Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.etwas müßte -- was es dann auch immer wäre! (Leise, bittend, fast kindlich.) Kannst du mir nicht helfen, Fidl? Fidelis (mit leisem Trotz, achselzuckend; mehr für sich selbst). Ich kann niemand vergewaltigen. Erwachsene Menschen müssen selbst über sich bestimmen. Luz (steht auf und geht langsam zum Stuhl hinter dem Tisch; den Ton wechselnd, einfach erzählend). Denn -- er!? ... Weißt du, das war ja so merkwürdig! Gleich als ich herauskam und ihn sah -- (es mit dem Finger zeigend) er saß hier, Mamchen da, du neben ihr, und es war zu merkwürdig, ich dachte nur die ganze Zeit: Ist denn das er, kann denn das wirklich er sein? (Ganz leise.) Und ich schämte mich so! (Setzt sich auf den Stuhl hinter den Tisch.) Verstehst du das nicht? Fidelis (setzt sich nun ganz auf; verwundert fragend, als neugieriger Psychologe). Warum war er dir plötzlich so fremd? Wodurch eigentlich? Luz (langsam, leise). Ich weiß nicht. -- "Fremd" ist auch gar nicht das richtige Wort. Nicht bloß fremd. Er war ... wie weg. Und alles war da weg. (Etwas lauter; traurig.) Und mein wunderschönes starkes Gefühl, das mich so ... gequält und beseligt hatte --? (Hält einen Augenblick ein, mit einer Handbewegung des Entgleitens; dann, leise.) Ich konnte doch nichts dafür, Fidl! Es war damals plötzlich da, ich habe mich ja gewehrt, das half mir aber nichts und -- (aufblickend, Fidelis ansehend, fast wie kampfbereit, stark und stolz, langsam und leise) wunder- schön war es! Wenn er so sprach -- wir Frauen saßen dichtgedrängt und atmeten kaum, er aber stand neben dem hohen Leuchter; und dort aus diesem Licht hervor nun etwas müßte — was es dann auch immer wäre! (Leiſe, bittend, faſt kindlich.) Kannſt du mir nicht helfen, Fidl? Fidelis (mit leiſem Trotz, achſelzuckend; mehr fuͤr ſich ſelbſt). Ich kann niemand vergewaltigen. Erwachſene Menſchen müſſen ſelbſt über ſich beſtimmen. Luz (ſteht auf und geht langſam zum Stuhl hinter dem Tiſch; den Ton wechſelnd, einfach erzaͤhlend). Denn — er!? ... Weißt du, das war ja ſo merkwürdig! Gleich als ich herauskam und ihn ſah — (es mit dem Finger zeigend) er ſaß hier, Mamchen da, du neben ihr, und es war zu merkwürdig, ich dachte nur die ganze Zeit: Iſt denn das er, kann denn das wirklich er ſein? (Ganz leiſe.) Und ich ſchämte mich ſo! (Setzt ſich auf den Stuhl hinter den Tiſch.) Verſtehſt du das nicht? Fidelis (ſetzt ſich nun ganz auf; verwundert fragend, als neugieriger Pſychologe). Warum war er dir plötzlich ſo fremd? Wodurch eigentlich? Luz (langſam, leiſe). Ich weiß nicht. — „Fremd“ iſt auch gar nicht das richtige Wort. Nicht bloß fremd. Er war ... wie weg. Und alles war da weg. (Etwas lauter; traurig.) Und mein wunderſchönes ſtarkes Gefühl, das mich ſo ... gequält und beſeligt hatte —? (Haͤlt einen Augenblick ein, mit einer Handbewegung des Entgleitens; dann, leiſe.) Ich konnte doch nichts dafür, Fidl! Es war damals plötzlich da, ich habe mich ja gewehrt, das half mir aber nichts und — (aufblickend, Fidelis anſehend, faſt wie kampfbereit, ſtark und ſtolz, langſam und leiſe) wunder- ſchön war es! Wenn er ſo ſprach — wir Frauen ſaßen dichtgedrängt und atmeten kaum, er aber ſtand neben dem hohen Leuchter; und dort aus dieſem Licht hervor nun <TEI> <text> <body> <div type="act"> <sp who="#LUZ"> <pb facs="#f0141" n="132"/> <p>etwas müßte — was es dann auch immer wäre! <stage>(Leiſe,<lb/> bittend, faſt kindlich.)</stage> Kannſt du mir nicht helfen, Fidl?</p> </sp><lb/> <sp who="#FID"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker> <stage>(mit leiſem Trotz, achſelzuckend; mehr fuͤr ſich ſelbſt).</stage><lb/> <p>Ich kann niemand vergewaltigen. 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Ich kann niemand vergewaltigen. Erwachſene Menſchen
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Luz (ſteht auf und geht langſam zum Stuhl hinter dem
Tiſch; den Ton wechſelnd, einfach erzaͤhlend). Denn —
er!? ... Weißt du, das war ja ſo merkwürdig! Gleich
als ich herauskam und ihn ſah — (es mit dem Finger
zeigend) er ſaß hier, Mamchen da, du neben ihr, und
es war zu merkwürdig, ich dachte nur die ganze Zeit: Iſt
denn das er, kann denn das wirklich er ſein? (Ganz leiſe.)
Und ich ſchämte mich ſo! (Setzt ſich auf den Stuhl hinter
den Tiſch.) Verſtehſt du das nicht?
Fidelis (ſetzt ſich nun ganz auf; verwundert fragend, als
neugieriger Pſychologe). Warum war er dir plötzlich ſo
fremd? Wodurch eigentlich?
Luz (langſam, leiſe). Ich weiß nicht. — „Fremd“ iſt
auch gar nicht das richtige Wort. Nicht bloß fremd. Er
war ... wie weg. Und alles war da weg. (Etwas
lauter; traurig.) Und mein wunderſchönes ſtarkes Gefühl,
das mich ſo ... gequält und beſeligt hatte —? (Haͤlt
einen Augenblick ein, mit einer Handbewegung des Entgleitens;
dann, leiſe.) Ich konnte doch nichts dafür, Fidl! Es war
damals plötzlich da, ich habe mich ja gewehrt, das half
mir aber nichts und — (aufblickend, Fidelis anſehend, faſt
wie kampfbereit, ſtark und ſtolz, langſam und leiſe) wunder-
ſchön war es! Wenn er ſo ſprach — wir Frauen ſaßen
dichtgedrängt und atmeten kaum, er aber ſtand neben dem
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