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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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richtet sind. Da nämlich der Nabel die ursprüngliche Peripherie des Leibes ist,
so wachsen die gesammten Bauchplatten und eben so die Verknorpelungen inner-
halb derselben allmählig nach dem Nabel hin. Dieser aber ist anfangs sehr weit.
So ist das Brustbein im ersten Drittheil der Brütezeit noch ungemein kurz. Die
Rippen sind also nach vorn gerichtet. So wie das Brustbein sich immer mehr
gegen den Nabel verlängert, so zieht es die Bauchenden der Rippen auch mehr nach
hinten *). Die tiefern Gesichtsknochen bilden sich in dem vordersten Ende der
Bauchplatten und sind also die untern Wirbelbogen des Kopfes **).

f. Schwanz.

Ueber die Schwanzbildung wollen wir hier nur noch bemerken, dass im er-
sten Momente kein Schwanz da ist, indem die verdauende Höhle eben so weit
reicht als die Wirbelsäule, dass dann aber der Darmkanal sich etwas zurückzieht
und allmählig noch mehr die Wirbelsäule über das Ende des Darmkanales sich
verlängert und in dieser Verlängerung bald die Wirbelabtheilungen des Schwan-
zes sich zeigen. Man kann also mit Recht sagen, dass der Schwanz mit seinen
Knochen, Muskeln u. s. w. hervorwächst oder eine Wucherung der animalischen
Abtheilung des Leibes über die vegetative ist.

g. Extremi-
täten.

Die Extremitäten des Rumpfes sind Wucherungen einer auf den Bauch- und
Rückenplatten liegenden Schicht, die man an den beiden ersten Tagen nicht er-
kennt, wohl aber schon am Uebergange in den dritten Tag. Wir haben sie des-
halb schon als eigenes Primitivorgan betrachtet (§. 6. r.) und die äussere Fleisch-
röhre genannt, ohne damit bestimmen zu wollen, ob dieses Primitivorgan so früh
da war als die andern, oder sich später gesondert hat. Wir bemerkten auch,
dass, nachdem man eine ganz kurze Zeit hindurch auf jeder Seite einen Wulst in
der ganzen Länge des Rumpfes beobachtet hat, jeder Wulst sich in zwei getrennte
Leisten, eine vordere und eine hintere sammelt, indem die Mitte unkenntlich wird,
dass von der Basis dieser Leisten aus eine Entwickelung nach oben, nach unten und
zugleich nach aussen fortschreitet. Die Entwickelung nach oben und nach unten
erzeugt den Rumpftheil der Extremität (Schulter und Becken). Der Ausgangs-
punkt dieser Entwickelung ist das Wurzelgelenk (Schulter und Hüftgelenk). Ver-
gleiche den Holzschnitt S. 77, wo d" der Ausgangspunkt der Entwickelung ist.
Die Entwickelung nach aussen erhebt den Kamm jeder Leiste zuerst in ein Blatt.

*) Noch auffallender ist die Lagenveränderung der Rippen in den Säugethieren, da in den Vögeln
auch im erwachsenen Zustande derjenige Theil des Brustbeins, an welchen sich Rippen setzen,
kurz ist. Dieses Verhältniss haben vielleicht Diejenigen nicht lebhaft genug vor Augen, die über
die Deutung des Skelettes Licht zu verbreiten suchen. Es scheint mir, dass man nicht immer
sich daran erinnert, dass das Skelett selbst nur ein Ausdruck der Gesammtorganisation ist, son-
dern ihm stillschweigend zu viel Selbstständigkeit zuschreibt.
**) Theil I. S. 25.

richtet sind. Da nämlich der Nabel die ursprüngliche Peripherie des Leibes ist,
so wachsen die gesammten Bauchplatten und eben so die Verknorpelungen inner-
halb derselben allmählig nach dem Nabel hin. Dieser aber ist anfangs sehr weit.
So ist das Brustbein im ersten Drittheil der Brütezeit noch ungemein kurz. Die
Rippen sind also nach vorn gerichtet. So wie das Brustbein sich immer mehr
gegen den Nabel verlängert, so zieht es die Bauchenden der Rippen auch mehr nach
hinten *). Die tiefern Gesichtsknochen bilden sich in dem vordersten Ende der
Bauchplatten und sind also die untern Wirbelbogen des Kopfes **).

f. Schwanz.

Ueber die Schwanzbildung wollen wir hier nur noch bemerken, daſs im er-
sten Momente kein Schwanz da ist, indem die verdauende Höhle eben so weit
reicht als die Wirbelsäule, daſs dann aber der Darmkanal sich etwas zurückzieht
und allmählig noch mehr die Wirbelsäule über das Ende des Darmkanales sich
verlängert und in dieser Verlängerung bald die Wirbelabtheilungen des Schwan-
zes sich zeigen. Man kann also mit Recht sagen, daſs der Schwanz mit seinen
Knochen, Muskeln u. s. w. hervorwächst oder eine Wucherung der animalischen
Abtheilung des Leibes über die vegetative ist.

g. Extremi-
täten.

Die Extremitäten des Rumpfes sind Wucherungen einer auf den Bauch- und
Rückenplatten liegenden Schicht, die man an den beiden ersten Tagen nicht er-
kennt, wohl aber schon am Uebergange in den dritten Tag. Wir haben sie des-
halb schon als eigenes Primitivorgan betrachtet (§. 6. r.) und die äuſsere Fleisch-
röhre genannt, ohne damit bestimmen zu wollen, ob dieses Primitivorgan so früh
da war als die andern, oder sich später gesondert hat. Wir bemerkten auch,
daſs, nachdem man eine ganz kurze Zeit hindurch auf jeder Seite einen Wulst in
der ganzen Länge des Rumpfes beobachtet hat, jeder Wulst sich in zwei getrennte
Leisten, eine vordere und eine hintere sammelt, indem die Mitte unkenntlich wird,
daſs von der Basis dieser Leisten aus eine Entwickelung nach oben, nach unten und
zugleich nach auſsen fortschreitet. Die Entwickelung nach oben und nach unten
erzeugt den Rumpftheil der Extremität (Schulter und Becken). Der Ausgangs-
punkt dieser Entwickelung ist das Wurzelgelenk (Schulter und Hüftgelenk). Ver-
gleiche den Holzschnitt S. 77, wo d″ der Ausgangspunkt der Entwickelung ist.
Die Entwickelung nach auſsen erhebt den Kamm jeder Leiste zuerst in ein Blatt.

*) Noch auffallender ist die Lagenveränderung der Rippen in den Säugethieren, da in den Vögeln
auch im erwachsenen Zustande derjenige Theil des Brustbeins, an welchen sich Rippen setzen,
kurz ist. Dieses Verhältniſs haben vielleicht Diejenigen nicht lebhaft genug vor Augen, die über
die Deutung des Skelettes Licht zu verbreiten suchen. Es scheint mir, daſs man nicht immer
sich daran erinnert, daſs das Skelett selbst nur ein Ausdruck der Gesammtorganisation ist, son-
dern ihm stillschweigend zu viel Selbstständigkeit zuschreibt.
**) Theil I. S. 25.
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[100/0110] richtet sind. Da nämlich der Nabel die ursprüngliche Peripherie des Leibes ist, so wachsen die gesammten Bauchplatten und eben so die Verknorpelungen inner- halb derselben allmählig nach dem Nabel hin. Dieser aber ist anfangs sehr weit. So ist das Brustbein im ersten Drittheil der Brütezeit noch ungemein kurz. Die Rippen sind also nach vorn gerichtet. So wie das Brustbein sich immer mehr gegen den Nabel verlängert, so zieht es die Bauchenden der Rippen auch mehr nach hinten *). Die tiefern Gesichtsknochen bilden sich in dem vordersten Ende der Bauchplatten und sind also die untern Wirbelbogen des Kopfes **). Ueber die Schwanzbildung wollen wir hier nur noch bemerken, daſs im er- sten Momente kein Schwanz da ist, indem die verdauende Höhle eben so weit reicht als die Wirbelsäule, daſs dann aber der Darmkanal sich etwas zurückzieht und allmählig noch mehr die Wirbelsäule über das Ende des Darmkanales sich verlängert und in dieser Verlängerung bald die Wirbelabtheilungen des Schwan- zes sich zeigen. Man kann also mit Recht sagen, daſs der Schwanz mit seinen Knochen, Muskeln u. s. w. hervorwächst oder eine Wucherung der animalischen Abtheilung des Leibes über die vegetative ist. Die Extremitäten des Rumpfes sind Wucherungen einer auf den Bauch- und Rückenplatten liegenden Schicht, die man an den beiden ersten Tagen nicht er- kennt, wohl aber schon am Uebergange in den dritten Tag. Wir haben sie des- halb schon als eigenes Primitivorgan betrachtet (§. 6. r.) und die äuſsere Fleisch- röhre genannt, ohne damit bestimmen zu wollen, ob dieses Primitivorgan so früh da war als die andern, oder sich später gesondert hat. Wir bemerkten auch, daſs, nachdem man eine ganz kurze Zeit hindurch auf jeder Seite einen Wulst in der ganzen Länge des Rumpfes beobachtet hat, jeder Wulst sich in zwei getrennte Leisten, eine vordere und eine hintere sammelt, indem die Mitte unkenntlich wird, daſs von der Basis dieser Leisten aus eine Entwickelung nach oben, nach unten und zugleich nach auſsen fortschreitet. Die Entwickelung nach oben und nach unten erzeugt den Rumpftheil der Extremität (Schulter und Becken). Der Ausgangs- punkt dieser Entwickelung ist das Wurzelgelenk (Schulter und Hüftgelenk). Ver- gleiche den Holzschnitt S. 77, wo d″ der Ausgangspunkt der Entwickelung ist. Die Entwickelung nach auſsen erhebt den Kamm jeder Leiste zuerst in ein Blatt. *) Noch auffallender ist die Lagenveränderung der Rippen in den Säugethieren, da in den Vögeln auch im erwachsenen Zustande derjenige Theil des Brustbeins, an welchen sich Rippen setzen, kurz ist. Dieses Verhältniſs haben vielleicht Diejenigen nicht lebhaft genug vor Augen, die über die Deutung des Skelettes Licht zu verbreiten suchen. Es scheint mir, daſs man nicht immer sich daran erinnert, daſs das Skelett selbst nur ein Ausdruck der Gesammtorganisation ist, son- dern ihm stillschweigend zu viel Selbstständigkeit zuschreibt. **) Theil I. S. 25.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/110>, abgerufen am 24.11.2024.