geln selten gut temperirt sind. Das Clavicord und das Forte- piano sind zu unserer Fantasie die bequemsten Instrumente. Beyde können und müssen rein gestimmt seyn. Das ungedämpfte Register des Fortepiano ist das angenehmste, und, wenn man die nöthige Behutsamkeit wegen des Nachklingens anzuwenden weiß, das reizendeste zum Fantasiren.
§. 5.
Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagnist noth- wendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe spielen muß. Bey dieser Art der freyen Fantasie, weil sie als ein Vorspiel angesehen wird, welches die Zuhörer zu dem In- halt des aufzuführenden Stückes vorbereiten soll, ist man schon mehr eingeschränkt, als bey einer Fantasie, wo man, ohne weitere Absicht, blos die Geschicklichkeit eines Clavierspielers zu hören ver- langet. Die Einrichtung von jener wird durch die Beschaffenheit des aufzuführenden Stückes bestimmt. Der Inhalt oder Affect dieses letztern muß der Stoff des Vorspielers seyn: bey einer Fantasie hingegen, ohne weitere Absicht, hat der Clavierist alle mögliche Freyheit.
§. 6.
Wenn man nicht viele Zeit hat, seine Künste im Vorspielen zu zeigen, so darf man sich nicht zu weit in andere Tonarten versteigen, weil man bald wieder aufhören muß, und dennoch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald verlassen, und am Ende nicht zu spät wieder ergreifen darf. Im Anfange muß die Haupttonart eine ganze Weile herrschen, damit man gewiß höre, woraus gespielet wird: man muß sich aber auch vor dem Schlusse wieder lange darinnen aufhalten, damit die Zuhörer zu dem Ende der Fantasie vorbereitet werden, und die Haupttonart zuletzt dem Gedächtnisse gut eingepräget werde.
§. 7.
Die kürzeste und natürlichste Art, deren sich auch allenfalls Clavierspieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor-
spielen
Von der freyen Fantaſie.
geln ſelten gut temperirt ſind. Das Clavicord und das Forte- piano ſind zu unſerer Fantaſie die bequemſten Inſtrumente. Beyde können und müſſen rein geſtimmt ſeyn. Das ungedämpfte Regiſter des Fortepiano iſt das angenehmſte, und, wenn man die nöthige Behutſamkeit wegen des Nachklingens anzuwenden weiß, das reizendeſte zum Fantaſiren.
§. 5.
Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagniſt noth- wendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe ſpielen muß. Bey dieſer Art der freyen Fantaſie, weil ſie als ein Vorſpiel angeſehen wird, welches die Zuhörer zu dem In- halt des aufzuführenden Stückes vorbereiten ſoll, iſt man ſchon mehr eingeſchränkt, als bey einer Fantaſie, wo man, ohne weitere Abſicht, blos die Geſchicklichkeit eines Clavierſpielers zu hören ver- langet. Die Einrichtung von jener wird durch die Beſchaffenheit des aufzuführenden Stückes beſtimmt. Der Inhalt oder Affect dieſes letztern muß der Stoff des Vorſpielers ſeyn: bey einer Fantaſie hingegen, ohne weitere Abſicht, hat der Clavieriſt alle mögliche Freyheit.
§. 6.
Wenn man nicht viele Zeit hat, ſeine Künſte im Vorſpielen zu zeigen, ſo darf man ſich nicht zu weit in andere Tonarten verſteigen, weil man bald wieder aufhören muß, und dennoch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald verlaſſen, und am Ende nicht zu ſpät wieder ergreifen darf. Im Anfange muß die Haupttonart eine ganze Weile herrſchen, damit man gewiß höre, woraus geſpielet wird: man muß ſich aber auch vor dem Schluſſe wieder lange darinnen aufhalten, damit die Zuhörer zu dem Ende der Fantaſie vorbereitet werden, und die Haupttonart zuletzt dem Gedächtniſſe gut eingepräget werde.
§. 7.
Die kürzeſte und natürlichſte Art, deren ſich auch allenfalls Clavierſpieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor-
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Von der freyen Fantaſie.
geln ſelten gut temperirt ſind. Das Clavicord und das Forte-
piano ſind zu unſerer Fantaſie die bequemſten Inſtrumente. Beyde
können und müſſen rein geſtimmt ſeyn. Das ungedämpfte
Regiſter des Fortepiano iſt das angenehmſte, und, wenn man die
nöthige Behutſamkeit wegen des Nachklingens anzuwenden weiß,
das reizendeſte zum Fantaſiren.
§. 5. Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagniſt noth-
wendig vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe
ſpielen muß. Bey dieſer Art der freyen Fantaſie, weil ſie als
ein Vorſpiel angeſehen wird, welches die Zuhörer zu dem In-
halt des aufzuführenden Stückes vorbereiten ſoll, iſt man ſchon
mehr eingeſchränkt, als bey einer Fantaſie, wo man, ohne weitere
Abſicht, blos die Geſchicklichkeit eines Clavierſpielers zu hören ver-
langet. Die Einrichtung von jener wird durch die Beſchaffenheit
des aufzuführenden Stückes beſtimmt. Der Inhalt oder Affect
dieſes letztern muß der Stoff des Vorſpielers ſeyn: bey einer
Fantaſie hingegen, ohne weitere Abſicht, hat der Clavieriſt alle
mögliche Freyheit.
§. 6. Wenn man nicht viele Zeit hat, ſeine Künſte im
Vorſpielen zu zeigen, ſo darf man ſich nicht zu weit in andere
Tonarten verſteigen, weil man bald wieder aufhören muß, und
dennoch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald
verlaſſen, und am Ende nicht zu ſpät wieder ergreifen darf. Im
Anfange muß die Haupttonart eine ganze Weile herrſchen, damit
man gewiß höre, woraus geſpielet wird: man muß ſich aber auch
vor dem Schluſſe wieder lange darinnen aufhalten, damit die
Zuhörer zu dem Ende der Fantaſie vorbereitet werden, und die
Haupttonart zuletzt dem Gedächtniſſe gut eingepräget werde.
§. 7. Die kürzeſte und natürlichſte Art, deren ſich auch
allenfalls Clavierſpieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor-
ſpielen
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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/337>, abgerufen am 16.02.2025.
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