Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913. Kuno (verwundert, leichthin). Darüber ließe sich ja diskutieren, aber ich weiß nicht recht -- (Sieht Fidelis fragend an.) Fidelis (rasch einfallend; sehr heftig). Ich will aber diese Diskussion. Gerade jetzt! Ich brauche sie. (Tritt von rechts an den Schreibtisch, mit einem fast drohenden Blick auf Kuno.) Kuno (sehr verwundert). Bitte. Fidelis (nun wieder in einem rein sachlichen Ton; lebhaft, sehr rasch). Wenn ein junges Mädel zum ersten Mal ganz harmlos beim Schlittschuhlaufen oder Tennisspielen Gefallen an einem jungen Mann findet -- er gefällt ihr, nicht anders als, wenn wir nicht so verkommen wären, eigentlich jeder Mensch jedem Menschen gefallen müßte. Aber gleich steckt man die Köpfe zusammen und wird gewispert und Mama fragt besorgt, was daraus wer- den soll. Und so ja doch durchs ganze Leben! Wenn sich eine Frau mit ihrem Tischherrn einmal weniger lang- weilt und darüber ein vergnügtes Gesicht macht, gleich droht ihr der Gatte gegenüber scherzhaft mit dem Finger und die Hausfrau sagt: Na, na, Kinder! Alles muß immer gleich die große Liebe sein! (Heftig.) Wie ja die meisten Menschen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören- sagen und aus Beschreibungen kennen lernen, bevor sie sie selbst fühlen -- wodurch die Gefühle nicht gerade besser werden. -- (Noch ärgerlicher.) Und dann wundert ihr euch aber, wenn so ein armes Ding, dem immer vorgesagt worden ist, daß eine Frau nichts, nichts anderes empfinden kann, daß alles immer gleich wieder Liebe sein muß, die berühmte Liebe -- dann wundert ihr euch, daß das Weib Kuno (verwundert, leichthin). Darüber ließe ſich ja diskutieren, aber ich weiß nicht recht — (Sieht Fidelis fragend an.) Fidelis (raſch einfallend; ſehr heftig). Ich will aber dieſe Diskuſſion. Gerade jetzt! Ich brauche ſie. (Tritt von rechts an den Schreibtiſch, mit einem faſt drohenden Blick auf Kuno.) Kuno (ſehr verwundert). Bitte. Fidelis (nun wieder in einem rein ſachlichen Ton; lebhaft, ſehr raſch). Wenn ein junges Mädel zum erſten Mal ganz harmlos beim Schlittſchuhlaufen oder Tennisſpielen Gefallen an einem jungen Mann findet — er gefällt ihr, nicht anders als, wenn wir nicht ſo verkommen wären, eigentlich jeder Menſch jedem Menſchen gefallen müßte. Aber gleich ſteckt man die Köpfe zuſammen und wird gewiſpert und Mama fragt beſorgt, was daraus wer- den ſoll. Und ſo ja doch durchs ganze Leben! Wenn ſich eine Frau mit ihrem Tiſchherrn einmal weniger lang- weilt und darüber ein vergnügtes Geſicht macht, gleich droht ihr der Gatte gegenüber ſcherzhaft mit dem Finger und die Hausfrau ſagt: Na, na, Kinder! Alles muß immer gleich die große Liebe ſein! (Heftig.) Wie ja die meiſten Menſchen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören- ſagen und aus Beſchreibungen kennen lernen, bevor ſie ſie ſelbſt fühlen — wodurch die Gefühle nicht gerade beſſer werden. — (Noch aͤrgerlicher.) Und dann wundert ihr euch aber, wenn ſo ein armes Ding, dem immer vorgeſagt worden iſt, daß eine Frau nichts, nichts anderes empfinden kann, daß alles immer gleich wieder Liebe ſein muß, die berühmte Liebe — dann wundert ihr euch, daß das Weib <TEI> <text> <body> <div type="act"> <pb facs="#f0101" n="95"/> <sp who="#KUN"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Kuno</hi> </hi> </speaker> <stage>(verwundert, leichthin).</stage> <p>Darüber ließe ſich ja<lb/> diskutieren, aber ich weiß nicht recht — <stage>(Sieht Fidelis<lb/> fragend an.)</stage></p> </sp><lb/> <sp who="#FID"> <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker> <stage>(raſch einfallend; ſehr heftig).</stage> <p>Ich will aber<lb/> dieſe Diskuſſion. Gerade jetzt! 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Kuno (verwundert, leichthin). Darüber ließe ſich ja
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fragend an.)
Fidelis (raſch einfallend; ſehr heftig). Ich will aber
dieſe Diskuſſion. Gerade jetzt! Ich brauche ſie. (Tritt
von rechts an den Schreibtiſch, mit einem faſt drohenden
Blick auf Kuno.)
Kuno (ſehr verwundert). Bitte.
Fidelis (nun wieder in einem rein ſachlichen Ton; lebhaft,
ſehr raſch). Wenn ein junges Mädel zum erſten Mal
ganz harmlos beim Schlittſchuhlaufen oder Tennisſpielen
Gefallen an einem jungen Mann findet — er gefällt
ihr, nicht anders als, wenn wir nicht ſo verkommen wären,
eigentlich jeder Menſch jedem Menſchen gefallen müßte.
Aber gleich ſteckt man die Köpfe zuſammen und wird
gewiſpert und Mama fragt beſorgt, was daraus wer-
den ſoll. Und ſo ja doch durchs ganze Leben! Wenn ſich
eine Frau mit ihrem Tiſchherrn einmal weniger lang-
weilt und darüber ein vergnügtes Geſicht macht, gleich
droht ihr der Gatte gegenüber ſcherzhaft mit dem Finger
und die Hausfrau ſagt: Na, na, Kinder! Alles muß
immer gleich die große Liebe ſein! (Heftig.) Wie ja die
meiſten Menſchen jetzt überhaupt alle Gefühle vom Hören-
ſagen und aus Beſchreibungen kennen lernen, bevor ſie ſie
ſelbſt fühlen — wodurch die Gefühle nicht gerade beſſer
werden. — (Noch aͤrgerlicher.) Und dann wundert ihr euch
aber, wenn ſo ein armes Ding, dem immer vorgeſagt
worden iſt, daß eine Frau nichts, nichts anderes empfinden
kann, daß alles immer gleich wieder Liebe ſein muß, die
berühmte Liebe — dann wundert ihr euch, daß das Weib
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