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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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wickelung des Hirnes, da wir überall finden, dass, je mehr das Hirn das Rücken-
mark überwiegt, um so mehr es sich über dasselbe erhebt. Ist diese Bemerkung
gegründet, so lassen sich alle körperliche Unterschiede zwischen dem Menschen
und andern Thieren auf die Hirnbildung zurückführen, und dann ist auch der
Vorzug des Menschen nur ein einseitiger, wenn auch der wichtigste. Man muss
in der That vom Vorurtheil eingenommen seyn, wenn man nicht den Magen des
Rindviehes, der das Gras in Chylus umwandelt, für vollkommner hält, als den
Magen des Menschen.

Viertes Corollarium.
Eintheilung der Thiere nach der Entwickelungsweise.
a. Blick
auf die Pflan-
zen und ihre
Eintheilung.

Es ist in der That merkwürdig, dass man von den Thieren behauptet hat,
ihr Embryo durchlaufe die Formen anderer Thiere, die man für die niedern hält,
während etwas Aehnliches von den Pflanzen nie behauptet ist. Noch hat kein
Botaniker zu beweisen gesucht, dass der Embryo der dicotyledonischen Pflanzen
anfänglich monocotyledonisch sey, oder umgekehrt. Der Unterschied zwischen
den Monocotyledonen und Dicotyledonen besteht aber nur in einer Verschiedenheit
des Bildungstypus -- und so bestätigt es sich auch hier, dass der Typus gleich
anfangs bestimmt wird, einen ganz kurzen Moment etwa abgerechnet, wo äusser-
lich wenigstens kein Typus kenntlich ist. -- Es bewährt sich ferner gleichfalls
an den Pflanzen, dass in der Entwickelung zuerst die allgemeinere Form sich
zeigt und aus dieser die speciellere sich entwickelt; denn die Samenblätter sind
roh und wenig geformt, für eine Menge Pflanzen gleich, nur im Typus ver-
schieden, und darauf erst entwickeln sich die speciellen Formen der Blätter,
Knoten und Internodien, welche die individuelle Pflanzenform bestimmen.

Wir können vielleicht noch mehr von den Botanikern lernen. Sie haben
das Reich der Pflanzen in grössere Provinzen nach der Entwickelungsweise des
Embryo eingetheilt in Acotyledonen, Monocotyledonen, Dicotyledonen. Man
könnte und sollte, demselben Principe folgend, das Reich der Thiere nach der
Entwickelungsweise eintheilen.

Indessen dürfte man einwenden, dass ja die Bildung der Cotyledonen, als
der ersten Blätter, mit der spätern Form der blattförmigen Entwickelungen über-
einstimmt, und dass die Eintheilung der Pflanzen nach den Samenblättern eben
nichts ist, als eine Eintheilung nach dem Typus der blattförmigen Bildungen
selbst, und also nach dem Bildungstypus der ganzen Pflanze. Diese Bemerkung
ist sehr richtig, aber sie beweist nicht, dass die Eintheilung nach den Samen-

wickelung des Hirnes, da wir überall finden, daſs, je mehr das Hirn das Rücken-
mark überwiegt, um so mehr es sich über dasselbe erhebt. Ist diese Bemerkung
gegründet, so lassen sich alle körperliche Unterschiede zwischen dem Menschen
und andern Thieren auf die Hirnbildung zurückführen, und dann ist auch der
Vorzug des Menschen nur ein einseitiger, wenn auch der wichtigste. Man muſs
in der That vom Vorurtheil eingenommen seyn, wenn man nicht den Magen des
Rindviehes, der das Gras in Chylus umwandelt, für vollkommner hält, als den
Magen des Menschen.

Viertes Corollarium.
Eintheilung der Thiere nach der Entwickelungsweise.
a. Blick
auf die Pflan-
zen und ihre
Eintheilung.

Es ist in der That merkwürdig, daſs man von den Thieren behauptet hat,
ihr Embryo durchlaufe die Formen anderer Thiere, die man für die niedern hält,
während etwas Aehnliches von den Pflanzen nie behauptet ist. Noch hat kein
Botaniker zu beweisen gesucht, daſs der Embryo der dicotyledonischen Pflanzen
anfänglich monocotyledonisch sey, oder umgekehrt. Der Unterschied zwischen
den Monocotyledonen und Dicotyledonen besteht aber nur in einer Verschiedenheit
des Bildungstypus — und so bestätigt es sich auch hier, daſs der Typus gleich
anfangs bestimmt wird, einen ganz kurzen Moment etwa abgerechnet, wo äuſser-
lich wenigstens kein Typus kenntlich ist. — Es bewährt sich ferner gleichfalls
an den Pflanzen, daſs in der Entwickelung zuerst die allgemeinere Form sich
zeigt und aus dieser die speciellere sich entwickelt; denn die Samenblätter sind
roh und wenig geformt, für eine Menge Pflanzen gleich, nur im Typus ver-
schieden, und darauf erst entwickeln sich die speciellen Formen der Blätter,
Knoten und Internodien, welche die individuelle Pflanzenform bestimmen.

Wir können vielleicht noch mehr von den Botanikern lernen. Sie haben
das Reich der Pflanzen in gröſsere Provinzen nach der Entwickelungsweise des
Embryo eingetheilt in Acotyledonen, Monocotyledonen, Dicotyledonen. Man
könnte und sollte, demselben Principe folgend, das Reich der Thiere nach der
Entwickelungsweise eintheilen.

Indessen dürfte man einwenden, daſs ja die Bildung der Cotyledonen, als
der ersten Blätter, mit der spätern Form der blattförmigen Entwickelungen über-
einstimmt, und daſs die Eintheilung der Pflanzen nach den Samenblättern eben
nichts ist, als eine Eintheilung nach dem Typus der blattförmigen Bildungen
selbst, und also nach dem Bildungstypus der ganzen Pflanze. Diese Bemerkung
ist sehr richtig, aber sie beweist nicht, daſs die Eintheilung nach den Samen-

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[242/0274] wickelung des Hirnes, da wir überall finden, daſs, je mehr das Hirn das Rücken- mark überwiegt, um so mehr es sich über dasselbe erhebt. Ist diese Bemerkung gegründet, so lassen sich alle körperliche Unterschiede zwischen dem Menschen und andern Thieren auf die Hirnbildung zurückführen, und dann ist auch der Vorzug des Menschen nur ein einseitiger, wenn auch der wichtigste. Man muſs in der That vom Vorurtheil eingenommen seyn, wenn man nicht den Magen des Rindviehes, der das Gras in Chylus umwandelt, für vollkommner hält, als den Magen des Menschen. Viertes Corollarium. Eintheilung der Thiere nach der Entwickelungsweise. Es ist in der That merkwürdig, daſs man von den Thieren behauptet hat, ihr Embryo durchlaufe die Formen anderer Thiere, die man für die niedern hält, während etwas Aehnliches von den Pflanzen nie behauptet ist. Noch hat kein Botaniker zu beweisen gesucht, daſs der Embryo der dicotyledonischen Pflanzen anfänglich monocotyledonisch sey, oder umgekehrt. Der Unterschied zwischen den Monocotyledonen und Dicotyledonen besteht aber nur in einer Verschiedenheit des Bildungstypus — und so bestätigt es sich auch hier, daſs der Typus gleich anfangs bestimmt wird, einen ganz kurzen Moment etwa abgerechnet, wo äuſser- lich wenigstens kein Typus kenntlich ist. — Es bewährt sich ferner gleichfalls an den Pflanzen, daſs in der Entwickelung zuerst die allgemeinere Form sich zeigt und aus dieser die speciellere sich entwickelt; denn die Samenblätter sind roh und wenig geformt, für eine Menge Pflanzen gleich, nur im Typus ver- schieden, und darauf erst entwickeln sich die speciellen Formen der Blätter, Knoten und Internodien, welche die individuelle Pflanzenform bestimmen. Wir können vielleicht noch mehr von den Botanikern lernen. Sie haben das Reich der Pflanzen in gröſsere Provinzen nach der Entwickelungsweise des Embryo eingetheilt in Acotyledonen, Monocotyledonen, Dicotyledonen. Man könnte und sollte, demselben Principe folgend, das Reich der Thiere nach der Entwickelungsweise eintheilen. Indessen dürfte man einwenden, daſs ja die Bildung der Cotyledonen, als der ersten Blätter, mit der spätern Form der blattförmigen Entwickelungen über- einstimmt, und daſs die Eintheilung der Pflanzen nach den Samenblättern eben nichts ist, als eine Eintheilung nach dem Typus der blattförmigen Bildungen selbst, und also nach dem Bildungstypus der ganzen Pflanze. Diese Bemerkung ist sehr richtig, aber sie beweist nicht, daſs die Eintheilung nach den Samen-

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/274>, abgerufen am 22.11.2024.