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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Harnsack klein bleibt. Im Uebrigen ist aber die Weiterbildung des Harnsackes
selbst, so wie die Gestalt und Grösse die er erreicht, sehr verschieden.

Taf. IV.
Fig. 21.

Am ähnlichsten dem Vogel-Ei ist diese Weiterbildung des Harnsackes in
den Eiern der Raubthiere. Hier schiebt er sich von der rechten Seite des Embryo
über dessen Rücken fort bis an die linke Seite und würde sich überall selbst errei-
chen, wenn nicht der ansehnliche Dottersack links und unten ihn aufhielte. Den-
noch erreicht er an der Oberfläche des Eies, d. h. an der äussern Eihaut, wirklich
sich selbst, und es bleibt nur nach innen ein dreiseitiger Raum von ihm nicht aus-
gefüllt, in welchem der Dottersack liegt. In der innern, dem Amnion anliegen-
den Hälfte des Sackes entwickeln sich die Blutgefässe wenig. Diese innere Hälfte
nannten manche ältere Anatomen die mittlere Haut (Membrana media), Du-
trochet
aber Endochorion. In der obern, welche mit der äussern Haut zu
einem Chorion verwächst, wuchern sie dagegen in die Zotten dieses Chorions und
erzeugen die reichen Gefässnetze, welche den Fruchtkuchen zusammensetzen. In
beiden Hälften bleiben aber Gefässhautschicht und Schleimhautschicht völlig an
einander haften wie im Vogel-Ei.

Ganz anders ist es im Ei der Hufthiere. Der Harnsack wächst so wenig
in die Breite, dass er nicht mit einem doppelten Gewölbe das Amnion überdeckt,
sondern neben ihm liegt. Dagegen wächst er so ausserordentlich in die Länge,
dass er, so lang auch das Ei der Hufthiere von der frühesten Zeit an ist, keinen
Raum findet, sondern an beiden Enden die äussere Eihaut durchreisst und aus ihr
heraustritt. Ueberhaupt hat der Harnsack in den Hufthieren und besonders in den
Wiederkäuern die grösste Ausdehnung.

Auch lösen sich in den Hufthieren die beiden Blätter, aus denen der Harn-
sack besteht, und die in den Raubthieren wie in den Vögeln stets auf das innigste
verbunden bleiben und nur als Schichten zu unterscheiden sind, vollständig von
Taf. IV.
Fig. 22.
einander (Taf. IV. Fig. 22.). Sobald nämlich der Harnsack mit seiner äussern
Wand die Schicht festeren Eiweisses erreicht hat, welche unter der äussern Eihaut
liegt, so hebt sich das Gefässblatt vom Schleimblatte ab und die Gefässe wuchern
in jenes hinein. Die Trennung erfolgt rasch und wird dadurch vermehrt, dass
nun eine Lage dickeren Eiweisses sich unter dem Gefässblatte sammelt. Dieses
Eiweiss erreicht nach der Grösse des Eies eine Dicke von 1 bis 2 Linien. Wenn
man es aber sich mit Wasser vollsaugen lässt, kann man es um die Mitte des Em-
bryonenlebens wohl einen halben Zoll dick finden.

Wenn ich diese Substanz, sowohl als die, welche in geringerer Quantität
sich zuvörderst unter der äussern Eihaut sammelt, Eiweiss nenne, so will ich da-
mit nicht behaupten, dass sie die chemische Beschaffenheit des Eiweisses im Vo-

Harnsack klein bleibt. Im Uebrigen ist aber die Weiterbildung des Harnsackes
selbst, so wie die Gestalt und Gröſse die er erreicht, sehr verschieden.

Taf. IV.
Fig. 21.

Am ähnlichsten dem Vogel-Ei ist diese Weiterbildung des Harnsackes in
den Eiern der Raubthiere. Hier schiebt er sich von der rechten Seite des Embryo
über dessen Rücken fort bis an die linke Seite und würde sich überall selbst errei-
chen, wenn nicht der ansehnliche Dottersack links und unten ihn aufhielte. Den-
noch erreicht er an der Oberfläche des Eies, d. h. an der äuſsern Eihaut, wirklich
sich selbst, und es bleibt nur nach innen ein dreiseitiger Raum von ihm nicht aus-
gefüllt, in welchem der Dottersack liegt. In der innern, dem Amnion anliegen-
den Hälfte des Sackes entwickeln sich die Blutgefäſse wenig. Diese innere Hälfte
nannten manche ältere Anatomen die mittlere Haut (Membrana media), Du-
trochet
aber Endochorion. In der obern, welche mit der äuſsern Haut zu
einem Chorion verwächst, wuchern sie dagegen in die Zotten dieses Chorions und
erzeugen die reichen Gefäſsnetze, welche den Fruchtkuchen zusammensetzen. In
beiden Hälften bleiben aber Gefäſshautschicht und Schleimhautschicht völlig an
einander haften wie im Vogel-Ei.

Ganz anders ist es im Ei der Hufthiere. Der Harnsack wächst so wenig
in die Breite, daſs er nicht mit einem doppelten Gewölbe das Amnion überdeckt,
sondern neben ihm liegt. Dagegen wächst er so auſserordentlich in die Länge,
daſs er, so lang auch das Ei der Hufthiere von der frühesten Zeit an ist, keinen
Raum findet, sondern an beiden Enden die äuſsere Eihaut durchreiſst und aus ihr
heraustritt. Ueberhaupt hat der Harnsack in den Hufthieren und besonders in den
Wiederkäuern die gröſste Ausdehnung.

Auch lösen sich in den Hufthieren die beiden Blätter, aus denen der Harn-
sack besteht, und die in den Raubthieren wie in den Vögeln stets auf das innigste
verbunden bleiben und nur als Schichten zu unterscheiden sind, vollständig von
Taf. IV.
Fig. 22.
einander (Taf. IV. Fig. 22.). Sobald nämlich der Harnsack mit seiner äuſsern
Wand die Schicht festeren Eiweiſses erreicht hat, welche unter der äuſsern Eihaut
liegt, so hebt sich das Gefäſsblatt vom Schleimblatte ab und die Gefäſse wuchern
in jenes hinein. Die Trennung erfolgt rasch und wird dadurch vermehrt, daſs
nun eine Lage dickeren Eiweiſses sich unter dem Gefäſsblatte sammelt. Dieses
Eiweiſs erreicht nach der Gröſse des Eies eine Dicke von 1 bis 2 Linien. Wenn
man es aber sich mit Wasser vollsaugen läſst, kann man es um die Mitte des Em-
bryonenlebens wohl einen halben Zoll dick finden.

Wenn ich diese Substanz, sowohl als die, welche in geringerer Quantität
sich zuvörderst unter der äuſsern Eihaut sammelt, Eiweiſs nenne, so will ich da-
mit nicht behaupten, daſs sie die chemische Beschaffenheit des Eiweiſses im Vo-

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[194/0204] Harnsack klein bleibt. Im Uebrigen ist aber die Weiterbildung des Harnsackes selbst, so wie die Gestalt und Gröſse die er erreicht, sehr verschieden. Am ähnlichsten dem Vogel-Ei ist diese Weiterbildung des Harnsackes in den Eiern der Raubthiere. Hier schiebt er sich von der rechten Seite des Embryo über dessen Rücken fort bis an die linke Seite und würde sich überall selbst errei- chen, wenn nicht der ansehnliche Dottersack links und unten ihn aufhielte. Den- noch erreicht er an der Oberfläche des Eies, d. h. an der äuſsern Eihaut, wirklich sich selbst, und es bleibt nur nach innen ein dreiseitiger Raum von ihm nicht aus- gefüllt, in welchem der Dottersack liegt. In der innern, dem Amnion anliegen- den Hälfte des Sackes entwickeln sich die Blutgefäſse wenig. Diese innere Hälfte nannten manche ältere Anatomen die mittlere Haut (Membrana media), Du- trochet aber Endochorion. In der obern, welche mit der äuſsern Haut zu einem Chorion verwächst, wuchern sie dagegen in die Zotten dieses Chorions und erzeugen die reichen Gefäſsnetze, welche den Fruchtkuchen zusammensetzen. In beiden Hälften bleiben aber Gefäſshautschicht und Schleimhautschicht völlig an einander haften wie im Vogel-Ei. Ganz anders ist es im Ei der Hufthiere. Der Harnsack wächst so wenig in die Breite, daſs er nicht mit einem doppelten Gewölbe das Amnion überdeckt, sondern neben ihm liegt. Dagegen wächst er so auſserordentlich in die Länge, daſs er, so lang auch das Ei der Hufthiere von der frühesten Zeit an ist, keinen Raum findet, sondern an beiden Enden die äuſsere Eihaut durchreiſst und aus ihr heraustritt. Ueberhaupt hat der Harnsack in den Hufthieren und besonders in den Wiederkäuern die gröſste Ausdehnung. Auch lösen sich in den Hufthieren die beiden Blätter, aus denen der Harn- sack besteht, und die in den Raubthieren wie in den Vögeln stets auf das innigste verbunden bleiben und nur als Schichten zu unterscheiden sind, vollständig von einander (Taf. IV. Fig. 22.). Sobald nämlich der Harnsack mit seiner äuſsern Wand die Schicht festeren Eiweiſses erreicht hat, welche unter der äuſsern Eihaut liegt, so hebt sich das Gefäſsblatt vom Schleimblatte ab und die Gefäſse wuchern in jenes hinein. Die Trennung erfolgt rasch und wird dadurch vermehrt, daſs nun eine Lage dickeren Eiweiſses sich unter dem Gefäſsblatte sammelt. Dieses Eiweiſs erreicht nach der Gröſse des Eies eine Dicke von 1 bis 2 Linien. Wenn man es aber sich mit Wasser vollsaugen läſst, kann man es um die Mitte des Em- bryonenlebens wohl einen halben Zoll dick finden. Taf. IV. Fig. 22. Wenn ich diese Substanz, sowohl als die, welche in geringerer Quantität sich zuvörderst unter der äuſsern Eihaut sammelt, Eiweiſs nenne, so will ich da- mit nicht behaupten, daſs sie die chemische Beschaffenheit des Eiweiſses im Vo-

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/204>, abgerufen am 24.11.2024.