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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Was die Ausbildungsweise des Eies anlangt, so hatte man schon im 17ten
Jahrhunderte in den Eierstöcken der Säugethiere mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen
gesehen und ausführlich beschrieben, und nannte sie nach einem Beobachter der-
selben: Graaf'sche Bläschen. Da derselbe Anatom ganz kleine Eier in den Eilei-
tern (Muttertrompeten) eines Kaninchens und etwas grössere im Fruchthälter ge-
funden hatte, so zweifelte er nicht, jene im Eierstocke gefundenen Bläschen seyen
die Eier, sie würden nur weiter geführt und entwickelten sich im Fruchthälter.
Allein er konnte nicht verhehlen, dass die im Eileiter gesehenen Bläschen viel
kleiner waren als die im Eierstocke gefundenen *). Dieser Schwierigkeit un-
geachtet, und obgleich mehrere Beobachter weder in den Eileitern, noch im
Fruchthälter bald nach der Befruchtung etwas Anderes finden konnten als Flüssig-
keit, obgleich bald nachher ein oder mehrere Graaf'sche Bläschen entleert und
in eine feste Masse, das Corpus luteum, umgewandelt gefunden worden, er-
hielt sich doch die Graaf'sche Ansicht unter mehrfachen Einwürfen als die ein-
fachste und scheinbar natürlichste.

Indessen forderte der Gegenstand dringend eine neue gründliche Untersu-
chung. Haller verband sich zu diesem Zwecke mit seinem Schüler Kuhle-
mann,
und beide untersuchten Schaafe sehr häufig und von Tag zu Tage mehrere,
fanden aber zu ihrer und der anatomischen Welt Verwunderung vor dem 12ten
Tage gar nichts, dann etwas Schleim, der sich mehrte, am 17ten die ersten Spu-
ren des Eies, und am 19ten schon ein sehr grosses Ei mit dem Embryo.

Andere Thiere untersuchte Haller theils allein, theils mit einem andern
Schüler, Ith, aber auch mit demselben Erfolge. Im Hunde wurde bis zum 10ten
Tage kein Ei gesehen **).

Hiernach musste man sich zu der Ueberzeugung wenden, die Graaf'schen
Bläschen gäben für die Fortpflanzung nur eine Flüssigkeit her, aus welcher viel
später das Ei in seiner ganzen Ausdehnung sich forme, wie durch ein von innerer
Nothwendigkeit gebotenes Gerinnen.

Aber auch bei dieser Ueberzeugung konnte man nicht mit Ruhe beharren,
da ein Engländer, Cruikshank, am Ende des vorigen Jahrhunderts die Eier
der Kaninchen schon am dritten Tage nach der Befruchtung in den Eileitern
fand ***) und man dadurch wieder zu der Graaf'schen Meinung zurückzukehren
Veranlassung hatte, wofür auch eine gewisse Aehnlichkeit (wenn auch nicht

*) Graaf, De mulierum organis. 1672.
**) Haller, Opera minora Vol. II. N. XXXII.
***) Philosophical Transactions 1797, und Reils Archiv Bd. II.

Was die Ausbildungsweise des Eies anlangt, so hatte man schon im 17ten
Jahrhunderte in den Eierstöcken der Säugethiere mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen
gesehen und ausführlich beschrieben, und nannte sie nach einem Beobachter der-
selben: Graaf’sche Bläschen. Da derselbe Anatom ganz kleine Eier in den Eilei-
tern (Muttertrompeten) eines Kaninchens und etwas gröſsere im Fruchthälter ge-
funden hatte, so zweifelte er nicht, jene im Eierstocke gefundenen Bläschen seyen
die Eier, sie würden nur weiter geführt und entwickelten sich im Fruchthälter.
Allein er konnte nicht verhehlen, daſs die im Eileiter gesehenen Bläschen viel
kleiner waren als die im Eierstocke gefundenen *). Dieser Schwierigkeit un-
geachtet, und obgleich mehrere Beobachter weder in den Eileitern, noch im
Fruchthälter bald nach der Befruchtung etwas Anderes finden konnten als Flüssig-
keit, obgleich bald nachher ein oder mehrere Graaf’sche Bläschen entleert und
in eine feste Masse, das Corpus luteum, umgewandelt gefunden worden, er-
hielt sich doch die Graaf’sche Ansicht unter mehrfachen Einwürfen als die ein-
fachste und scheinbar natürlichste.

Indessen forderte der Gegenstand dringend eine neue gründliche Untersu-
chung. Haller verband sich zu diesem Zwecke mit seinem Schüler Kuhle-
mann,
und beide untersuchten Schaafe sehr häufig und von Tag zu Tage mehrere,
fanden aber zu ihrer und der anatomischen Welt Verwunderung vor dem 12ten
Tage gar nichts, dann etwas Schleim, der sich mehrte, am 17ten die ersten Spu-
ren des Eies, und am 19ten schon ein sehr groſses Ei mit dem Embryo.

Andere Thiere untersuchte Haller theils allein, theils mit einem andern
Schüler, Ith, aber auch mit demselben Erfolge. Im Hunde wurde bis zum 10ten
Tage kein Ei gesehen **).

Hiernach muſste man sich zu der Ueberzeugung wenden, die Graaf’schen
Bläschen gäben für die Fortpflanzung nur eine Flüssigkeit her, aus welcher viel
später das Ei in seiner ganzen Ausdehnung sich forme, wie durch ein von innerer
Nothwendigkeit gebotenes Gerinnen.

Aber auch bei dieser Ueberzeugung konnte man nicht mit Ruhe beharren,
da ein Engländer, Cruikshank, am Ende des vorigen Jahrhunderts die Eier
der Kaninchen schon am dritten Tage nach der Befruchtung in den Eileitern
fand ***) und man dadurch wieder zu der Graaf’schen Meinung zurückzukehren
Veranlassung hatte, wofür auch eine gewisse Aehnlichkeit (wenn auch nicht

*) Graaf, De mulierum organis. 1672.
**) Haller, Opera minora Vol. II. N. XXXII.
***) Philosophical Transactions 1797, und Reils Archiv Bd. II.
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[172/0182] Was die Ausbildungsweise des Eies anlangt, so hatte man schon im 17ten Jahrhunderte in den Eierstöcken der Säugethiere mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen gesehen und ausführlich beschrieben, und nannte sie nach einem Beobachter der- selben: Graaf’sche Bläschen. Da derselbe Anatom ganz kleine Eier in den Eilei- tern (Muttertrompeten) eines Kaninchens und etwas gröſsere im Fruchthälter ge- funden hatte, so zweifelte er nicht, jene im Eierstocke gefundenen Bläschen seyen die Eier, sie würden nur weiter geführt und entwickelten sich im Fruchthälter. Allein er konnte nicht verhehlen, daſs die im Eileiter gesehenen Bläschen viel kleiner waren als die im Eierstocke gefundenen *). Dieser Schwierigkeit un- geachtet, und obgleich mehrere Beobachter weder in den Eileitern, noch im Fruchthälter bald nach der Befruchtung etwas Anderes finden konnten als Flüssig- keit, obgleich bald nachher ein oder mehrere Graaf’sche Bläschen entleert und in eine feste Masse, das Corpus luteum, umgewandelt gefunden worden, er- hielt sich doch die Graaf’sche Ansicht unter mehrfachen Einwürfen als die ein- fachste und scheinbar natürlichste. Indessen forderte der Gegenstand dringend eine neue gründliche Untersu- chung. Haller verband sich zu diesem Zwecke mit seinem Schüler Kuhle- mann, und beide untersuchten Schaafe sehr häufig und von Tag zu Tage mehrere, fanden aber zu ihrer und der anatomischen Welt Verwunderung vor dem 12ten Tage gar nichts, dann etwas Schleim, der sich mehrte, am 17ten die ersten Spu- ren des Eies, und am 19ten schon ein sehr groſses Ei mit dem Embryo. Andere Thiere untersuchte Haller theils allein, theils mit einem andern Schüler, Ith, aber auch mit demselben Erfolge. Im Hunde wurde bis zum 10ten Tage kein Ei gesehen **). Hiernach muſste man sich zu der Ueberzeugung wenden, die Graaf’schen Bläschen gäben für die Fortpflanzung nur eine Flüssigkeit her, aus welcher viel später das Ei in seiner ganzen Ausdehnung sich forme, wie durch ein von innerer Nothwendigkeit gebotenes Gerinnen. Aber auch bei dieser Ueberzeugung konnte man nicht mit Ruhe beharren, da ein Engländer, Cruikshank, am Ende des vorigen Jahrhunderts die Eier der Kaninchen schon am dritten Tage nach der Befruchtung in den Eileitern fand ***) und man dadurch wieder zu der Graaf’schen Meinung zurückzukehren Veranlassung hatte, wofür auch eine gewisse Aehnlichkeit (wenn auch nicht *) Graaf, De mulierum organis. 1672. **) Haller, Opera minora Vol. II. N. XXXII. ***) Philosophical Transactions 1797, und Reils Archiv Bd. II.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/182>, abgerufen am 22.11.2024.