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Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

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Bemerkung). Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht
mehr nennen.
Justine (zornig, fast weinend, sehr laut). Hätt'st du auf
mein Kind besser achtgegeben! Niemand ist davor sicher.
Keine Frau kann -- (Merkt plötzlich selbst, daß sie ihrer
ganzen Lebensanschauung widerspricht; verlegen, verwirrt, erst
zögernd, dann immer schneller)
natürlich wird eine anstän-
dige Frau nie vergessen, was sie sich schuldig ist, aber dazu
gehört auch -- vor allem gehört ein Mann dazu, dessen
feste Hand sie spürt, ein Mann, bei dem sich eine Frau be-
schützt fühlt, das nenn ich einen Mann! Sie muß ihn
achten können und auch, das ist auch nötig: etwas Furcht
haben, ja, damit sie weiß, hier ist die Grenze! (Plötzlich
ganz ruhig; einfach erzählend.)
Mein seliger Mann war ge-
wiß ein ganz einfacher Mensch und gar nicht so besonders
hervorragend gescheit, gar nicht, aber er hatte, Gott sei
Dank, den gesunden schlichten Männerverstand, mit dem
nicht zu spaßen ist, und das spürt eine Frau instinktiv und
dafür dank ich ihm noch heute, denn bevor ich auch nur
in Gedanken -- er hätte mich erschlagen!
Fidelis (bleibt jetzt vor dem Diwan links stehen, trocken).
Mit seinem schlichten Männerverstand.
Justine (schreiend, fast triumphierend). Ja! -- Ja!
(Rasch, unbedacht.) Denn sonst, wer weiß, ob ich sonst nicht
auch -- denn wenn die Festigkeit des Mannes fehlt, ist
alles bei einer Frau möglich, und alles wird verzeihlich.
Aber ein Mann wie du, der selbst keine moralische Kraft
hat, der alles entschuldigt, der selbst nicht genau weiß,
was man eigentlich darf und was man nicht darf -- nein,
gibt der Mann erst überhaupt zu, daß es anfängt, dann

Bemerkung). Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht
mehr nennen.
Juſtine (zornig, faſt weinend, ſehr laut). Hätt'ſt du auf
mein Kind beſſer achtgegeben! Niemand iſt davor ſicher.
Keine Frau kann — (Merkt ploͤtzlich ſelbſt, daß ſie ihrer
ganzen Lebensanſchauung widerſpricht; verlegen, verwirrt, erſt
zoͤgernd, dann immer ſchneller)
natürlich wird eine anſtän-
dige Frau nie vergeſſen, was ſie ſich ſchuldig iſt, aber dazu
gehört auch — vor allem gehört ein Mann dazu, deſſen
feſte Hand ſie ſpürt, ein Mann, bei dem ſich eine Frau be-
ſchützt fühlt, das nenn ich einen Mann! Sie muß ihn
achten können und auch, das iſt auch nötig: etwas Furcht
haben, ja, damit ſie weiß, hier iſt die Grenze! (Ploͤtzlich
ganz ruhig; einfach erzaͤhlend.)
Mein ſeliger Mann war ge-
wiß ein ganz einfacher Menſch und gar nicht ſo beſonders
hervorragend geſcheit, gar nicht, aber er hatte, Gott ſei
Dank, den geſunden ſchlichten Männerverſtand, mit dem
nicht zu ſpaßen iſt, und das ſpürt eine Frau inſtinktiv und
dafür dank ich ihm noch heute, denn bevor ich auch nur
in Gedanken — er hätte mich erſchlagen!
Fidelis (bleibt jetzt vor dem Diwan links ſtehen, trocken).
Mit ſeinem ſchlichten Männerverſtand.
Juſtine (ſchreiend, faſt triumphierend). Ja! — Ja!
(Raſch, unbedacht.) Denn ſonſt, wer weiß, ob ich ſonſt nicht
auch — denn wenn die Feſtigkeit des Mannes fehlt, iſt
alles bei einer Frau möglich, und alles wird verzeihlich.
Aber ein Mann wie du, der ſelbſt keine moraliſche Kraft
hat, der alles entſchuldigt, der ſelbſt nicht genau weiß,
was man eigentlich darf und was man nicht darf — nein,
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[121/0130] Bemerkung). Wildfremd kann man ihn doch eigentlich nicht mehr nennen. Juſtine (zornig, faſt weinend, ſehr laut). Hätt'ſt du auf mein Kind beſſer achtgegeben! Niemand iſt davor ſicher. Keine Frau kann — (Merkt ploͤtzlich ſelbſt, daß ſie ihrer ganzen Lebensanſchauung widerſpricht; verlegen, verwirrt, erſt zoͤgernd, dann immer ſchneller) natürlich wird eine anſtän- dige Frau nie vergeſſen, was ſie ſich ſchuldig iſt, aber dazu gehört auch — vor allem gehört ein Mann dazu, deſſen feſte Hand ſie ſpürt, ein Mann, bei dem ſich eine Frau be- ſchützt fühlt, das nenn ich einen Mann! Sie muß ihn achten können und auch, das iſt auch nötig: etwas Furcht haben, ja, damit ſie weiß, hier iſt die Grenze! (Ploͤtzlich ganz ruhig; einfach erzaͤhlend.) Mein ſeliger Mann war ge- wiß ein ganz einfacher Menſch und gar nicht ſo beſonders hervorragend geſcheit, gar nicht, aber er hatte, Gott ſei Dank, den geſunden ſchlichten Männerverſtand, mit dem nicht zu ſpaßen iſt, und das ſpürt eine Frau inſtinktiv und dafür dank ich ihm noch heute, denn bevor ich auch nur in Gedanken — er hätte mich erſchlagen! Fidelis (bleibt jetzt vor dem Diwan links ſtehen, trocken). Mit ſeinem ſchlichten Männerverſtand. Juſtine (ſchreiend, faſt triumphierend). Ja! — Ja! (Raſch, unbedacht.) Denn ſonſt, wer weiß, ob ich ſonſt nicht auch — denn wenn die Feſtigkeit des Mannes fehlt, iſt alles bei einer Frau möglich, und alles wird verzeihlich. Aber ein Mann wie du, der ſelbſt keine moraliſche Kraft hat, der alles entſchuldigt, der ſelbſt nicht genau weiß, was man eigentlich darf und was man nicht darf — nein, gibt der Mann erſt überhaupt zu, daß es anfängt, dann

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Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/130>, abgerufen am 04.12.2024.