Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.Diese Gefässe haben ihren Namen davon, dass sie durch den Nabel gehen. Nachdem der Harnsack auf der rechten Seite aus dem Leibe des Embryo tretenden Sack einen eigenen Namen zu wählen, der von dem spätern Zustande als Allantois
und Chorion verschieden ist. Der Name für seinen frühern Zustand durfte aber so gewählt werden, dass er auf alle Klassen der Wirbelthiere passt. Nun steht dieser Sack in allen Wirbelthieren, in denen er vorkommt, mit den Harnwegen in Verbindung; in der Flüssig- keit, die er enthält, ist Harnstoff, es mag dieser aus den falschen Nieren oder aus den wahren Nieren stammen, oder im Sacke selbst bereitet werden. Der Sack ist eine ausser dem Leibe liegende Harnblase, wie der Dottersack ein ausser dem Leibe liegender Theil des Darmkanals. Deshalb nannte ich ihn Harnsack, da der Ausdruck Harnblase schon ver- geben war. Der Analogie wegen habe ich nun auch den Ausdruck Dotterblase vermieden. Carus tadelt den Ausdruck Harnsack als widerwärtig, allein da man zwei Jahrtausende hin- durch die Ausdrücke Harn und Harnblase nicht widerwärtig gefunden hat, warum sollte es das Wort Harnsack mehr seyn? Ich gebe gern zu, dass die Benennung Athemblase, welche Carus allgemein eingeführt wünscht, viel Empfehlendes hat. Namentlich zeigt sich hier schon in der Benennung das Verhältniss dieser Ausstülpung zu den Kiemen. In einer gewis- sen Periode des Embryonenlebens der Wirbelthiere tritt entweder das eine oder das andere Athmungsorgan auf. Aus diesen Gründen habe ich auch versucht zu der Benennung Athemblase überzugehen -- allein ich bin vergeblich bemüht gewesen, sie durchzuführen, weil der Harn- sack nur in seiner spätern Metamorphose entweder Athmungsorgan wird -- und auch dann nur mit einer Hälfte, oder auch aus einem ganz andern Theile nur bilden hilft. Vom Men- schen musste ich nach der versuchten Benennungsweise sagen, dass die Athemblase verschwin- de, ohne jemals zum Athmen gedient zu haben. Auch hat Oken mit mehr Vortheil das Chorion der Säugethiere Athemblase genannt. -- So kehrte ich wieder zu der Benennung Harnsack zurück, die den Vorzug hat, dass sie ein ursprünglich allen Thieren gleiches Ver- hältniss bezeichnet. Nach der gewählten Benennungsweise können nun auch die Ausdrücke Chorion und Allan- tois für die Verhältnisse bleiben, die sie ursprünglich bezeichnet haben. Sie sind Weiterbil- dungen aus dem Harnsacke. Diese Gefäſse haben ihren Namen davon, daſs sie durch den Nabel gehen. Nachdem der Harnsack auf der rechten Seite aus dem Leibe des Embryo tretenden Sack einen eigenen Namen zu wählen, der von dem spätern Zustande als Allantois
und Chorion verschieden ist. Der Name für seinen frühern Zustand durfte aber so gewählt werden, daſs er auf alle Klassen der Wirbelthiere paſst. Nun steht dieser Sack in allen Wirbelthieren, in denen er vorkommt, mit den Harnwegen in Verbindung; in der Flüssig- keit, die er enthält, ist Harnstoff, es mag dieser aus den falschen Nieren oder aus den wahren Nieren stammen, oder im Sacke selbst bereitet werden. Der Sack ist eine auſser dem Leibe liegende Harnblase, wie der Dottersack ein auſser dem Leibe liegender Theil des Darmkanals. Deshalb nannte ich ihn Harnsack, da der Ausdruck Harnblase schon ver- geben war. Der Analogie wegen habe ich nun auch den Ausdruck Dotterblase vermieden. Carus tadelt den Ausdruck Harnsack als widerwärtig, allein da man zwei Jahrtausende hin- durch die Ausdrücke Harn und Harnblase nicht widerwärtig gefunden hat, warum sollte es das Wort Harnsack mehr seyn? Ich gebe gern zu, daſs die Benennung Athemblase, welche Carus allgemein eingeführt wünscht, viel Empfehlendes hat. Namentlich zeigt sich hier schon in der Benennung das Verhältniſs dieser Ausstülpung zu den Kiemen. In einer gewis- sen Periode des Embryonenlebens der Wirbelthiere tritt entweder das eine oder das andere Athmungsorgan auf. Aus diesen Gründen habe ich auch versucht zu der Benennung Athemblase überzugehen — allein ich bin vergeblich bemüht gewesen, sie durchzuführen, weil der Harn- sack nur in seiner spätern Metamorphose entweder Athmungsorgan wird — und auch dann nur mit einer Hälfte, oder auch aus einem ganz andern Theile nur bilden hilft. Vom Men- schen muſste ich nach der versuchten Benennungsweise sagen, daſs die Athemblase verschwin- de, ohne jemals zum Athmen gedient zu haben. Auch hat Oken mit mehr Vortheil das Chorion der Säugethiere Athemblase genannt. — So kehrte ich wieder zu der Benennung Harnsack zurück, die den Vorzug hat, daſs sie ein ursprünglich allen Thieren gleiches Ver- hältniſs bezeichnet. Nach der gewählten Benennungsweise können nun auch die Ausdrücke Chorion und Allan- tois für die Verhältnisse bleiben, die sie ursprünglich bezeichnet haben. Sie sind Weiterbil- dungen aus dem Harnsacke. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0064" n="54"/> <p>Diese Gefäſse haben ihren Namen davon, daſs sie durch den Nabel gehen.<lb/> Denselben Weg muſs freilich Alles nehmen, was den Embryo mit seinen Anhän-<lb/> gen verbindet, also auch die Dottersackgefäſse, weshalb man die jetzt beschrie-<lb/> benen zur bestimmtern Unterscheidung die <hi rendition="#i">Harnsackgefäſse</hi> nennen sollte.</p><lb/> <p>Nachdem der Harnsack auf der rechten Seite aus dem Leibe des Embryo<lb/> hervorgewachsen ist, breitet er sich, das Amnion überdeckend, zwischen diesem<lb/> und der serösen Hülle immer mehr aus. Er muſs bei seiner fernern Ausdehnung<lb/> auch den Dottersack umwachsen, und zwar, da er ein geschlossener Sack ist, so<lb/> umwachsen, als wenn man eine aufgeweichte und zusammengedrückte Schweins-<lb/> blase um einen Körper wickelte. Die eine Hälfte des Sackes muſs nämlich nach<lb/> innen liegen, und die umwickelten Theile (hier Amnion und Dottersack) zunächst<lb/> umgeben, die andere Hälfte, durch die zusammengedrückte Höhle des Sackes ge-<lb/> trennt, muſs nach auſsen liegen. Auf der innern Hälfte des Sackes nimmt das<lb/> Gefäſsnetz allmählig ab, und auch die rechte Nabelarterie verschwindet allmählig,<lb/> während das Gefäſsnetz in der äuſsern Hälfte des Sackes immer mehr sich ausbil-<lb/><note xml:id="seg2pn_5_2" prev="#seg2pn_5_1" place="foot" n="*)">tretenden Sack einen eigenen Namen zu wählen, der von dem spätern Zustande als Allantois<lb/> und Chorion verschieden ist. Der Name für seinen frühern Zustand durfte aber so gewählt<lb/> werden, daſs er auf alle Klassen der Wirbelthiere paſst. Nun steht dieser Sack in allen<lb/> Wirbelthieren, in denen er vorkommt, mit den Harnwegen in Verbindung; in der Flüssig-<lb/> keit, die er enthält, ist Harnstoff, es mag dieser aus den falschen Nieren oder aus den<lb/> wahren Nieren stammen, oder im Sacke selbst bereitet werden. Der Sack ist eine auſser<lb/> dem Leibe liegende Harnblase, wie der Dottersack ein auſser dem Leibe liegender Theil<lb/> des Darmkanals. Deshalb nannte ich ihn Harnsack, da der Ausdruck Harnblase schon ver-<lb/> geben war. Der Analogie wegen habe ich nun auch den Ausdruck Dotterblase vermieden.<lb/><hi rendition="#g">Carus</hi> tadelt den Ausdruck Harnsack als widerwärtig, allein da man zwei Jahrtausende hin-<lb/> durch die Ausdrücke Harn und Harnblase nicht widerwärtig gefunden hat, warum sollte es<lb/> das Wort Harnsack mehr seyn? Ich gebe gern zu, daſs die Benennung Athemblase, welche<lb/><hi rendition="#g">Carus</hi> allgemein eingeführt wünscht, viel Empfehlendes hat. Namentlich zeigt sich hier<lb/> schon in der Benennung das Verhältniſs dieser Ausstülpung zu den Kiemen. In einer gewis-<lb/> sen Periode des Embryonenlebens der Wirbelthiere tritt entweder das eine oder das andere<lb/> Athmungsorgan auf. Aus diesen Gründen habe ich auch versucht zu der Benennung Athemblase<lb/> überzugehen — allein ich bin vergeblich bemüht gewesen, sie durchzuführen, weil der Harn-<lb/> sack nur in seiner spätern Metamorphose entweder Athmungsorgan <hi rendition="#i">wird</hi> — und auch dann<lb/> nur mit einer Hälfte, oder auch aus einem ganz andern Theile nur <hi rendition="#i">bilden hilft.</hi> Vom Men-<lb/> schen muſste ich nach der versuchten Benennungsweise sagen, daſs die Athemblase verschwin-<lb/> de, ohne jemals zum Athmen gedient zu haben. Auch hat <hi rendition="#g">Oken</hi> mit mehr Vortheil das<lb/> Chorion der Säugethiere Athemblase genannt. — So kehrte ich wieder zu der Benennung<lb/> Harnsack zurück, die den Vorzug hat, daſs sie ein ursprünglich allen Thieren gleiches Ver-<lb/> hältniſs bezeichnet.<lb/> Nach der gewählten Benennungsweise können nun auch die Ausdrücke Chorion und Allan-<lb/> tois für die Verhältnisse bleiben, die sie ursprünglich bezeichnet haben. Sie sind Weiterbil-<lb/> dungen aus dem Harnsacke.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0064]
Diese Gefäſse haben ihren Namen davon, daſs sie durch den Nabel gehen.
Denselben Weg muſs freilich Alles nehmen, was den Embryo mit seinen Anhän-
gen verbindet, also auch die Dottersackgefäſse, weshalb man die jetzt beschrie-
benen zur bestimmtern Unterscheidung die Harnsackgefäſse nennen sollte.
Nachdem der Harnsack auf der rechten Seite aus dem Leibe des Embryo
hervorgewachsen ist, breitet er sich, das Amnion überdeckend, zwischen diesem
und der serösen Hülle immer mehr aus. Er muſs bei seiner fernern Ausdehnung
auch den Dottersack umwachsen, und zwar, da er ein geschlossener Sack ist, so
umwachsen, als wenn man eine aufgeweichte und zusammengedrückte Schweins-
blase um einen Körper wickelte. Die eine Hälfte des Sackes muſs nämlich nach
innen liegen, und die umwickelten Theile (hier Amnion und Dottersack) zunächst
umgeben, die andere Hälfte, durch die zusammengedrückte Höhle des Sackes ge-
trennt, muſs nach auſsen liegen. Auf der innern Hälfte des Sackes nimmt das
Gefäſsnetz allmählig ab, und auch die rechte Nabelarterie verschwindet allmählig,
während das Gefäſsnetz in der äuſsern Hälfte des Sackes immer mehr sich ausbil-
*)
*) tretenden Sack einen eigenen Namen zu wählen, der von dem spätern Zustande als Allantois
und Chorion verschieden ist. Der Name für seinen frühern Zustand durfte aber so gewählt
werden, daſs er auf alle Klassen der Wirbelthiere paſst. Nun steht dieser Sack in allen
Wirbelthieren, in denen er vorkommt, mit den Harnwegen in Verbindung; in der Flüssig-
keit, die er enthält, ist Harnstoff, es mag dieser aus den falschen Nieren oder aus den
wahren Nieren stammen, oder im Sacke selbst bereitet werden. Der Sack ist eine auſser
dem Leibe liegende Harnblase, wie der Dottersack ein auſser dem Leibe liegender Theil
des Darmkanals. Deshalb nannte ich ihn Harnsack, da der Ausdruck Harnblase schon ver-
geben war. Der Analogie wegen habe ich nun auch den Ausdruck Dotterblase vermieden.
Carus tadelt den Ausdruck Harnsack als widerwärtig, allein da man zwei Jahrtausende hin-
durch die Ausdrücke Harn und Harnblase nicht widerwärtig gefunden hat, warum sollte es
das Wort Harnsack mehr seyn? Ich gebe gern zu, daſs die Benennung Athemblase, welche
Carus allgemein eingeführt wünscht, viel Empfehlendes hat. Namentlich zeigt sich hier
schon in der Benennung das Verhältniſs dieser Ausstülpung zu den Kiemen. In einer gewis-
sen Periode des Embryonenlebens der Wirbelthiere tritt entweder das eine oder das andere
Athmungsorgan auf. Aus diesen Gründen habe ich auch versucht zu der Benennung Athemblase
überzugehen — allein ich bin vergeblich bemüht gewesen, sie durchzuführen, weil der Harn-
sack nur in seiner spätern Metamorphose entweder Athmungsorgan wird — und auch dann
nur mit einer Hälfte, oder auch aus einem ganz andern Theile nur bilden hilft. Vom Men-
schen muſste ich nach der versuchten Benennungsweise sagen, daſs die Athemblase verschwin-
de, ohne jemals zum Athmen gedient zu haben. Auch hat Oken mit mehr Vortheil das
Chorion der Säugethiere Athemblase genannt. — So kehrte ich wieder zu der Benennung
Harnsack zurück, die den Vorzug hat, daſs sie ein ursprünglich allen Thieren gleiches Ver-
hältniſs bezeichnet.
Nach der gewählten Benennungsweise können nun auch die Ausdrücke Chorion und Allan-
tois für die Verhältnisse bleiben, die sie ursprünglich bezeichnet haben. Sie sind Weiterbil-
dungen aus dem Harnsacke.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |