Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828."gar keine Luft; überhaupt fehlen ihnen die Luftsäcke und die Lungen sind nicht Soll es ein Naturgesetz seyn, dass die Entwickelung des Individuums darin 1) in Embryonen keine Verhältnisse vorkommen, die nicht wenigstens 2) So wie aber die Verhältnisse des Embryo in ihm Formen erzeugen, 3) Es müsste ferner der Embryo höherer Thiere auf jeder Bildungsstufe „gar keine Luft; überhaupt fehlen ihnen die Luftsäcke und die Lungen sind nicht Soll es ein Naturgesetz seyn, daſs die Entwickelung des Individuums darin 1) in Embryonen keine Verhältnisse vorkommen, die nicht wenigstens 2) So wie aber die Verhältnisse des Embryo in ihm Formen erzeugen, 3) Es müſste ferner der Embryo höherer Thiere auf jeder Bildungsstufe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0234" n="204"/> „gar keine Luft; überhaupt fehlen ihnen die Luftsäcke und die Lungen sind nicht<lb/> „angewachsen, wie die unsrigen in frühester Zeit; ein Kropf fehlt ihnen ganz;<lb/> „Vormagen und Muskelmagen sind mehr oder weniger in Einen Sack verflossen;<lb/> „lauter Verhältnisse, die bei uns rasch vorübergehen, und die Nägel sind bei den<lb/> „meisten so ungeschickt breit, wie bei uns vor dem Auskriechen; an der Fähig-<lb/> „keit zu fliegen haben allein die Fledermäuse, die die vollkommensten scheinen,<lb/> „Theil, die übrigen nicht. Und diese Säugethiere, die so lange nach der Ge-<lb/> „burt ihr Futter nicht selbst suchen können, nie sich frei vom Erdboden erheben,<lb/> „wollen höher organisirt seyn, als wir?”</p><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#i">b. Einwürfe.</hi> </note> <p>Soll es ein Naturgesetz seyn, daſs die Entwickelung des Individuums darin<lb/><hi rendition="#i">besteht,</hi> bleibende Thierformen niederer Ausbildung zu durchlaufen, so müſsten:</p><lb/> <p>1) in Embryonen keine Verhältnisse vorkommen, die nicht wenigstens<lb/> in einzelnen Thieren bleibend sind. Es giebt aber kein Thier, welches seinen<lb/> Nahrungsstoff mit sich herumtrüge, wie der Embryo den Dotter. Kein Thier<lb/> hat einen heraushängenden Darmtheil, wie der Dottersack ist. Aus der Entwik-<lb/> kelungsgeschichte der Vögel und einiger Säugethiere (besonders der Raubthiere),<lb/> wo dieser Dottersack sehr lange besteht, zu einer Zeit besteht, wo alle Verhält-<lb/> nisse des Vogel- und Säugthierleibes entweder die Ausbildung erreicht haben oder<lb/> ihr nahe sind, sollte man aber schlieſsen, daſs es recht viele solche Thiere gäbe. —<lb/> In den Säugethieren treten unter allen Zähnen die Schneidezähne zuerst hervor.<lb/> Kein Thier dagegen hat ein bleibendes Gebiſs, welches bloſs Vorderzähne ent-<lb/> hielte.</p><lb/> <p>2) So wie aber die Verhältnisse des Embryo in ihm Formen erzeugen,<lb/> welche in keinem erwachsenen Thiere vorkommen, wie der heraushängende Darm-<lb/> sack, eben so machen sie es ihm unmöglich, manche groſse Thiergruppen zu wie-<lb/> derholen. Alle Embryonen sind von Flüssigkeit umgeben, vermögen also nicht<lb/> unmittelbar Luft zu athmen. So kann schon der wesentliche Character der In-<lb/> secten, die lebhafte Beziehung zur Luft, sich nie in ihnen wiederholen. Des-<lb/> halb können auch die Säugthier-Embryonen nie den ausgebildeten Vögeln glei-<lb/> chen.</p><lb/> <p>3) Es müſste ferner der Embryo höherer Thiere auf jeder Bildungsstufe<lb/> nicht mit einer Einzelheit einer bleibenden Thierform übereinstimmen, sondern<lb/> mit seiner Gesammtheit, auch wenn die eigenthümlichen Verhältnisse des Embryo<lb/> gewisse Uebereinstimmungen ausschlieſsen. Wollte man nämlich auch einräu-<lb/> men, daſs dem Embryo, als solchem, gewisse Verhältnisse eigenthümlich und<lb/> bleibend seyn müssen, daſs er z. B. nur, weil er als Embryo vom mütterlichen<lb/> Körper Nahrungsstoff mitnehmen muſs, einen heraushängenden Dottersack habe,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [204/0234]
„gar keine Luft; überhaupt fehlen ihnen die Luftsäcke und die Lungen sind nicht
„angewachsen, wie die unsrigen in frühester Zeit; ein Kropf fehlt ihnen ganz;
„Vormagen und Muskelmagen sind mehr oder weniger in Einen Sack verflossen;
„lauter Verhältnisse, die bei uns rasch vorübergehen, und die Nägel sind bei den
„meisten so ungeschickt breit, wie bei uns vor dem Auskriechen; an der Fähig-
„keit zu fliegen haben allein die Fledermäuse, die die vollkommensten scheinen,
„Theil, die übrigen nicht. Und diese Säugethiere, die so lange nach der Ge-
„burt ihr Futter nicht selbst suchen können, nie sich frei vom Erdboden erheben,
„wollen höher organisirt seyn, als wir?”
Soll es ein Naturgesetz seyn, daſs die Entwickelung des Individuums darin
besteht, bleibende Thierformen niederer Ausbildung zu durchlaufen, so müſsten:
1) in Embryonen keine Verhältnisse vorkommen, die nicht wenigstens
in einzelnen Thieren bleibend sind. Es giebt aber kein Thier, welches seinen
Nahrungsstoff mit sich herumtrüge, wie der Embryo den Dotter. Kein Thier
hat einen heraushängenden Darmtheil, wie der Dottersack ist. Aus der Entwik-
kelungsgeschichte der Vögel und einiger Säugethiere (besonders der Raubthiere),
wo dieser Dottersack sehr lange besteht, zu einer Zeit besteht, wo alle Verhält-
nisse des Vogel- und Säugthierleibes entweder die Ausbildung erreicht haben oder
ihr nahe sind, sollte man aber schlieſsen, daſs es recht viele solche Thiere gäbe. —
In den Säugethieren treten unter allen Zähnen die Schneidezähne zuerst hervor.
Kein Thier dagegen hat ein bleibendes Gebiſs, welches bloſs Vorderzähne ent-
hielte.
2) So wie aber die Verhältnisse des Embryo in ihm Formen erzeugen,
welche in keinem erwachsenen Thiere vorkommen, wie der heraushängende Darm-
sack, eben so machen sie es ihm unmöglich, manche groſse Thiergruppen zu wie-
derholen. Alle Embryonen sind von Flüssigkeit umgeben, vermögen also nicht
unmittelbar Luft zu athmen. So kann schon der wesentliche Character der In-
secten, die lebhafte Beziehung zur Luft, sich nie in ihnen wiederholen. Des-
halb können auch die Säugthier-Embryonen nie den ausgebildeten Vögeln glei-
chen.
3) Es müſste ferner der Embryo höherer Thiere auf jeder Bildungsstufe
nicht mit einer Einzelheit einer bleibenden Thierform übereinstimmen, sondern
mit seiner Gesammtheit, auch wenn die eigenthümlichen Verhältnisse des Embryo
gewisse Uebereinstimmungen ausschlieſsen. Wollte man nämlich auch einräu-
men, daſs dem Embryo, als solchem, gewisse Verhältnisse eigenthümlich und
bleibend seyn müssen, daſs er z. B. nur, weil er als Embryo vom mütterlichen
Körper Nahrungsstoff mitnehmen muſs, einen heraushängenden Dottersack habe,
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