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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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einziehen, und mithin auch einen Ton von sich geben. Ich habe zuweilen
schon zwei Tage vor dem Auskriechen, und ohne dass das Ei irgend einen
Riss hatte, das Küchlein in der Schaale piepen gehört. Dabei bleibt es lange
in seiner Lage, wie mich die Beobachtung an mehreren Eiern, die ich öffnete,
gelehrt hat. Der Kreislauf in den Nabelgefässen geht fort. Hat die Athmung
einmal begonnen, so wird sie auch fortgesetzt, wie man an der Bewegung
des Brustkastens und des ganzen Küchleins erkennt. Lunge und Luftsäcke
können aber in dieser Stellung nicht gehörig ausgedehnt werden.

Da der Kopf des Küchleins auf einer Seite liegt, und schon wegen des
hohen Kammes des Brustbeines nicht in der Mitte liegen kann, so ist auch die
Stelle, wo das Chorion durchstossen wird, nicht in der Mitte des Luftraumes,
sondern dem Rande, also auch der Eischaale, näher. Verstärkte Bewegungen
bringen also die Schnabelspitze an die Eischaale. Oft ist das durchgestossene
Loch ganz am Rande des Luftraumes, und schon die erste Bewegung drängt
an die Eischaale an. Ist der Andrang stark genug, so bekommt diese Risse.
Gewöhnlich wird aber auch zugleich ein Stückchen der Schaale abgesprengt,
ohne dass die Schaalenhaut reisst. Oft mag die Schnabelspitze, wenn sie
nicht sogleich den Luftraum erreichte, sondern ausserhalb seines Randes zuerst
die Eischaale zersprengte, erst später in den Luftraum dringen und dem Küch-
lein den hier befindlichen Luftvorrath zuführen; denn auffallend ist es, dass
zuweilen fast vier und zwanzig Stunden nach dem Absprengen des ersten
Stückchens der Schaale verfliessen, ehe das Loch merklich vergrössert wird.
Liegt aber der Kopf nach dem spitzen Ende des Eies hin, so wird die Oeffnung
rascher erweitert, und die Schaalenhaut durchgestossen. Bei dieser Lage des
Küchleins hörte ich es niemals vorher piepen.

Hat das Hühnchen die Oeffnung des Eies so erweitert, dass es nicht
nur freien Zutritt von Luft hat, sondern auch den Hals etwas ausstrecken
kann, so bleibt es eine Zeitlang in dieser Stellung, wobei es frei und stark
athmet. Bis zu diesem freien Athmen schienen mir die Gefässe des Chorions
stark mit Blut angefüllt, und die ganze Haut schien keinesweges abgestorben.
So wie aber ein ungehindertes Athmen eintritt, verliert das Chorion sein
Blut und es stirbt ab. Es löst sich dann vom Nabel und das Küchlein verlässt
das Ei.

einziehen, und mithin auch einen Ton von sich geben. Ich habe zuweilen
schon zwei Tage vor dem Auskriechen, und ohne daſs das Ei irgend einen
Riſs hatte, das Küchlein in der Schaale piepen gehört. Dabei bleibt es lange
in seiner Lage, wie mich die Beobachtung an mehreren Eiern, die ich öffnete,
gelehrt hat. Der Kreislauf in den Nabelgefäſsen geht fort. Hat die Athmung
einmal begonnen, so wird sie auch fortgesetzt, wie man an der Bewegung
des Brustkastens und des ganzen Küchleins erkennt. Lunge und Luftsäcke
können aber in dieser Stellung nicht gehörig ausgedehnt werden.

Da der Kopf des Küchleins auf einer Seite liegt, und schon wegen des
hohen Kammes des Brustbeines nicht in der Mitte liegen kann, so ist auch die
Stelle, wo das Chorion durchstoſsen wird, nicht in der Mitte des Luftraumes,
sondern dem Rande, also auch der Eischaale, näher. Verstärkte Bewegungen
bringen also die Schnabelspitze an die Eischaale. Oft ist das durchgestoſsene
Loch ganz am Rande des Luftraumes, und schon die erste Bewegung drängt
an die Eischaale an. Ist der Andrang stark genug, so bekommt diese Risse.
Gewöhnlich wird aber auch zugleich ein Stückchen der Schaale abgesprengt,
ohne daſs die Schaalenhaut reiſst. Oft mag die Schnabelspitze, wenn sie
nicht sogleich den Luftraum erreichte, sondern auſserhalb seines Randes zuerst
die Eischaale zersprengte, erst später in den Luftraum dringen und dem Küch-
lein den hier befindlichen Luftvorrath zuführen; denn auffallend ist es, daſs
zuweilen fast vier und zwanzig Stunden nach dem Absprengen des ersten
Stückchens der Schaale verflieſsen, ehe das Loch merklich vergröſsert wird.
Liegt aber der Kopf nach dem spitzen Ende des Eies hin, so wird die Oeffnung
rascher erweitert, und die Schaalenhaut durchgestoſsen. Bei dieser Lage des
Küchleins hörte ich es niemals vorher piepen.

Hat das Hühnchen die Oeffnung des Eies so erweitert, daſs es nicht
nur freien Zutritt von Luft hat, sondern auch den Hals etwas ausstrecken
kann, so bleibt es eine Zeitlang in dieser Stellung, wobei es frei und stark
athmet. Bis zu diesem freien Athmen schienen mir die Gefäſse des Chorions
stark mit Blut angefüllt, und die ganze Haut schien keinesweges abgestorben.
So wie aber ein ungehindertes Athmen eintritt, verliert das Chorion sein
Blut und es stirbt ab. Es löst sich dann vom Nabel und das Küchlein verläſst
das Ei.

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[138/0168] einziehen, und mithin auch einen Ton von sich geben. Ich habe zuweilen schon zwei Tage vor dem Auskriechen, und ohne daſs das Ei irgend einen Riſs hatte, das Küchlein in der Schaale piepen gehört. Dabei bleibt es lange in seiner Lage, wie mich die Beobachtung an mehreren Eiern, die ich öffnete, gelehrt hat. Der Kreislauf in den Nabelgefäſsen geht fort. Hat die Athmung einmal begonnen, so wird sie auch fortgesetzt, wie man an der Bewegung des Brustkastens und des ganzen Küchleins erkennt. Lunge und Luftsäcke können aber in dieser Stellung nicht gehörig ausgedehnt werden. Da der Kopf des Küchleins auf einer Seite liegt, und schon wegen des hohen Kammes des Brustbeines nicht in der Mitte liegen kann, so ist auch die Stelle, wo das Chorion durchstoſsen wird, nicht in der Mitte des Luftraumes, sondern dem Rande, also auch der Eischaale, näher. Verstärkte Bewegungen bringen also die Schnabelspitze an die Eischaale. Oft ist das durchgestoſsene Loch ganz am Rande des Luftraumes, und schon die erste Bewegung drängt an die Eischaale an. Ist der Andrang stark genug, so bekommt diese Risse. Gewöhnlich wird aber auch zugleich ein Stückchen der Schaale abgesprengt, ohne daſs die Schaalenhaut reiſst. Oft mag die Schnabelspitze, wenn sie nicht sogleich den Luftraum erreichte, sondern auſserhalb seines Randes zuerst die Eischaale zersprengte, erst später in den Luftraum dringen und dem Küch- lein den hier befindlichen Luftvorrath zuführen; denn auffallend ist es, daſs zuweilen fast vier und zwanzig Stunden nach dem Absprengen des ersten Stückchens der Schaale verflieſsen, ehe das Loch merklich vergröſsert wird. Liegt aber der Kopf nach dem spitzen Ende des Eies hin, so wird die Oeffnung rascher erweitert, und die Schaalenhaut durchgestoſsen. Bei dieser Lage des Küchleins hörte ich es niemals vorher piepen. Hat das Hühnchen die Oeffnung des Eies so erweitert, daſs es nicht nur freien Zutritt von Luft hat, sondern auch den Hals etwas ausstrecken kann, so bleibt es eine Zeitlang in dieser Stellung, wobei es frei und stark athmet. Bis zu diesem freien Athmen schienen mir die Gefäſse des Chorions stark mit Blut angefüllt, und die ganze Haut schien keinesweges abgestorben. So wie aber ein ungehindertes Athmen eintritt, verliert das Chorion sein Blut und es stirbt ab. Es löst sich dann vom Nabel und das Küchlein verläſst das Ei.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/168>, abgerufen am 23.11.2024.