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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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Scholion III.
Innere Ausbildung des Individuums.


Nachdem wir im vorigen Scholion die wachsende Selbstständigkeit desa. Aus dem
Allgemei-
nern tritt das
Besondere
hervor in
dreifacher
Form.

Embryo als einer lebendigen Selbstheit und die Veränderungen in seinem Verhält-
nisse zu den nächsten Umgebungen ins Auge gefasst und erkannt haben, wie er
aus einem Theile zum Ganzen heranwächst, wollen wir jetzt einen Blick auf den
Weg werfen, den seine innere Ausbildung nimmt. Wir werden hier eine Wie-
derholung desselben Vorganges finden. Es ist nämlich, wenn man den Fortgang
der Ausbildung betrachtet, vor allen Dingen in die Augen springend, dass aus
einem Homogenen, Gemeinsamen allmählig das Heterogene und Specielle sich
hervorbildet. Dieses Gesetz der Ausbildung ist wohl nie verkannt worden, und
ist so vorwaltend in allen einzelnen Momenten der Metamorphose, dass es gar nicht
möglich ist, über die Ausbildung genau zu berichten, ohne immer im Sinne der-
selben sich auszudrücken. Sie ist daher auch in unsrer Darstellung überall so
vorleuchtend, dass es überflüssig scheint, sie hier erweisen zu wollen. Ueber
die Weise des Vorganges werden aber einige Betrachtungen nicht überflüssig seyn
und im Folgenden ihre Anwendung finden. Es lassen sich drei Formen der Diffe-
renzirung unterscheiden.

Durch Sonderung wird zuvörderst der Keim in heterogene Lagen getheilt,b. Primäre
Sonderung.

die bei fortgehender Entwickelung immer mehr Eigenthümlichkeit gewinnen, aber
schon im ersten Auftreten eine Anlage zu dem Gefüge verrathen, das sie später
auszeichnen soll. So ist im Keime des Vogels, sobald er im Anfange der Bebrü-
tung in sich Zusammenhang gewinnt, eine mehr glatte continuirliche obere Fläche
und eine mehr körnige untere Fläche zu unterscheiden. Es sondert sich dann die
Keimhaut in zwei getrennte Lagen, von denen die untere in den plastischen Lei-
bestheil des Embryo, die obere in den animalen übergeht, und von denen die un-
tere wieder deutlich zwei eng verbundene Blätter hat, das Schleimblatt und das
Gefässblatt, die obere, wenigstens im Embryo, auch in zwei Lagen sich theilt,
in die Haut nämlich und die Theile, die ich die eigentlichen Bauch- und Rücken-
platten genannt habe, und welche das Knochen-, Faserhaut- und das Muskel-

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Scholion III.
Innere Ausbildung des Individuums.


Nachdem wir im vorigen Scholion die wachsende Selbstständigkeit desa. Aus dem
Allgemei-
nern tritt das
Besondere
hervor in
dreifacher
Form.

Embryo als einer lebendigen Selbstheit und die Veränderungen in seinem Verhält-
nisse zu den nächsten Umgebungen ins Auge gefaſst und erkannt haben, wie er
aus einem Theile zum Ganzen heranwächst, wollen wir jetzt einen Blick auf den
Weg werfen, den seine innere Ausbildung nimmt. Wir werden hier eine Wie-
derholung desselben Vorganges finden. Es ist nämlich, wenn man den Fortgang
der Ausbildung betrachtet, vor allen Dingen in die Augen springend, daſs aus
einem Homogenen, Gemeinsamen allmählig das Heterogene und Specielle sich
hervorbildet. Dieses Gesetz der Ausbildung ist wohl nie verkannt worden, und
ist so vorwaltend in allen einzelnen Momenten der Metamorphose, daſs es gar nicht
möglich ist, über die Ausbildung genau zu berichten, ohne immer im Sinne der-
selben sich auszudrücken. Sie ist daher auch in unsrer Darstellung überall so
vorleuchtend, daſs es überflüssig scheint, sie hier erweisen zu wollen. Ueber
die Weise des Vorganges werden aber einige Betrachtungen nicht überflüssig seyn
und im Folgenden ihre Anwendung finden. Es lassen sich drei Formen der Diffe-
renzirung unterscheiden.

Durch Sonderung wird zuvörderst der Keim in heterogene Lagen getheilt,b. Primäre
Sonderung.

die bei fortgehender Entwickelung immer mehr Eigenthümlichkeit gewinnen, aber
schon im ersten Auftreten eine Anlage zu dem Gefüge verrathen, das sie später
auszeichnen soll. So ist im Keime des Vogels, sobald er im Anfange der Bebrü-
tung in sich Zusammenhang gewinnt, eine mehr glatte continuirliche obere Fläche
und eine mehr körnige untere Fläche zu unterscheiden. Es sondert sich dann die
Keimhaut in zwei getrennte Lagen, von denen die untere in den plastischen Lei-
bestheil des Embryo, die obere in den animalen übergeht, und von denen die un-
tere wieder deutlich zwei eng verbundene Blätter hat, das Schleimblatt und das
Gefäſsblatt, die obere, wenigstens im Embryo, auch in zwei Lagen sich theilt,
in die Haut nämlich und die Theile, die ich die eigentlichen Bauch- und Rücken-
platten genannt habe, und welche das Knochen-, Faserhaut- und das Muskel-

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[153/0183] Scholion III. Innere Ausbildung des Individuums. Nachdem wir im vorigen Scholion die wachsende Selbstständigkeit des Embryo als einer lebendigen Selbstheit und die Veränderungen in seinem Verhält- nisse zu den nächsten Umgebungen ins Auge gefaſst und erkannt haben, wie er aus einem Theile zum Ganzen heranwächst, wollen wir jetzt einen Blick auf den Weg werfen, den seine innere Ausbildung nimmt. Wir werden hier eine Wie- derholung desselben Vorganges finden. Es ist nämlich, wenn man den Fortgang der Ausbildung betrachtet, vor allen Dingen in die Augen springend, daſs aus einem Homogenen, Gemeinsamen allmählig das Heterogene und Specielle sich hervorbildet. Dieses Gesetz der Ausbildung ist wohl nie verkannt worden, und ist so vorwaltend in allen einzelnen Momenten der Metamorphose, daſs es gar nicht möglich ist, über die Ausbildung genau zu berichten, ohne immer im Sinne der- selben sich auszudrücken. Sie ist daher auch in unsrer Darstellung überall so vorleuchtend, daſs es überflüssig scheint, sie hier erweisen zu wollen. Ueber die Weise des Vorganges werden aber einige Betrachtungen nicht überflüssig seyn und im Folgenden ihre Anwendung finden. Es lassen sich drei Formen der Diffe- renzirung unterscheiden. a. Aus dem Allgemei- nern tritt das Besondere hervor in dreifacher Form. Durch Sonderung wird zuvörderst der Keim in heterogene Lagen getheilt, die bei fortgehender Entwickelung immer mehr Eigenthümlichkeit gewinnen, aber schon im ersten Auftreten eine Anlage zu dem Gefüge verrathen, das sie später auszeichnen soll. So ist im Keime des Vogels, sobald er im Anfange der Bebrü- tung in sich Zusammenhang gewinnt, eine mehr glatte continuirliche obere Fläche und eine mehr körnige untere Fläche zu unterscheiden. Es sondert sich dann die Keimhaut in zwei getrennte Lagen, von denen die untere in den plastischen Lei- bestheil des Embryo, die obere in den animalen übergeht, und von denen die un- tere wieder deutlich zwei eng verbundene Blätter hat, das Schleimblatt und das Gefäſsblatt, die obere, wenigstens im Embryo, auch in zwei Lagen sich theilt, in die Haut nämlich und die Theile, die ich die eigentlichen Bauch- und Rücken- platten genannt habe, und welche das Knochen-, Faserhaut- und das Muskel- b. Primäre Sonderung. U

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/183>, abgerufen am 23.11.2024.