Velpeau, haben es nur blasig aufgetrieben gesehen, oder, wie es mir wenig- stens scheint, eben deshalb es verkannt, dass sie es nicht anders erwarteten, als eine weite Blase. So wären mir die jüngstens von Pockels beschriebenen Eier völlig unverständlich, wenn ich nicht annähme, dass die Blase, welche Pockels für das Amnion ansah, entweder die Nabelblase oder die seröse Hülle war. Pockels nämlich glaubte gefunden zu haben, dass das Amnion ursprünglich eine nach allen Seiten ausgedehnte Blase sey, gegen welche der Embryo mit sei- nem Rücken sich hineindrängt und auf diese Weise ein Verhältniss zu ihr eingeht, wie die mit serösen Häuten versehenen Organe zu ihren Bekleidungen, indem ein Theil des Sackes sich an den Rücken des Embryo anklebe, ein anderer, von der Nabelöffnung aus, in weiterem Umfange ihn umhülle. Hierfür aber spricht gar keine Analogie. Auch die seröse Bekleidung der einzelnen Organe, wie z. B. des Herzens, entsteht nicht so, dass das Organ in eine neben ihm liegende Blase sich hineinsenkt, sondern der Raum, in welchem das Organ liegt, bekommt eine Bekleidung nach allen Seiten. Mit dem Amnion ist es ganz anders. Ich habe schon berichtet, dass ich in sehr verschiedenen Säugethieren deutlich gesehen habe, dass das Amnion sich ganz eben so bildet, als im Vogel und Reptil, d. h. durch Umschlagung des animalischen Blattes, und kann nur noch hinzufügen, dass dieser Vorgang zu denen gehört, über die man nicht den geringsten Zweifel hegen darf, wenn man sie einmal gesehen hat. Er kann im Menschen nicht anders seyn. Allein er scheint anders, weil der Embryo sich so früh dreht, dass er, wenn noch der Bauch offen ist und das Amnion eng anliegt, schon den Rücken etwas gegen den Dottersack kehrt. Wenn nun bald darauf das Amnion sich schnell blasig ausdehnt, so sieht es aus, als habe der Embryo sich mit dem Rücken in das Am- nion hineingedrückt.
Dass das Amnion ein einfaches Blatt ist, dass es Anfangs vom Chorion ab- steht, aber bald früher, bald später das Chorion erreicht, ist zu bekannt, um sich länger dabei aufzuhalten.
Statt dessen wollen wir jetzt zu dem streitigsten Gegenstande in der Ent-r. Chorion. wickelungsgeschichte des Menschen, nämlich zu der Frage übergehen, ob und was für eine Allantois er habe und wie die äussere Eihaut sich zum Chorion aus- bildet. Ich werde hier die einzelnen Fragepunkte noch mehr trennen müssen, da ich glaube, dass nur noch einer der Entscheidung bedarf.
Allerdings ist es im Menschen äusserst schwer, durch unmittelbare Beob- achtung zu beweisen, dass die äussere Eihaut Anfangs ohne Blut ist, denn ge- storbene Schwangere können nicht gleich nach dem Tode untersucht werden, und Aborte, auch wenn sie gleich zur Untersuchung kommen, haben meist schon
II. M m
Velpeau, haben es nur blasig aufgetrieben gesehen, oder, wie es mir wenig- stens scheint, eben deshalb es verkannt, daſs sie es nicht anders erwarteten, als eine weite Blase. So wären mir die jüngstens von Pockels beschriebenen Eier völlig unverständlich, wenn ich nicht annähme, daſs die Blase, welche Pockels für das Amnion ansah, entweder die Nabelblase oder die seröse Hülle war. Pockels nämlich glaubte gefunden zu haben, daſs das Amnion ursprünglich eine nach allen Seiten ausgedehnte Blase sey, gegen welche der Embryo mit sei- nem Rücken sich hineindrängt und auf diese Weise ein Verhältniſs zu ihr eingeht, wie die mit serösen Häuten versehenen Organe zu ihren Bekleidungen, indem ein Theil des Sackes sich an den Rücken des Embryo anklebe, ein anderer, von der Nabelöffnung aus, in weiterem Umfange ihn umhülle. Hierfür aber spricht gar keine Analogie. Auch die seröse Bekleidung der einzelnen Organe, wie z. B. des Herzens, entsteht nicht so, daſs das Organ in eine neben ihm liegende Blase sich hineinsenkt, sondern der Raum, in welchem das Organ liegt, bekommt eine Bekleidung nach allen Seiten. Mit dem Amnion ist es ganz anders. Ich habe schon berichtet, daſs ich in sehr verschiedenen Säugethieren deutlich gesehen habe, daſs das Amnion sich ganz eben so bildet, als im Vogel und Reptil, d. h. durch Umschlagung des animalischen Blattes, und kann nur noch hinzufügen, daſs dieser Vorgang zu denen gehört, über die man nicht den geringsten Zweifel hegen darf, wenn man sie einmal gesehen hat. Er kann im Menschen nicht anders seyn. Allein er scheint anders, weil der Embryo sich so früh dreht, daſs er, wenn noch der Bauch offen ist und das Amnion eng anliegt, schon den Rücken etwas gegen den Dottersack kehrt. Wenn nun bald darauf das Amnion sich schnell blasig ausdehnt, so sieht es aus, als habe der Embryo sich mit dem Rücken in das Am- nion hineingedrückt.
Daſs das Amnion ein einfaches Blatt ist, daſs es Anfangs vom Chorion ab- steht, aber bald früher, bald später das Chorion erreicht, ist zu bekannt, um sich länger dabei aufzuhalten.
Statt dessen wollen wir jetzt zu dem streitigsten Gegenstande in der Ent-r. Chorion. wickelungsgeschichte des Menschen, nämlich zu der Frage übergehen, ob und was für eine Allantois er habe und wie die äuſsere Eihaut sich zum Chorion aus- bildet. Ich werde hier die einzelnen Fragepunkte noch mehr trennen müssen, da ich glaube, daſs nur noch einer der Entscheidung bedarf.
Allerdings ist es im Menschen äuſserst schwer, durch unmittelbare Beob- achtung zu beweisen, daſs die äuſsere Eihaut Anfangs ohne Blut ist, denn ge- storbene Schwangere können nicht gleich nach dem Tode untersucht werden, und Aborte, auch wenn sie gleich zur Untersuchung kommen, haben meist schon
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Velpeau, haben es nur blasig aufgetrieben gesehen, oder, wie es mir wenig-
stens scheint, eben deshalb es verkannt, daſs sie es nicht anders erwarteten, als
eine weite Blase. So wären mir die jüngstens von Pockels beschriebenen Eier
völlig unverständlich, wenn ich nicht annähme, daſs die Blase, welche Pockels
für das Amnion ansah, entweder die Nabelblase oder die seröse Hülle war.
Pockels nämlich glaubte gefunden zu haben, daſs das Amnion ursprünglich
eine nach allen Seiten ausgedehnte Blase sey, gegen welche der Embryo mit sei-
nem Rücken sich hineindrängt und auf diese Weise ein Verhältniſs zu ihr eingeht,
wie die mit serösen Häuten versehenen Organe zu ihren Bekleidungen, indem ein
Theil des Sackes sich an den Rücken des Embryo anklebe, ein anderer, von der
Nabelöffnung aus, in weiterem Umfange ihn umhülle. Hierfür aber spricht gar
keine Analogie. Auch die seröse Bekleidung der einzelnen Organe, wie z. B. des
Herzens, entsteht nicht so, daſs das Organ in eine neben ihm liegende Blase sich
hineinsenkt, sondern der Raum, in welchem das Organ liegt, bekommt eine
Bekleidung nach allen Seiten. Mit dem Amnion ist es ganz anders. Ich habe
schon berichtet, daſs ich in sehr verschiedenen Säugethieren deutlich gesehen
habe, daſs das Amnion sich ganz eben so bildet, als im Vogel und Reptil, d. h.
durch Umschlagung des animalischen Blattes, und kann nur noch hinzufügen, daſs
dieser Vorgang zu denen gehört, über die man nicht den geringsten Zweifel hegen
darf, wenn man sie einmal gesehen hat. Er kann im Menschen nicht anders seyn.
Allein er scheint anders, weil der Embryo sich so früh dreht, daſs er, wenn noch
der Bauch offen ist und das Amnion eng anliegt, schon den Rücken etwas gegen
den Dottersack kehrt. Wenn nun bald darauf das Amnion sich schnell blasig
ausdehnt, so sieht es aus, als habe der Embryo sich mit dem Rücken in das Am-
nion hineingedrückt.
Daſs das Amnion ein einfaches Blatt ist, daſs es Anfangs vom Chorion ab-
steht, aber bald früher, bald später das Chorion erreicht, ist zu bekannt, um
sich länger dabei aufzuhalten.
Statt dessen wollen wir jetzt zu dem streitigsten Gegenstande in der Ent-
wickelungsgeschichte des Menschen, nämlich zu der Frage übergehen, ob und
was für eine Allantois er habe und wie die äuſsere Eihaut sich zum Chorion aus-
bildet. Ich werde hier die einzelnen Fragepunkte noch mehr trennen müssen,
da ich glaube, daſs nur noch einer der Entscheidung bedarf.
r. Chorion.
Allerdings ist es im Menschen äuſserst schwer, durch unmittelbare Beob-
achtung zu beweisen, daſs die äuſsere Eihaut Anfangs ohne Blut ist, denn ge-
storbene Schwangere können nicht gleich nach dem Tode untersucht werden,
und Aborte, auch wenn sie gleich zur Untersuchung kommen, haben meist schon
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/283>, abgerufen am 16.02.2025.
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