vegetative. Die Extremitäten sind in früher Zeit denen der Vögel völlig gleich. Auch hier ist zuerst eine lange allgemeine Leiste, eine äussere Fleischschicht, als Basis für die Entwickelung der Extremitäten und der Wurzelglieder insbesondere zu erkennen. In dem vorragenden Theile ist dieselbe Gliederung, dieselbe Verän- derung der Richtung, nur dass das Endglied der vordern Extremität nie so entschie- den nach hinten gerichtet wird. Sobald in den lappen- oder flossenförmigen End- gliedern die Finger entstehen, ist die Zahl derselben sogleich die bleidende, allein die Form ist indifferent. So sind die vier Hufe des Schaafes zuerst wenig von den vier Zehen im Hinterfusse des Hundes verschieden und fast vollkommen den Hufen des Schweines gleich, indem die Nebenhufe erst allmählig zurücktreten und die Mittelhufe im Anfange mehr symmetrisch sind. Die Knochen des Mittelfusses ver- wachsen im Säugethiere aber nicht so wie im Vogel.
Auch die Kiefern wachsen erst allmählig hervor. Ihre erste Bildung erkennt man daran, dass auf den entsprechenden Enden der Bauchplatten neue Masse wu- chert. So verdicken sich die beiden ersten Kiemenbogen, nachdem die erste Kie- menspalte geschlossen ist, deren Einfluss aber noch daran kenntlich ist, dass die Wucherung durch eine Furche getheilt ist. Aus dem vordern Abschnitte dieser Wucherung, also auf dem ersten Kiemenbogen auflagernd, wird der Knochen- theil des Unterkiefers. Doch möchte ich auch die Wucherung auf dem zweiten Bogen zum Bereiche des Unterkiefers zählen, da sie ganz das Schicksal der erstern theilt und bald mit ihr verschmilzt. Hierher wächst vielleicht der Knochen der Unterkiefern, indem er breiter wird, aus, und wenigstens werden die Muskeln, die vom Unterkiefer zu dem Gerüste des Zungenbeins gehen, aus dieser Masse sich bilden. In der Tiefe der ersten Kiemenbogen bildet sich nämlich das Gerüste des Zungenbeins als Wiederholung der Rippen. Da der Unterkiefer eine auf lagernde Wucherung der ersten Kiemenbogen ist, diese aber, vom Anfange ihrer Erschei- nung an, unten geschlossen sind, so sieht man nie den Unterkiefer aus zwei Hälf- ten bestehend. Nur in so fern kann man von zwei Hälften sprechen, als die auf- lagernden Wucherungen von beiden Seiten eine Zeitlang sich nicht erreichen.
Anders ist es mit dem Oberkiefer. Wie im Vogel wächst von jeder Seite unter dem Auge ein Zapfen mit vorstehender Spitze hervor. Von der Stirn wächst eben so ein mittlerer Zapfen herab, der aber noch kürzer und breiter ist als der Stirnzapfen des Vogels am vierten Tage. Er wird mit seiner vordern Fläche zum Nasenrücken, mit der hintern Fläche zur Scheidewand und der vordern Decke der Nase, mit den Seiten zu den Zwischenkiefern. Er treibt nämlich zwei keine Sei- tenflügelchen hervor, die wie im Vogel unter der Nasengrube mit den Oberkiefern sich vereinigen. Dann aber tritt eine bedeutende Differenz ein, indem die Mitte
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vegetative. Die Extremitäten sind in früher Zeit denen der Vögel völlig gleich. Auch hier ist zuerst eine lange allgemeine Leiste, eine äuſsere Fleischschicht, als Basis für die Entwickelung der Extremitäten und der Wurzelglieder insbesondere zu erkennen. In dem vorragenden Theile ist dieselbe Gliederung, dieselbe Verän- derung der Richtung, nur daſs das Endglied der vordern Extremität nie so entschie- den nach hinten gerichtet wird. Sobald in den lappen- oder flossenförmigen End- gliedern die Finger entstehen, ist die Zahl derselben sogleich die bleidende, allein die Form ist indifferent. So sind die vier Hufe des Schaafes zuerst wenig von den vier Zehen im Hinterfuſse des Hundes verschieden und fast vollkommen den Hufen des Schweines gleich, indem die Nebenhufe erst allmählig zurücktreten und die Mittelhufe im Anfange mehr symmetrisch sind. Die Knochen des Mittelfuſses ver- wachsen im Säugethiere aber nicht so wie im Vogel.
Auch die Kiefern wachsen erst allmählig hervor. Ihre erste Bildung erkennt man daran, daſs auf den entsprechenden Enden der Bauchplatten neue Masse wu- chert. So verdicken sich die beiden ersten Kiemenbogen, nachdem die erste Kie- menspalte geschlossen ist, deren Einfluſs aber noch daran kenntlich ist, daſs die Wucherung durch eine Furche getheilt ist. Aus dem vordern Abschnitte dieser Wucherung, also auf dem ersten Kiemenbogen auflagernd, wird der Knochen- theil des Unterkiefers. Doch möchte ich auch die Wucherung auf dem zweiten Bogen zum Bereiche des Unterkiefers zählen, da sie ganz das Schicksal der erstern theilt und bald mit ihr verschmilzt. Hierher wächst vielleicht der Knochen der Unterkiefern, indem er breiter wird, aus, und wenigstens werden die Muskeln, die vom Unterkiefer zu dem Gerüste des Zungenbeins gehen, aus dieser Masse sich bilden. In der Tiefe der ersten Kiemenbogen bildet sich nämlich das Gerüste des Zungenbeins als Wiederholung der Rippen. Da der Unterkiefer eine auf lagernde Wucherung der ersten Kiemenbogen ist, diese aber, vom Anfange ihrer Erschei- nung an, unten geschlossen sind, so sieht man nie den Unterkiefer aus zwei Hälf- ten bestehend. Nur in so fern kann man von zwei Hälften sprechen, als die auf- lagernden Wucherungen von beiden Seiten eine Zeitlang sich nicht erreichen.
Anders ist es mit dem Oberkiefer. Wie im Vogel wächst von jeder Seite unter dem Auge ein Zapfen mit vorstehender Spitze hervor. Von der Stirn wächst eben so ein mittlerer Zapfen herab, der aber noch kürzer und breiter ist als der Stirnzapfen des Vogels am vierten Tage. Er wird mit seiner vordern Fläche zum Nasenrücken, mit der hintern Fläche zur Scheidewand und der vordern Decke der Nase, mit den Seiten zu den Zwischenkiefern. Er treibt nämlich zwei keine Sei- tenflügelchen hervor, die wie im Vogel unter der Nasengrube mit den Oberkiefern sich vereinigen. Dann aber tritt eine bedeutende Differenz ein, indem die Mitte
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vegetative. Die Extremitäten sind in früher Zeit denen der Vögel völlig gleich.
Auch hier ist zuerst eine lange allgemeine Leiste, eine äuſsere Fleischschicht, als
Basis für die Entwickelung der Extremitäten und der Wurzelglieder insbesondere
zu erkennen. In dem vorragenden Theile ist dieselbe Gliederung, dieselbe Verän-
derung der Richtung, nur daſs das Endglied der vordern Extremität nie so entschie-
den nach hinten gerichtet wird. Sobald in den lappen- oder flossenförmigen End-
gliedern die Finger entstehen, ist die Zahl derselben sogleich die bleidende, allein
die Form ist indifferent. So sind die vier Hufe des Schaafes zuerst wenig von den
vier Zehen im Hinterfuſse des Hundes verschieden und fast vollkommen den Hufen
des Schweines gleich, indem die Nebenhufe erst allmählig zurücktreten und die
Mittelhufe im Anfange mehr symmetrisch sind. Die Knochen des Mittelfuſses ver-
wachsen im Säugethiere aber nicht so wie im Vogel.
Auch die Kiefern wachsen erst allmählig hervor. Ihre erste Bildung erkennt
man daran, daſs auf den entsprechenden Enden der Bauchplatten neue Masse wu-
chert. So verdicken sich die beiden ersten Kiemenbogen, nachdem die erste Kie-
menspalte geschlossen ist, deren Einfluſs aber noch daran kenntlich ist, daſs die
Wucherung durch eine Furche getheilt ist. Aus dem vordern Abschnitte dieser
Wucherung, also auf dem ersten Kiemenbogen auflagernd, wird der Knochen-
theil des Unterkiefers. Doch möchte ich auch die Wucherung auf dem zweiten
Bogen zum Bereiche des Unterkiefers zählen, da sie ganz das Schicksal der erstern
theilt und bald mit ihr verschmilzt. Hierher wächst vielleicht der Knochen der
Unterkiefern, indem er breiter wird, aus, und wenigstens werden die Muskeln,
die vom Unterkiefer zu dem Gerüste des Zungenbeins gehen, aus dieser Masse sich
bilden. In der Tiefe der ersten Kiemenbogen bildet sich nämlich das Gerüste des
Zungenbeins als Wiederholung der Rippen. Da der Unterkiefer eine auf lagernde
Wucherung der ersten Kiemenbogen ist, diese aber, vom Anfange ihrer Erschei-
nung an, unten geschlossen sind, so sieht man nie den Unterkiefer aus zwei Hälf-
ten bestehend. Nur in so fern kann man von zwei Hälften sprechen, als die auf-
lagernden Wucherungen von beiden Seiten eine Zeitlang sich nicht erreichen.
Anders ist es mit dem Oberkiefer. Wie im Vogel wächst von jeder Seite
unter dem Auge ein Zapfen mit vorstehender Spitze hervor. Von der Stirn wächst
eben so ein mittlerer Zapfen herab, der aber noch kürzer und breiter ist als der
Stirnzapfen des Vogels am vierten Tage. Er wird mit seiner vordern Fläche zum
Nasenrücken, mit der hintern Fläche zur Scheidewand und der vordern Decke der
Nase, mit den Seiten zu den Zwischenkiefern. Er treibt nämlich zwei keine Sei-
tenflügelchen hervor, die wie im Vogel unter der Nasengrube mit den Oberkiefern
sich vereinigen. Dann aber tritt eine bedeutende Differenz ein, indem die Mitte
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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