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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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ginnt, mit seinem Rande eng an der Dotterhaut anliegt, so dass man diese als eine
Oberhaut des Keimes und also auch des Embryo betrachten kann, wodurch schon
jetzt angedeutet wird, wie die Dottermasse vom werdenden Thiere umschlossen
wird. Da ferner der Keim sich aus der Keimschicht, diese wieder aus dem Dot-
ter sondert, so ist selbst die Dotterkugel vor der Befruchtung nichts als die nie-
drigste Form des Thiers, aber eine so niedrige Form, dass das Thier noch gar
keine Selbstständigkeit hat, sondern nur Theil des mütterlichen Körpers ist. Die
Zeugung der höhern, in Geschlechter getrennten Thiere, scheint in der That aus
zwei Momenten zu bestehen. Zuerst wird die Möglichkeit eines neuen Thiers durch
unmittelbares Wachsthum des mütterlichen Körpers gegeben. Es bleibt aber nur
Theil. Durch die Befruchtung wird aus dem Theile ein Ganzes,
ähnlich in sei-
nem Wesen den zeugenden Aeltern, zu deren Organisation es sich unter den er-
forderlichen Verhältnissen herauf bildet. In den niedern Thieren, wo kein Ge-
gensatz von Geschlechtern ist und jedes Individuum also die Idee dieser Thierform
ganz enthält, bedarf es nur der Reife, um zu zeugen. Zeugen ist hier unmittel-
bare Verlängerung des Wachsthums über die Grenzen des Individuums hinaus und
Fortpflanzung nichts als ein Fortwachsen über sich selbst. In solchen Thieren
hingegen, welche entweder doppeltes Geschlecht besitzen, oder getrennten Ge-
schlechtes sind, erzeugt das Wachsthum in dem einen Geschlechtsapparate die
Anlage zu dem neuen Keime als einen Theil von sich, und die Einwirkung des
entgegengesetzten Geschlechtes hebt die Herrschaft des ersteren auf.



Corollarium über die Paarung.

Man muss, wie es scheint, in der Paarung oder der gegenseitigen Einwir-
kung beider Geschlechter wieder einen doppelten Act, die Begattung und die Be-
fruchtung, so wie eine doppelte Wirkung unterscheiden; die erste besteht darin,
die Frucht der Herrschaft des weiblichen Eierstockes zu entziehen, die zweite
darin, ihr ein individuelles Leben zu geben. Für die erstere scheint das männ-
liche Geschlecht nur in so fern thätig, als es den weiblichen Geschlechtsapparat
zu einer höhern aussondernden Thätigkeit aufregt. Dem aufbewahrenden weib-
lichen Character wird die männliche, aussondernde Richtung mitgetheilt. Eben
deshalb kann das Aussondern des Eies zuweilen auch ohne Paarung erfolgen, in-
dem die Einwirkung des Männchens durch andere Verhältnisse ersetzt wird.
Dieses geschieht jedoch um so seltener, je höher das Leben der Thierform ent-
wickelt ist. Die Graaff'schen Bläschen der Säugethiere scheinen nicht ohne Be-

ginnt, mit seinem Rande eng an der Dotterhaut anliegt, so daſs man diese als eine
Oberhaut des Keimes und also auch des Embryo betrachten kann, wodurch schon
jetzt angedeutet wird, wie die Dottermasse vom werdenden Thiere umschlossen
wird. Da ferner der Keim sich aus der Keimschicht, diese wieder aus dem Dot-
ter sondert, so ist selbst die Dotterkugel vor der Befruchtung nichts als die nie-
drigste Form des Thiers, aber eine so niedrige Form, daſs das Thier noch gar
keine Selbstständigkeit hat, sondern nur Theil des mütterlichen Körpers ist. Die
Zeugung der höhern, in Geschlechter getrennten Thiere, scheint in der That aus
zwei Momenten zu bestehen. Zuerst wird die Möglichkeit eines neuen Thiers durch
unmittelbares Wachsthum des mütterlichen Körpers gegeben. Es bleibt aber nur
Theil. Durch die Befruchtung wird aus dem Theile ein Ganzes,
ähnlich in sei-
nem Wesen den zeugenden Aeltern, zu deren Organisation es sich unter den er-
forderlichen Verhältnissen herauf bildet. In den niedern Thieren, wo kein Ge-
gensatz von Geschlechtern ist und jedes Individuum also die Idee dieser Thierform
ganz enthält, bedarf es nur der Reife, um zu zeugen. Zeugen ist hier unmittel-
bare Verlängerung des Wachsthums über die Grenzen des Individuums hinaus und
Fortpflanzung nichts als ein Fortwachsen über sich selbst. In solchen Thieren
hingegen, welche entweder doppeltes Geschlecht besitzen, oder getrennten Ge-
schlechtes sind, erzeugt das Wachsthum in dem einen Geschlechtsapparate die
Anlage zu dem neuen Keime als einen Theil von sich, und die Einwirkung des
entgegengesetzten Geschlechtes hebt die Herrschaft des ersteren auf.



Corollarium über die Paarung.

Man muſs, wie es scheint, in der Paarung oder der gegenseitigen Einwir-
kung beider Geschlechter wieder einen doppelten Act, die Begattung und die Be-
fruchtung, so wie eine doppelte Wirkung unterscheiden; die erste besteht darin,
die Frucht der Herrschaft des weiblichen Eierstockes zu entziehen, die zweite
darin, ihr ein individuelles Leben zu geben. Für die erstere scheint das männ-
liche Geschlecht nur in so fern thätig, als es den weiblichen Geschlechtsapparat
zu einer höhern aussondernden Thätigkeit aufregt. Dem aufbewahrenden weib-
lichen Character wird die männliche, aussondernde Richtung mitgetheilt. Eben
deshalb kann das Aussondern des Eies zuweilen auch ohne Paarung erfolgen, in-
dem die Einwirkung des Männchens durch andere Verhältnisse ersetzt wird.
Dieses geschieht jedoch um so seltener, je höher das Leben der Thierform ent-
wickelt ist. Die Graaff’schen Bläschen der Säugethiere scheinen nicht ohne Be-

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[150/0180] ginnt, mit seinem Rande eng an der Dotterhaut anliegt, so daſs man diese als eine Oberhaut des Keimes und also auch des Embryo betrachten kann, wodurch schon jetzt angedeutet wird, wie die Dottermasse vom werdenden Thiere umschlossen wird. Da ferner der Keim sich aus der Keimschicht, diese wieder aus dem Dot- ter sondert, so ist selbst die Dotterkugel vor der Befruchtung nichts als die nie- drigste Form des Thiers, aber eine so niedrige Form, daſs das Thier noch gar keine Selbstständigkeit hat, sondern nur Theil des mütterlichen Körpers ist. Die Zeugung der höhern, in Geschlechter getrennten Thiere, scheint in der That aus zwei Momenten zu bestehen. Zuerst wird die Möglichkeit eines neuen Thiers durch unmittelbares Wachsthum des mütterlichen Körpers gegeben. Es bleibt aber nur Theil. Durch die Befruchtung wird aus dem Theile ein Ganzes, ähnlich in sei- nem Wesen den zeugenden Aeltern, zu deren Organisation es sich unter den er- forderlichen Verhältnissen herauf bildet. In den niedern Thieren, wo kein Ge- gensatz von Geschlechtern ist und jedes Individuum also die Idee dieser Thierform ganz enthält, bedarf es nur der Reife, um zu zeugen. Zeugen ist hier unmittel- bare Verlängerung des Wachsthums über die Grenzen des Individuums hinaus und Fortpflanzung nichts als ein Fortwachsen über sich selbst. In solchen Thieren hingegen, welche entweder doppeltes Geschlecht besitzen, oder getrennten Ge- schlechtes sind, erzeugt das Wachsthum in dem einen Geschlechtsapparate die Anlage zu dem neuen Keime als einen Theil von sich, und die Einwirkung des entgegengesetzten Geschlechtes hebt die Herrschaft des ersteren auf. Corollarium über die Paarung. Man muſs, wie es scheint, in der Paarung oder der gegenseitigen Einwir- kung beider Geschlechter wieder einen doppelten Act, die Begattung und die Be- fruchtung, so wie eine doppelte Wirkung unterscheiden; die erste besteht darin, die Frucht der Herrschaft des weiblichen Eierstockes zu entziehen, die zweite darin, ihr ein individuelles Leben zu geben. Für die erstere scheint das männ- liche Geschlecht nur in so fern thätig, als es den weiblichen Geschlechtsapparat zu einer höhern aussondernden Thätigkeit aufregt. Dem aufbewahrenden weib- lichen Character wird die männliche, aussondernde Richtung mitgetheilt. Eben deshalb kann das Aussondern des Eies zuweilen auch ohne Paarung erfolgen, in- dem die Einwirkung des Männchens durch andere Verhältnisse ersetzt wird. Dieses geschieht jedoch um so seltener, je höher das Leben der Thierform ent- wickelt ist. Die Graaff’schen Bläschen der Säugethiere scheinen nicht ohne Be-

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/180>, abgerufen am 23.11.2024.