ersatzmittel gefunden von
erklecklicher Würde. Hegel setzte seine Weltseele bei Adam
und Eva in eine Art Krankenfahrstuhl, gab ihr These und Anti-
these als zwei Hebel in die Hände und liess sie in der Synthese
sich fortbewegen. Er nannte das die „Fortbewegung der reinen
Vernunft vom An-sich durch das Für-sich zum An-und-für-sich“.
Den zurückgelegten Weg nannte er Prozess oder Fortschritt.
Nach Verlauf von einigen tausend Jahren kam die Weltseele in
Berlin an und die Studenten jubelten ihr zu, als sie im König-
lichen Palais abstieg. Herrn Professor Hegel aber, als dem Er-
finder dieser Maschine, brachten die Studenten einen Fackelzug.

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[117/0125] schwung im religiösen Ideal. Die Umwelt ist es, die re- belliert, die unterdrückte Tradition der vorreformatorischen christlichen Idee, und diesen mächtigen Faktoren wird das unterdrückende Individuum, heute das ganze protestantische Deutschland, auf die Dauer nicht gewachsen sein. Der deutsche Protestantismus war die Kontrerevolution gegen die christlich-kommunistischen Bauernaufstände des Mittelalters. Hegels Rebellion gegen Gott hatte durchaus keine synthetischen, wohl aber zerstörende, nihilistische Motive. Man konnte Preussen nicht gut von Gott ableiten. Das sah selbst Hegel ein; ebenso wie Kant, der an Gott wohl nur deshalb nicht mehr glaubte, weil er die preussische Wirklichkeit und Friedrich Wilhelm I. noch kannte und sich schämte. Also musste man Gott von Preussen ableiten oder ihn ganz beiseite lassen und einen Ersatz für ihn suchen. Kant fand das „Ding an sich“, Hegel die „Weltseele“. Hegels Weltseele war ein immerhin respektables Objekt. Kein preussischer Regent konnte sich beklagen, mit ihr in intime Beziehungen gesetzt zu werden. Oder ist eine Welt- seele weniger erhaben als ein theistischer Gott? Was Gott an Charakter voraushat, ersetzte die Weltseele gewissermassen an Breite. Die Erhabenheit Gottes sowohl wie der Weltseele lag ja nur in dem mystifikatorischen „Gehalt“, den beide zu liefern hatten. In der „Weltseele“ war ein Gott-Ersatzmittel gefunden von erklecklicher Würde. Hegel setzte seine Weltseele bei Adam und Eva in eine Art Krankenfahrstuhl, gab ihr These und Anti- these als zwei Hebel in die Hände und liess sie in der Synthese sich fortbewegen. Er nannte das die „Fortbewegung der reinen Vernunft vom An-sich durch das Für-sich zum An-und-für-sich“. Den zurückgelegten Weg nannte er Prozess oder Fortschritt. Nach Verlauf von einigen tausend Jahren kam die Weltseele in Berlin an und die Studenten jubelten ihr zu, als sie im König- lichen Palais abstieg. Herrn Professor Hegel aber, als dem Er- finder dieser Maschine, brachten die Studenten einen Fackelzug.

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/125>, abgerufen am 23.11.2024.