ren Jahren bereits Gelegenheit, ein Paar kleine, durchsichtige Individuen in den Kiemen von Muscheln zu finden. Alle spätern Bemühungen haben mir nur ein- mal lebendigen Barschlaich verschafft, der in zweien Tagen abstarb, noch ehe es zur Entwickelung eines Gefässsystems kam, so dass meine Kenntniss des Fisch- embryo viel mangelhafter ist, als die der andern Wirbelthiere, da ich Amphibien und Säugethiere wohl untersucht habe.
Dennoch habe ich nicht angestanden, jene Umrisse schon jetzt zu geben, weil einige Jahre in dem Leben eines einzelnen Beobachters wohl nur wenig in ih- nen ändern werden, und weil Niemand sicher ist, ob die vorgefasste Meinung nicht auf sein Auge mehr einwirkt, als er glaubt und weiss. Deswegen hoffe ich Dank zu verdienen, wenn ich sie jetzt gebe, und zur Prüfung und Berichtigung auffordere; denn irrige, aber bestimmt ausgesprochene allgemeine Resultate, haben durch die Berichtigung, die sie veranlassen, und die schärfere Beach- tung aller Verhältnisse, zu der sie nöthigen, der Wissenschaft fast immer mehr genützt, als vorsichtiges Zurückhalten in dieser Sphäre. Anders ist es mit der Beobachtung. Diese kann nie genau genug seyn.
Erfolgreicher ist es freilich für die Anerkenntniss unserer Bemühun- gen, solcher allgemeinen Resultate sich so viel möglich zu enthalten. Man bekämpft diese Aussprüche, wenn sie zu allgemein scheinen und übersieht nur zu leicht alles Andere darüber. Das habe ich nicht übersehen können, da die Geschichte der Arbeiten über die Entwickelung der Thiere mich nur zu lebhaft daran erinnert. An Oken's Untersuchungen über die Entwicke- lung der Säugethiere hat sich der stumpfeste Witz geübt und hat nicht auf- gehört den allgemeinen Resultaten, die er ausspricht, zu widersprechen. Darüber scheint man aber fast nicht anerkennen zu wollen, welchen Werth die unmittelbare Beobachtung in diesen Untersuchungen hat. Sie gehört offenbar zu den genauesten, die wir über Säugethiere besitzen, und die all- gemeinen Sätze, obgleich ein grosser Theil von ihnen jetzt als irrig erschei-
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ren Jahren bereits Gelegenheit, ein Paar kleine, durchsichtige Individuen in den Kiemen von Muscheln zu finden. Alle spätern Bemühungen haben mir nur ein- mal lebendigen Barschlaich verschafft, der in zweien Tagen abstarb, noch ehe es zur Entwickelung eines Gefäſssystems kam, so daſs meine Kenntniſs des Fisch- embryo viel mangelhafter ist, als die der andern Wirbelthiere, da ich Amphibien und Säugethiere wohl untersucht habe.
Dennoch habe ich nicht angestanden, jene Umrisse schon jetzt zu geben, weil einige Jahre in dem Leben eines einzelnen Beobachters wohl nur wenig in ih- nen ändern werden, und weil Niemand sicher ist, ob die vorgefaſste Meinung nicht auf sein Auge mehr einwirkt, als er glaubt und weiſs. Deswegen hoffe ich Dank zu verdienen, wenn ich sie jetzt gebe, und zur Prüfung und Berichtigung auffordere; denn irrige, aber bestimmt ausgesprochene allgemeine Resultate, haben durch die Berichtigung, die sie veranlassen, und die schärfere Beach- tung aller Verhältnisse, zu der sie nöthigen, der Wissenschaft fast immer mehr genützt, als vorsichtiges Zurückhalten in dieser Sphäre. Anders ist es mit der Beobachtung. Diese kann nie genau genug seyn.
Erfolgreicher ist es freilich für die Anerkenntniſs unserer Bemühun- gen, solcher allgemeinen Resultate sich so viel möglich zu enthalten. Man bekämpft diese Aussprüche, wenn sie zu allgemein scheinen und übersieht nur zu leicht alles Andere darüber. Das habe ich nicht übersehen können, da die Geschichte der Arbeiten über die Entwickelung der Thiere mich nur zu lebhaft daran erinnert. An Oken’s Untersuchungen über die Entwicke- lung der Säugethiere hat sich der stumpfeste Witz geübt und hat nicht auf- gehört den allgemeinen Resultaten, die er ausspricht, zu widersprechen. Darüber scheint man aber fast nicht anerkennen zu wollen, welchen Werth die unmittelbare Beobachtung in diesen Untersuchungen hat. Sie gehört offenbar zu den genauesten, die wir über Säugethiere besitzen, und die all- gemeinen Sätze, obgleich ein groſser Theil von ihnen jetzt als irrig erschei-
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[XVII/0023]
ren Jahren bereits Gelegenheit, ein Paar kleine, durchsichtige Individuen in den
Kiemen von Muscheln zu finden. Alle spätern Bemühungen haben mir nur ein-
mal lebendigen Barschlaich verschafft, der in zweien Tagen abstarb, noch ehe es
zur Entwickelung eines Gefäſssystems kam, so daſs meine Kenntniſs des Fisch-
embryo viel mangelhafter ist, als die der andern Wirbelthiere, da ich Amphibien
und Säugethiere wohl untersucht habe.
Dennoch habe ich nicht angestanden, jene Umrisse schon jetzt zu geben,
weil einige Jahre in dem Leben eines einzelnen Beobachters wohl nur wenig in ih-
nen ändern werden, und weil Niemand sicher ist, ob die vorgefaſste Meinung nicht
auf sein Auge mehr einwirkt, als er glaubt und weiſs. Deswegen hoffe ich Dank
zu verdienen, wenn ich sie jetzt gebe, und zur Prüfung und Berichtigung
auffordere; denn irrige, aber bestimmt ausgesprochene allgemeine Resultate,
haben durch die Berichtigung, die sie veranlassen, und die schärfere Beach-
tung aller Verhältnisse, zu der sie nöthigen, der Wissenschaft fast immer
mehr genützt, als vorsichtiges Zurückhalten in dieser Sphäre. Anders ist es
mit der Beobachtung. Diese kann nie genau genug seyn.
Erfolgreicher ist es freilich für die Anerkenntniſs unserer Bemühun-
gen, solcher allgemeinen Resultate sich so viel möglich zu enthalten. Man
bekämpft diese Aussprüche, wenn sie zu allgemein scheinen und übersieht
nur zu leicht alles Andere darüber. Das habe ich nicht übersehen können,
da die Geschichte der Arbeiten über die Entwickelung der Thiere mich nur
zu lebhaft daran erinnert. An Oken’s Untersuchungen über die Entwicke-
lung der Säugethiere hat sich der stumpfeste Witz geübt und hat nicht auf-
gehört den allgemeinen Resultaten, die er ausspricht, zu widersprechen.
Darüber scheint man aber fast nicht anerkennen zu wollen, welchen Werth
die unmittelbare Beobachtung in diesen Untersuchungen hat. Sie gehört
offenbar zu den genauesten, die wir über Säugethiere besitzen, und die all-
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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. XVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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