dennoch war schon der erste Anfang von 3 Wirbeln in jeder Platte zu erkennen, so dass ich nicht glauben kann, dass sie sich jemals vereinigt hätten, sondern ver- muthe, dass hier sich eine Rückgratsspalte gebildet haben müsste, so selten auch diese Krankheit in Vögeln vorzukommen scheint.
Mit den Rückenplatten bildet sich aber noch ein anderer Theil, den ichl. Rücken- saite. die Rückensaite (Chorda dorsalis) nenne. Dies ist ein Streifen, der gerade in der Achse der zukünftigen Wirbelsäule und also des ganzen Fötus verläuft. Er be- steht ursprünglich aus einer einfachen Reihe dunkler Kügelchen, die nach dem vordern Ende mehr zusammengedrängt, am hintern Ende mehr vereinzelt sind. Man erkennt ihn in seiner ersten Bildung wegen seiner Dünne nur, wenn das Wasser, in welchem man den Keim untersucht, sehr rein von Dotterkügelchen ist. Er nimmt darauf an Dicke und Festigkeit zu, indem die Zahl der Kügelchen in ihm sich mehrt. Das vorderste Ende ist schon sehr früh in einen runden, viel dickern Knopf ausgebildet, und die ganze Rückensaite gleicht daher schon vor dem Ende des ersten Tages einer sehr dünnen Nadel mit einem zarten Knopfe. Dieses Ansehn behält sie auch ferner, indem sie allmählig stärker wird, und sich (freilich mit dem ganzen Embryo) krümmt. Diese Saite ist offenbar übereinstim- mend mit der Knorpelsäule, welche sich in der Wirbelsäule einiger Knorpelfische während des ganzen Lebens findet. Wie bei jenen legen sich im Huhne die Wir- belkörper um die Saite, aus denen man sie bis in die Hälfte der Entwickelung, wo sie allmählig stärker wird, wie eine Schnur hervorziehen kann. Sie ist nicht nur die Achse, um welche sich die ersten Theile des Fötus bilden, sondern der wahre Maassstab für den ganzen Leib und alle Hauptsysteme.
Ihre Entstehung scheint mir mit der Entstehung der Rückenplatte gleich- zeitig. Zwar sieht man, wenn die Rückenplatten zuerst deutlich werden, die Rückensaite oft noch nicht; indessen liegen doch in der Mitte unter der Rücken- furche einzelne Kügelchen in einer geraden Linie, und diese Kugelreihe ist nichts anders, als die werdende Rückensaite. Auch habe ich deutlich gesehen, dass bei stark gewölbten Primitivstreifen die Rückensaite bestimmt schon da war, ohne Spur von Rückenplatten. Die Norm der Entwickelung scheint also darin zu be- stehen, dass der Primitivstreifen, bald nach seiner Entstehung, in zwei Seitenhälf- ten, die Rückenplatten, und einen mittlern Streifen, die Rückensaite, sich scheidet, und zwar so, dass ziemlich zugleich beide Theile entstehen, aber zu Anfange die Entwickelung nach den Seitentheilen rascher geht, wenigstens deutlicher bemerkt wird.
Die Rückensaite nun ist es, welche von allen Beobachtern, die das Rücken- mark sehr früh gesehen haben wollen, für dieses Organ gehalten worden ist; denn
dennoch war schon der erste Anfang von 3 Wirbeln in jeder Platte zu erkennen, so daſs ich nicht glauben kann, daſs sie sich jemals vereinigt hätten, sondern ver- muthe, daſs hier sich eine Rückgratsspalte gebildet haben müſste, so selten auch diese Krankheit in Vögeln vorzukommen scheint.
Mit den Rückenplatten bildet sich aber noch ein anderer Theil, den ichl. Rücken- saite. die Rückensaite (Chorda dorsalis) nenne. Dies ist ein Streifen, der gerade in der Achse der zukünftigen Wirbelsäule und also des ganzen Fötus verläuft. Er be- steht ursprünglich aus einer einfachen Reihe dunkler Kügelchen, die nach dem vordern Ende mehr zusammengedrängt, am hintern Ende mehr vereinzelt sind. Man erkennt ihn in seiner ersten Bildung wegen seiner Dünne nur, wenn das Wasser, in welchem man den Keim untersucht, sehr rein von Dotterkügelchen ist. Er nimmt darauf an Dicke und Festigkeit zu, indem die Zahl der Kügelchen in ihm sich mehrt. Das vorderste Ende ist schon sehr früh in einen runden, viel dickern Knopf ausgebildet, und die ganze Rückensaite gleicht daher schon vor dem Ende des ersten Tages einer sehr dünnen Nadel mit einem zarten Knopfe. Dieses Ansehn behält sie auch ferner, indem sie allmählig stärker wird, und sich (freilich mit dem ganzen Embryo) krümmt. Diese Saite ist offenbar übereinstim- mend mit der Knorpelsäule, welche sich in der Wirbelsäule einiger Knorpelfische während des ganzen Lebens findet. Wie bei jenen legen sich im Huhne die Wir- belkörper um die Saite, aus denen man sie bis in die Hälfte der Entwickelung, wo sie allmählig stärker wird, wie eine Schnur hervorziehen kann. Sie ist nicht nur die Achse, um welche sich die ersten Theile des Fötus bilden, sondern der wahre Maaſsstab für den ganzen Leib und alle Hauptsysteme.
Ihre Entstehung scheint mir mit der Entstehung der Rückenplatte gleich- zeitig. Zwar sieht man, wenn die Rückenplatten zuerst deutlich werden, die Rückensaite oft noch nicht; indessen liegen doch in der Mitte unter der Rücken- furche einzelne Kügelchen in einer geraden Linie, und diese Kugelreihe ist nichts anders, als die werdende Rückensaite. Auch habe ich deutlich gesehen, daſs bei stark gewölbten Primitivstreifen die Rückensaite bestimmt schon da war, ohne Spur von Rückenplatten. Die Norm der Entwickelung scheint also darin zu be- stehen, daſs der Primitivstreifen, bald nach seiner Entstehung, in zwei Seitenhälf- ten, die Rückenplatten, und einen mittlern Streifen, die Rückensaite, sich scheidet, und zwar so, daſs ziemlich zugleich beide Theile entstehen, aber zu Anfange die Entwickelung nach den Seitentheilen rascher geht, wenigstens deutlicher bemerkt wird.
Die Rückensaite nun ist es, welche von allen Beobachtern, die das Rücken- mark sehr früh gesehen haben wollen, für dieses Organ gehalten worden ist; denn
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[15/0045]
dennoch war schon der erste Anfang von 3 Wirbeln in jeder Platte zu erkennen,
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muthe, daſs hier sich eine Rückgratsspalte gebildet haben müſste, so selten auch
diese Krankheit in Vögeln vorzukommen scheint.
Mit den Rückenplatten bildet sich aber noch ein anderer Theil, den ich
die Rückensaite (Chorda dorsalis) nenne. Dies ist ein Streifen, der gerade in der
Achse der zukünftigen Wirbelsäule und also des ganzen Fötus verläuft. Er be-
steht ursprünglich aus einer einfachen Reihe dunkler Kügelchen, die nach dem
vordern Ende mehr zusammengedrängt, am hintern Ende mehr vereinzelt sind.
Man erkennt ihn in seiner ersten Bildung wegen seiner Dünne nur, wenn das
Wasser, in welchem man den Keim untersucht, sehr rein von Dotterkügelchen
ist. Er nimmt darauf an Dicke und Festigkeit zu, indem die Zahl der Kügelchen
in ihm sich mehrt. Das vorderste Ende ist schon sehr früh in einen runden, viel
dickern Knopf ausgebildet, und die ganze Rückensaite gleicht daher schon vor
dem Ende des ersten Tages einer sehr dünnen Nadel mit einem zarten Knopfe.
Dieses Ansehn behält sie auch ferner, indem sie allmählig stärker wird, und sich
(freilich mit dem ganzen Embryo) krümmt. Diese Saite ist offenbar übereinstim-
mend mit der Knorpelsäule, welche sich in der Wirbelsäule einiger Knorpelfische
während des ganzen Lebens findet. Wie bei jenen legen sich im Huhne die Wir-
belkörper um die Saite, aus denen man sie bis in die Hälfte der Entwickelung,
wo sie allmählig stärker wird, wie eine Schnur hervorziehen kann. Sie ist nicht
nur die Achse, um welche sich die ersten Theile des Fötus bilden, sondern der
wahre Maaſsstab für den ganzen Leib und alle Hauptsysteme.
l. Rücken-
saite.
Ihre Entstehung scheint mir mit der Entstehung der Rückenplatte gleich-
zeitig. Zwar sieht man, wenn die Rückenplatten zuerst deutlich werden, die
Rückensaite oft noch nicht; indessen liegen doch in der Mitte unter der Rücken-
furche einzelne Kügelchen in einer geraden Linie, und diese Kugelreihe ist nichts
anders, als die werdende Rückensaite. Auch habe ich deutlich gesehen, daſs bei
stark gewölbten Primitivstreifen die Rückensaite bestimmt schon da war, ohne
Spur von Rückenplatten. Die Norm der Entwickelung scheint also darin zu be-
stehen, daſs der Primitivstreifen, bald nach seiner Entstehung, in zwei Seitenhälf-
ten, die Rückenplatten, und einen mittlern Streifen, die Rückensaite, sich scheidet,
und zwar so, daſs ziemlich zugleich beide Theile entstehen, aber zu Anfange die
Entwickelung nach den Seitentheilen rascher geht, wenigstens deutlicher bemerkt
wird.
Die Rückensaite nun ist es, welche von allen Beobachtern, die das Rücken-
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/45>, abgerufen am 16.02.2025.
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