Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite
einen Zauberer nicht an unseren abendländischen An-
sprüchen messen.
Justine (als ob sie es noch immer gar nicht glauben könnte).
Er hat --?
Fidelis. Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin
Justine Dussen verschmäht. Wenn nun eine Frau einen
Mann ohnedies schon zu lieben glaubt, und dann dazu
noch das, nicht wahr?
Justine (nickend, ernst). Ich begreife.
Fidelis. Sie war in einer heillosen Situation. Vor
ihm, vor mir, vor sich selbst, nach allen Seiten hin er-
niedrigt. Der Mensch hat aber ein angeborenes Bedürf-
nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu stehen;
davon allein leben wir innerlich. Zu diesem unveräußer-
lichen Menschenrecht mußte ihr also vor allem wieder
verholfen werden.
Justine (nickend, daß sie alles verstanden hat). Und du
meinst, daß sie jetzt, da sie glaubt, daß der --
Fidelis (einfallend). Sie fühlt sich jetzt nicht mehr
verschmäht; dieser Bann mußte zunächst weggezaubert
werden.
Justine (vergnügt). Sie wird es ihm jetzt vergelten
wollen, und du hast ihr entsagt -- aha!, damit sie nun
aus Eifersucht --
Fidelis. Nein. Mit so alten Mitteln arbeite ich nicht.
Die Menschen machen die sämtlichen ewigen Dummheiten
ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert sich doch mit
der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht
durch Eifersucht will ich sie heilen, aber sie hat jetzt das
Schönste, was man einem Menschen, einem innerlich stol-
einen Zauberer nicht an unſeren abendländiſchen An-
ſprüchen meſſen.
Juſtine (als ob ſie es noch immer gar nicht glauben koͤnnte).
Er hat —?
Fidelis. Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin
Juſtine Duſſen verſchmäht. Wenn nun eine Frau einen
Mann ohnedies ſchon zu lieben glaubt, und dann dazu
noch das, nicht wahr?
Juſtine (nickend, ernſt). Ich begreife.
Fidelis. Sie war in einer heilloſen Situation. Vor
ihm, vor mir, vor ſich ſelbſt, nach allen Seiten hin er-
niedrigt. Der Menſch hat aber ein angeborenes Bedürf-
nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu ſtehen;
davon allein leben wir innerlich. Zu dieſem unveräußer-
lichen Menſchenrecht mußte ihr alſo vor allem wieder
verholfen werden.
Juſtine (nickend, daß ſie alles verſtanden hat). Und du
meinſt, daß ſie jetzt, da ſie glaubt, daß der —
Fidelis (einfallend). Sie fühlt ſich jetzt nicht mehr
verſchmäht; dieſer Bann mußte zunächſt weggezaubert
werden.
Juſtine (vergnuͤgt). Sie wird es ihm jetzt vergelten
wollen, und du haſt ihr entſagt — aha!, damit ſie nun
aus Eiferſucht —
Fidelis. Nein. Mit ſo alten Mitteln arbeite ich nicht.
Die Menſchen machen die ſämtlichen ewigen Dummheiten
ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert ſich doch mit
der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht
durch Eiferſucht will ich ſie heilen, aber ſie hat jetzt das
Schönſte, was man einem Menſchen, einem innerlich ſtol-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act">
        <sp who="#FID">
          <p><pb facs="#f0133" n="124"/>
einen Zauberer nicht an un&#x017F;eren abendländi&#x017F;chen An-<lb/>
&#x017F;prüchen me&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(als ob &#x017F;ie es noch immer gar nicht glauben ko&#x0364;nnte).</stage><lb/>
          <p>Er hat &#x2014;?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin<lb/>
Ju&#x017F;tine Du&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;chmäht. Wenn nun eine Frau einen<lb/>
Mann ohnedies &#x017F;chon zu lieben glaubt, und dann dazu<lb/>
noch das, nicht wahr?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(nickend, ern&#x017F;t).</stage>
          <p>Ich begreife.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Sie war in einer heillo&#x017F;en Situation. Vor<lb/>
ihm, vor mir, vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, nach allen Seiten hin er-<lb/>
niedrigt. Der Men&#x017F;ch hat aber ein angeborenes Bedürf-<lb/>
nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu &#x017F;tehen;<lb/>
davon allein leben wir innerlich. Zu die&#x017F;em unveräußer-<lb/>
lichen Men&#x017F;chenrecht mußte ihr al&#x017F;o vor allem wieder<lb/>
verholfen werden.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(nickend, daß &#x017F;ie alles ver&#x017F;tanden hat).</stage>
          <p>Und du<lb/>
mein&#x017F;t, daß &#x017F;ie jetzt, da &#x017F;ie glaubt, daß der &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(einfallend).</stage>
          <p>Sie fühlt &#x017F;ich jetzt nicht mehr<lb/>
ver&#x017F;chmäht; die&#x017F;er Bann mußte zunäch&#x017F;t weggezaubert<lb/>
werden.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(vergnu&#x0364;gt).</stage>
          <p>Sie wird es ihm jetzt vergelten<lb/>
wollen, und du ha&#x017F;t ihr ent&#x017F;agt &#x2014; aha!, damit &#x017F;ie nun<lb/>
aus Eifer&#x017F;ucht &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Nein. Mit &#x017F;o alten Mitteln arbeite ich nicht.<lb/>
Die Men&#x017F;chen machen die &#x017F;ämtlichen ewigen Dummheiten<lb/>
ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert &#x017F;ich doch mit<lb/>
der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht<lb/>
durch Eifer&#x017F;ucht will ich &#x017F;ie heilen, aber &#x017F;ie hat jetzt das<lb/>
Schön&#x017F;te, was man einem Men&#x017F;chen, einem innerlich &#x017F;tol-<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0133] einen Zauberer nicht an unſeren abendländiſchen An- ſprüchen meſſen. Juſtine (als ob ſie es noch immer gar nicht glauben koͤnnte). Er hat —? Fidelis. Er hat die Tochter der bekannten Wohltäterin Juſtine Duſſen verſchmäht. Wenn nun eine Frau einen Mann ohnedies ſchon zu lieben glaubt, und dann dazu noch das, nicht wahr? Juſtine (nickend, ernſt). Ich begreife. Fidelis. Sie war in einer heilloſen Situation. Vor ihm, vor mir, vor ſich ſelbſt, nach allen Seiten hin er- niedrigt. Der Menſch hat aber ein angeborenes Bedürf- nis, nach irgend einer Richtung hin groß da zu ſtehen; davon allein leben wir innerlich. Zu dieſem unveräußer- lichen Menſchenrecht mußte ihr alſo vor allem wieder verholfen werden. Juſtine (nickend, daß ſie alles verſtanden hat). Und du meinſt, daß ſie jetzt, da ſie glaubt, daß der — Fidelis (einfallend). Sie fühlt ſich jetzt nicht mehr verſchmäht; dieſer Bann mußte zunächſt weggezaubert werden. Juſtine (vergnuͤgt). Sie wird es ihm jetzt vergelten wollen, und du haſt ihr entſagt — aha!, damit ſie nun aus Eiferſucht — Fidelis. Nein. Mit ſo alten Mitteln arbeite ich nicht. Die Menſchen machen die ſämtlichen ewigen Dummheiten ewig wieder. Aber die Prozedur verfeinert ſich doch mit der Zeit, dem muß man Rechnung tragen. Nein, nicht durch Eiferſucht will ich ſie heilen, aber ſie hat jetzt das Schönſte, was man einem Menſchen, einem innerlich ſtol-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/133
Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/133>, abgerufen am 04.12.2024.