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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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quenzen errungen worden wäre. Dieser ungeheure Defect bewirkte,
daß das triumphirende Gaunerthum seit dem Dreißigjährigen
Kriege jene dämonische Gewalt zu einem nahezu zweihundertjäh-
rigen Widerstand gewinnen und daß der Staat immer nur in ver-
einzelten glücklichen Zügen einen sauern und blutigen Sieg da-
gegen erkämpfen konnte, ohne daß bis zur heutigen Stunde die
Möglichkeit eines ähnlichen furchtbaren Aufbruches der alten
perennirenden Elemente als völlig beseitigt angesehen werden
dürfte.

Man weiß in der That nicht, was man sagen soll, wenn
man bei dieser wie durch eine Volksbeliebung geschaffenen, zur
offensten Popularität gediehenen Gewalt des Gaunerthums sehen
muß, daß Männer von so viel Kenntniß, Geist und Scharfsinn,
wie Schottelius und Moscherosch, bei ihrem Aufblick auf die Gau-
nersprache nichts anderes schaffen konnten als einen bloßen, na-
mentlich bei Schottelius sehr schlechten und incorrecten Abdruck
des rotwelschen Vocabulars, über welchen keiner von beiden hin-
ausging, wenn auch Moscherosch das Vocabular mit leichter Mühe
zum ersten mal als Doppellexikon bearbeitete und in seinem (Th. I,
S. 212 abgedruckten) Gedichte "Vff die Löbliche Gesellschaft Mosel-
sar" mit poetischer Leichtigkeit zuerst vereinzelte Gaunersprachtypen
in gebundener Weise vorführte. Was beide sonst an eigener lin-
guistischer Beobachtung und Forschung geben, ist weiter nichts als
der inveterirte breite Galimatias, welcher schon oben Th. III,
Kap. 40, gewürdigt worden ist. Und doch haben beide den gan-
zen Dreißigjährigen Krieg durchlebt, und doch findet man in den
zahlreichen Anekdotensammlungen, jenen Fortsetzungen der Facetien
früherer, in den vielen Schelmenromanen und in andern populären
Schriften damaliger Zeit, welche nur Unterhaltung und Kurzweil
gewähren, aber keineswegs linguistische Forschungen anstellen woll-
ten, häufige, wenn auch nur vereinzelte und zerstreute Gauner-
wörter und Redensarten so offen wie auf der Gasse liegen, wie
man ja denn in dem Th. III, S. 182, Note 1, angeführten
"seltzamen Traumgesicht" hinter des Aepinus historischen Sinn-
bildern eine Metze gegen den Vater ihres unehelichen Kindes im

quenzen errungen worden wäre. Dieſer ungeheure Defect bewirkte,
daß das triumphirende Gaunerthum ſeit dem Dreißigjährigen
Kriege jene dämoniſche Gewalt zu einem nahezu zweihundertjäh-
rigen Widerſtand gewinnen und daß der Staat immer nur in ver-
einzelten glücklichen Zügen einen ſauern und blutigen Sieg da-
gegen erkämpfen konnte, ohne daß bis zur heutigen Stunde die
Möglichkeit eines ähnlichen furchtbaren Aufbruches der alten
perennirenden Elemente als völlig beſeitigt angeſehen werden
dürfte.

Man weiß in der That nicht, was man ſagen ſoll, wenn
man bei dieſer wie durch eine Volksbeliebung geſchaffenen, zur
offenſten Popularität gediehenen Gewalt des Gaunerthums ſehen
muß, daß Männer von ſo viel Kenntniß, Geiſt und Scharfſinn,
wie Schottelius und Moſcheroſch, bei ihrem Aufblick auf die Gau-
nerſprache nichts anderes ſchaffen konnten als einen bloßen, na-
mentlich bei Schottelius ſehr ſchlechten und incorrecten Abdruck
des rotwelſchen Vocabulars, über welchen keiner von beiden hin-
ausging, wenn auch Moſcheroſch das Vocabular mit leichter Mühe
zum erſten mal als Doppellexikon bearbeitete und in ſeinem (Th. I,
S. 212 abgedruckten) Gedichte „Vff die Löbliche Geſellſchaft Moſel-
ſar“ mit poetiſcher Leichtigkeit zuerſt vereinzelte Gaunerſprachtypen
in gebundener Weiſe vorführte. Was beide ſonſt an eigener lin-
guiſtiſcher Beobachtung und Forſchung geben, iſt weiter nichts als
der inveterirte breite Galimatias, welcher ſchon oben Th. III,
Kap. 40, gewürdigt worden iſt. Und doch haben beide den gan-
zen Dreißigjährigen Krieg durchlebt, und doch findet man in den
zahlreichen Anekdotenſammlungen, jenen Fortſetzungen der Facetien
früherer, in den vielen Schelmenromanen und in andern populären
Schriften damaliger Zeit, welche nur Unterhaltung und Kurzweil
gewähren, aber keineswegs linguiſtiſche Forſchungen anſtellen woll-
ten, häufige, wenn auch nur vereinzelte und zerſtreute Gauner-
wörter und Redensarten ſo offen wie auf der Gaſſe liegen, wie
man ja denn in dem Th. III, S. 182, Note 1, angeführten
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[87/0099] quenzen errungen worden wäre. Dieſer ungeheure Defect bewirkte, daß das triumphirende Gaunerthum ſeit dem Dreißigjährigen Kriege jene dämoniſche Gewalt zu einem nahezu zweihundertjäh- rigen Widerſtand gewinnen und daß der Staat immer nur in ver- einzelten glücklichen Zügen einen ſauern und blutigen Sieg da- gegen erkämpfen konnte, ohne daß bis zur heutigen Stunde die Möglichkeit eines ähnlichen furchtbaren Aufbruches der alten perennirenden Elemente als völlig beſeitigt angeſehen werden dürfte. Man weiß in der That nicht, was man ſagen ſoll, wenn man bei dieſer wie durch eine Volksbeliebung geſchaffenen, zur offenſten Popularität gediehenen Gewalt des Gaunerthums ſehen muß, daß Männer von ſo viel Kenntniß, Geiſt und Scharfſinn, wie Schottelius und Moſcheroſch, bei ihrem Aufblick auf die Gau- nerſprache nichts anderes ſchaffen konnten als einen bloßen, na- mentlich bei Schottelius ſehr ſchlechten und incorrecten Abdruck des rotwelſchen Vocabulars, über welchen keiner von beiden hin- ausging, wenn auch Moſcheroſch das Vocabular mit leichter Mühe zum erſten mal als Doppellexikon bearbeitete und in ſeinem (Th. I, S. 212 abgedruckten) Gedichte „Vff die Löbliche Geſellſchaft Moſel- ſar“ mit poetiſcher Leichtigkeit zuerſt vereinzelte Gaunerſprachtypen in gebundener Weiſe vorführte. Was beide ſonſt an eigener lin- guiſtiſcher Beobachtung und Forſchung geben, iſt weiter nichts als der inveterirte breite Galimatias, welcher ſchon oben Th. III, Kap. 40, gewürdigt worden iſt. Und doch haben beide den gan- zen Dreißigjährigen Krieg durchlebt, und doch findet man in den zahlreichen Anekdotenſammlungen, jenen Fortſetzungen der Facetien früherer, in den vielen Schelmenromanen und in andern populären Schriften damaliger Zeit, welche nur Unterhaltung und Kurzweil gewähren, aber keineswegs linguiſtiſche Forſchungen anſtellen woll- ten, häufige, wenn auch nur vereinzelte und zerſtreute Gauner- wörter und Redensarten ſo offen wie auf der Gaſſe liegen, wie man ja denn in dem Th. III, S. 182, Note 1, angeführten „ſeltzamen Traumgeſicht“ hinter des Aepinus hiſtoriſchen Sinn- bildern eine Metze gegen den Vater ihres unehelichen Kindes im

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/99>, abgerufen am 25.11.2024.