Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

denn eine andere Differenz lässt sich aus der ersten herleiten. Das Funda-
mentalorgan für die Entwickelung der Extremitäten löst sich nun nicht von
der obern (äussern), sondern von der untern (innern) Fläche des Keimes ab. Lei-
der habe ich diese Entwickelung nicht weiter verfolgen können, weil alle Eier
die über zehn Tage alt waren, verdarben, allein man kann sich das spätere Ver-
hältniss gar nicht anders entstanden denken. Hiernach wird es mir wahrschein-
lich, dass das Fundamentalorgan für die Extremitäten eine erst später eintretende
Sonderung aus der Fleischschicht des Keimes ist, und dass diese Sonderung auf
derjenigen Fläche erfolgt, an welcher Rücken- und Bauchplatten zugleich An-
theil haben. In Schildkröten haben beide an der untern Fläche Antheil, in den
andern Wirbelthieren an der obern. Bei der weitern Entwickelung müssen sich
aber die vorragenden Theile der Extremitäten vorn und hinten da hervorschie-
ben, wo die ungemeine Breite der Bauchplatten aufhört. Die Rückenplatten
scheinen nämlich am sechsten und achten Tage die Bauchplatten nach vorn zu
überragen, was wohl dahin zu deuten ist, dass diese nur im Rumpfe die unge-
wöhnliche Breite haben.

Von der spätern Entwickelung wissen wir aus einzelnen Nachrichten, vor-
züglich aber aus den Beobachtungen von Tiedemann *), dass der Embryo von
einem Amnion umhüllt wird, welches durch einen Hautnabel in die Haut des
Embryo übergeht, dass ein gefässreicher mit der Harnblase verbundener Harn-
sack sich ausbildet, der nach rechts liegt **), ohne jedoch wie im Vogel-Eie den
Embryo mit seinen Anhängen ganz zu umhüllen. Ein Dottersack hängt vermit-
telst eines Dotterganges am Darme und lässt schliessen, dass das erste Verhältniss
des Embryo zur Dotterkugel eben so ist, wie im Vogel. Auch tritt der Dotter-
sack beim Schlusse des Embryonenlebens durch den Nabel in den Leib der jun-
gen Schildkröte ein. Der Nabel befindet sich innerhalb des sogenannten Bauch-
schildes, welches eben deshalb mehr als das Brustbein der Vögel und Säugethiere
enthalten muss.

Der Embryo ist eben so gekrümmt wie der Embryo der Vögel. Auch seine
innere Organisation zeigt grosse Uebereinstimmung. Er enthält die vorüberge-
henden Nieren, auch noch in späterer Zeit zwei Botalli'sche Gänge, ein sehr gro-

thiere anschaulich machen, dass in den gewölbten Platten bei a in Fig. 8. auch wohl die An-
fänge der Bauchplatten enthalten sind.
*) Fried. Tiedemann: Zu Samuel Thomas v. Sömmerings Jubelfeier. Heidelberg 1828. 4to.
S. 23 u. folg.
**) So lehrt die Abbildung Fig. 3. a. a. O., wenn auch der Verfasser dieser Stellung nicht beson-
ders erwähnt.

denn eine andere Differenz läſst sich aus der ersten herleiten. Das Funda-
mentalorgan für die Entwickelung der Extremitäten löst sich nun nicht von
der obern (äuſsern), sondern von der untern (innern) Fläche des Keimes ab. Lei-
der habe ich diese Entwickelung nicht weiter verfolgen können, weil alle Eier
die über zehn Tage alt waren, verdarben, allein man kann sich das spätere Ver-
hältniſs gar nicht anders entstanden denken. Hiernach wird es mir wahrschein-
lich, daſs das Fundamentalorgan für die Extremitäten eine erst später eintretende
Sonderung aus der Fleischschicht des Keimes ist, und daſs diese Sonderung auf
derjenigen Fläche erfolgt, an welcher Rücken- und Bauchplatten zugleich An-
theil haben. In Schildkröten haben beide an der untern Fläche Antheil, in den
andern Wirbelthieren an der obern. Bei der weitern Entwickelung müssen sich
aber die vorragenden Theile der Extremitäten vorn und hinten da hervorschie-
ben, wo die ungemeine Breite der Bauchplatten aufhört. Die Rückenplatten
scheinen nämlich am sechsten und achten Tage die Bauchplatten nach vorn zu
überragen, was wohl dahin zu deuten ist, daſs diese nur im Rumpfe die unge-
wöhnliche Breite haben.

Von der spätern Entwickelung wissen wir aus einzelnen Nachrichten, vor-
züglich aber aus den Beobachtungen von Tiedemann *), daſs der Embryo von
einem Amnion umhüllt wird, welches durch einen Hautnabel in die Haut des
Embryo übergeht, daſs ein gefäſsreicher mit der Harnblase verbundener Harn-
sack sich ausbildet, der nach rechts liegt **), ohne jedoch wie im Vogel-Eie den
Embryo mit seinen Anhängen ganz zu umhüllen. Ein Dottersack hängt vermit-
telst eines Dotterganges am Darme und läſst schlieſsen, daſs das erste Verhältniſs
des Embryo zur Dotterkugel eben so ist, wie im Vogel. Auch tritt der Dotter-
sack beim Schlusse des Embryonenlebens durch den Nabel in den Leib der jun-
gen Schildkröte ein. Der Nabel befindet sich innerhalb des sogenannten Bauch-
schildes, welches eben deshalb mehr als das Brustbein der Vögel und Säugethiere
enthalten muſs.

Der Embryo ist eben so gekrümmt wie der Embryo der Vögel. Auch seine
innere Organisation zeigt groſse Uebereinstimmung. Er enthält die vorüberge-
henden Nieren, auch noch in späterer Zeit zwei Botalli’sche Gänge, ein sehr gro-

thiere anschaulich machen, daſs in den gewölbten Platten bei a in Fig. 8. auch wohl die An-
fänge der Bauchplatten enthalten sind.
*) Fried. Tiedemann: Zu Samuel Thomas v. Sömmerings Jubelfeier. Heidelberg 1828. 4to.
S. 23 u. folg.
**) So lehrt die Abbildung Fig. 3. a. a. O., wenn auch der Verfasser dieser Stellung nicht beson-
ders erwähnt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="156"/>
denn eine andere Differenz lä&#x017F;st sich aus der ersten herleiten. Das Funda-<lb/>
mentalorgan für die Entwickelung der Extremitäten löst sich nun nicht von<lb/>
der obern (äu&#x017F;sern), sondern von der untern (innern) Fläche des Keimes ab. Lei-<lb/>
der habe ich diese Entwickelung nicht weiter verfolgen können, weil alle Eier<lb/>
die über zehn Tage alt waren, verdarben, allein man kann sich das spätere Ver-<lb/>
hältni&#x017F;s gar nicht anders entstanden denken. Hiernach wird es mir wahrschein-<lb/>
lich, da&#x017F;s das Fundamentalorgan für die Extremitäten eine erst später eintretende<lb/>
Sonderung aus der Fleischschicht des Keimes ist, und da&#x017F;s diese Sonderung auf<lb/>
derjenigen Fläche erfolgt, an welcher Rücken- und Bauchplatten zugleich An-<lb/>
theil haben. In Schildkröten haben beide an der untern Fläche Antheil, in den<lb/>
andern Wirbelthieren an der obern. Bei der weitern Entwickelung müssen sich<lb/>
aber die vorragenden Theile der Extremitäten vorn und hinten da hervorschie-<lb/>
ben, wo die ungemeine Breite der Bauchplatten aufhört. Die Rückenplatten<lb/>
scheinen nämlich am sechsten und achten Tage die Bauchplatten nach vorn zu<lb/>
überragen, was wohl dahin zu deuten ist, da&#x017F;s diese nur im Rumpfe die unge-<lb/>
wöhnliche Breite haben.</p><lb/>
          <p>Von der spätern Entwickelung wissen wir aus einzelnen Nachrichten, vor-<lb/>
züglich aber aus den Beobachtungen von <hi rendition="#g">Tiedemann</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Fried. Tiedemann:</hi> Zu Samuel Thomas v. Sömmerings Jubelfeier. Heidelberg 1828. 4to.<lb/>
S. 23 u. folg.</note>, da&#x017F;s der Embryo von<lb/>
einem Amnion umhüllt wird, welches durch einen Hautnabel in die Haut des<lb/>
Embryo übergeht, da&#x017F;s ein gefä&#x017F;sreicher mit der Harnblase verbundener Harn-<lb/>
sack sich ausbildet, der nach rechts liegt <note place="foot" n="**)">So lehrt die Abbildung Fig. 3. a. a. O., wenn auch der Verfasser dieser Stellung nicht beson-<lb/>
ders erwähnt.</note>, ohne jedoch wie im Vogel-Eie den<lb/>
Embryo mit seinen Anhängen ganz zu umhüllen. Ein Dottersack hängt vermit-<lb/>
telst eines Dotterganges am Darme und lä&#x017F;st schlie&#x017F;sen, da&#x017F;s das erste Verhältni&#x017F;s<lb/>
des Embryo zur Dotterkugel eben so ist, wie im Vogel. Auch tritt der Dotter-<lb/>
sack beim Schlusse des Embryonenlebens durch den Nabel in den Leib der jun-<lb/>
gen Schildkröte ein. Der Nabel befindet sich innerhalb des sogenannten Bauch-<lb/>
schildes, welches eben deshalb mehr als das Brustbein der Vögel und Säugethiere<lb/>
enthalten mu&#x017F;s.</p><lb/>
          <p>Der Embryo ist eben so gekrümmt wie der Embryo der Vögel. Auch seine<lb/>
innere Organisation zeigt gro&#x017F;se Uebereinstimmung. Er enthält die vorüberge-<lb/>
henden Nieren, auch noch in späterer Zeit zwei Botalli&#x2019;sche Gänge, ein sehr gro-<lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot" n="*)">thiere anschaulich machen, da&#x017F;s in den gewölbten Platten bei <hi rendition="#i">a</hi> in Fig. 8. auch wohl die An-<lb/>
fänge der Bauchplatten enthalten sind.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0166] denn eine andere Differenz läſst sich aus der ersten herleiten. Das Funda- mentalorgan für die Entwickelung der Extremitäten löst sich nun nicht von der obern (äuſsern), sondern von der untern (innern) Fläche des Keimes ab. Lei- der habe ich diese Entwickelung nicht weiter verfolgen können, weil alle Eier die über zehn Tage alt waren, verdarben, allein man kann sich das spätere Ver- hältniſs gar nicht anders entstanden denken. Hiernach wird es mir wahrschein- lich, daſs das Fundamentalorgan für die Extremitäten eine erst später eintretende Sonderung aus der Fleischschicht des Keimes ist, und daſs diese Sonderung auf derjenigen Fläche erfolgt, an welcher Rücken- und Bauchplatten zugleich An- theil haben. In Schildkröten haben beide an der untern Fläche Antheil, in den andern Wirbelthieren an der obern. Bei der weitern Entwickelung müssen sich aber die vorragenden Theile der Extremitäten vorn und hinten da hervorschie- ben, wo die ungemeine Breite der Bauchplatten aufhört. Die Rückenplatten scheinen nämlich am sechsten und achten Tage die Bauchplatten nach vorn zu überragen, was wohl dahin zu deuten ist, daſs diese nur im Rumpfe die unge- wöhnliche Breite haben. Von der spätern Entwickelung wissen wir aus einzelnen Nachrichten, vor- züglich aber aus den Beobachtungen von Tiedemann *), daſs der Embryo von einem Amnion umhüllt wird, welches durch einen Hautnabel in die Haut des Embryo übergeht, daſs ein gefäſsreicher mit der Harnblase verbundener Harn- sack sich ausbildet, der nach rechts liegt **), ohne jedoch wie im Vogel-Eie den Embryo mit seinen Anhängen ganz zu umhüllen. Ein Dottersack hängt vermit- telst eines Dotterganges am Darme und läſst schlieſsen, daſs das erste Verhältniſs des Embryo zur Dotterkugel eben so ist, wie im Vogel. Auch tritt der Dotter- sack beim Schlusse des Embryonenlebens durch den Nabel in den Leib der jun- gen Schildkröte ein. Der Nabel befindet sich innerhalb des sogenannten Bauch- schildes, welches eben deshalb mehr als das Brustbein der Vögel und Säugethiere enthalten muſs. Der Embryo ist eben so gekrümmt wie der Embryo der Vögel. Auch seine innere Organisation zeigt groſse Uebereinstimmung. Er enthält die vorüberge- henden Nieren, auch noch in späterer Zeit zwei Botalli’sche Gänge, ein sehr gro- *) *) Fried. Tiedemann: Zu Samuel Thomas v. Sömmerings Jubelfeier. Heidelberg 1828. 4to. S. 23 u. folg. **) So lehrt die Abbildung Fig. 3. a. a. O., wenn auch der Verfasser dieser Stellung nicht beson- ders erwähnt. *) thiere anschaulich machen, daſs in den gewölbten Platten bei a in Fig. 8. auch wohl die An- fänge der Bauchplatten enthalten sind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/166
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/166>, abgerufen am 22.11.2024.