Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

teresse für Gaunersprachen und für den ganz in Vergessenheit ge-
rathenen Liber Vagatorum die weitere Forschung in Bibliotheken
und Archiven eine entsprechende Entdeckung herbeiführen.



Achtzehntes Kapitel.
l) Der Expertus in Truphis.

Wenn man den Vulcanius als ersten Linguisten bezeichnen
darf, welcher, wenn er auch nicht selbst wirkliche Forschungen an-
stellte, doch der Gaunersprache mindestens Aufmerksamkeit schenkte,
so kann man bei sorgfältiger Beobachtung des fernern geschicht-
lichen Fortlaufs der Gaunersprache nicht geradezu behaupten, daß
es seit Vulcanius an dieser Aufmerksamkeit ganz und gar gefehlt
habe, obschon die eigentliche linguistische Forschung noch immer
völlig brach darniederliegen blieb. Seit Luther's Ausgabe erscheint
der Liber Vagatorum wie ein ausschließliches theologisches Erb-
stück in der Literatur überhaupt. Den nächsten Beweis davon lie-
fert die erste Ausgabe desselben im 17. Jahrhundert, der (Th. I,
S. 155, Nr. 13 erwähnte und beurtheilte) "Bericht von der fal-
schen Bettelbüberey" vom Jahre 1616. Auf den ersten Blick er-
kennt man als Herausgeber des anonym und ohne Angabe des
Druckorts neu edirten Buches den protestantischen Theologen, der
wol selbst manche üble praktische Erfahrung an Gaunern und
Landstreichern gemacht haben mochte, aber darum doch mit weit
weniger Groll als mit einer gewissen, aus Ahnung oder Kenntniß
der im Buche dargestellten Ränke entsprungenen behaglichen und
selbstvertrauenden Kritik hier und da bei pikanten oder ihm vielleicht
für andere unverständlich scheinenden Stellen als Exeget oder
Glossator in discreten Parenthesen auftritt, aus denen seine Per-
son wie durch ein freundliches Guckfenster gemüthlich herausschaut,
sodaß er mit seiner Glosse und bruchstückweise angebrachten Ge-
lehrsamkeit recht als Prototyp der in gewisser Art liebenswürdig
steif mit dem Pfunde classischer Gelehrsamkeit überall hingreifenden

tereſſe für Gaunerſprachen und für den ganz in Vergeſſenheit ge-
rathenen Liber Vagatorum die weitere Forſchung in Bibliotheken
und Archiven eine entſprechende Entdeckung herbeiführen.



Achtzehntes Kapitel.
l) Der Expertus in Truphis.

Wenn man den Vulcanius als erſten Linguiſten bezeichnen
darf, welcher, wenn er auch nicht ſelbſt wirkliche Forſchungen an-
ſtellte, doch der Gaunerſprache mindeſtens Aufmerkſamkeit ſchenkte,
ſo kann man bei ſorgfältiger Beobachtung des fernern geſchicht-
lichen Fortlaufs der Gaunerſprache nicht geradezu behaupten, daß
es ſeit Vulcanius an dieſer Aufmerkſamkeit ganz und gar gefehlt
habe, obſchon die eigentliche linguiſtiſche Forſchung noch immer
völlig brach darniederliegen blieb. Seit Luther’s Ausgabe erſcheint
der Liber Vagatorum wie ein ausſchließliches theologiſches Erb-
ſtück in der Literatur überhaupt. Den nächſten Beweis davon lie-
fert die erſte Ausgabe deſſelben im 17. Jahrhundert, der (Th. I,
S. 155, Nr. 13 erwähnte und beurtheilte) „Bericht von der fal-
ſchen Bettelbüberey“ vom Jahre 1616. Auf den erſten Blick er-
kennt man als Herausgeber des anonym und ohne Angabe des
Druckorts neu edirten Buches den proteſtantiſchen Theologen, der
wol ſelbſt manche üble praktiſche Erfahrung an Gaunern und
Landſtreichern gemacht haben mochte, aber darum doch mit weit
weniger Groll als mit einer gewiſſen, aus Ahnung oder Kenntniß
der im Buche dargeſtellten Ränke entſprungenen behaglichen und
ſelbſtvertrauenden Kritik hier und da bei pikanten oder ihm vielleicht
für andere unverſtändlich ſcheinenden Stellen als Exeget oder
Gloſſator in discreten Parentheſen auftritt, aus denen ſeine Per-
ſon wie durch ein freundliches Guckfenſter gemüthlich herausſchaut,
ſodaß er mit ſeiner Gloſſe und bruchſtückweiſe angebrachten Ge-
lehrſamkeit recht als Prototyp der in gewiſſer Art liebenswürdig
ſteif mit dem Pfunde claſſiſcher Gelehrſamkeit überall hingreifenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0096" n="84"/>
tere&#x017F;&#x017F;e für Gauner&#x017F;prachen und für den ganz in Verge&#x017F;&#x017F;enheit ge-<lb/>
rathenen <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> die weitere For&#x017F;chung in Bibliotheken<lb/>
und Archiven eine ent&#x017F;prechende Entdeckung herbeiführen.</p>
              </div><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#fr">Achtzehntes Kapitel.</hi><lb/> <hi rendition="#aq">l)</hi> <hi rendition="#b">Der <hi rendition="#aq">Expertus in Truphis.</hi></hi> </head><lb/>
                <p>Wenn man den Vulcanius als er&#x017F;ten Lingui&#x017F;ten bezeichnen<lb/>
darf, welcher, wenn er auch nicht &#x017F;elb&#x017F;t wirkliche For&#x017F;chungen an-<lb/>
&#x017F;tellte, doch der Gauner&#x017F;prache minde&#x017F;tens Aufmerk&#x017F;amkeit &#x017F;chenkte,<lb/>
&#x017F;o kann man bei &#x017F;orgfältiger Beobachtung des fernern ge&#x017F;chicht-<lb/>
lichen Fortlaufs der Gauner&#x017F;prache nicht geradezu behaupten, daß<lb/>
es &#x017F;eit Vulcanius an die&#x017F;er Aufmerk&#x017F;amkeit ganz und gar gefehlt<lb/>
habe, ob&#x017F;chon die eigentliche lingui&#x017F;ti&#x017F;che For&#x017F;chung noch immer<lb/>
völlig brach darniederliegen blieb. Seit Luther&#x2019;s Ausgabe er&#x017F;cheint<lb/>
der <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> wie ein aus&#x017F;chließliches theologi&#x017F;ches Erb-<lb/>
&#x017F;tück in der Literatur überhaupt. Den näch&#x017F;ten Beweis davon lie-<lb/>
fert die er&#x017F;te Ausgabe de&#x017F;&#x017F;elben im 17. Jahrhundert, der (Th. <hi rendition="#aq">I</hi>,<lb/>
S. 155, Nr. 13 erwähnte und beurtheilte) &#x201E;Bericht von der fal-<lb/>
&#x017F;chen Bettelbüberey&#x201C; vom Jahre 1616. Auf den er&#x017F;ten Blick er-<lb/>
kennt man als Herausgeber des anonym und ohne Angabe des<lb/>
Druckorts neu edirten Buches den prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Theologen, der<lb/>
wol &#x017F;elb&#x017F;t manche üble prakti&#x017F;che Erfahrung an Gaunern und<lb/>
Land&#x017F;treichern gemacht haben mochte, aber darum doch mit weit<lb/>
weniger Groll als mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en, aus Ahnung oder Kenntniß<lb/>
der im Buche darge&#x017F;tellten Ränke ent&#x017F;prungenen behaglichen und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tvertrauenden Kritik hier und da bei pikanten oder ihm vielleicht<lb/>
für andere unver&#x017F;tändlich &#x017F;cheinenden Stellen als Exeget oder<lb/>
Glo&#x017F;&#x017F;ator in discreten Parenthe&#x017F;en auftritt, aus denen &#x017F;eine Per-<lb/>
&#x017F;on wie durch ein freundliches Guckfen&#x017F;ter gemüthlich heraus&#x017F;chaut,<lb/>
&#x017F;odaß er mit &#x017F;einer Glo&#x017F;&#x017F;e und bruch&#x017F;tückwei&#x017F;e angebrachten Ge-<lb/>
lehr&#x017F;amkeit recht als Prototyp der in gewi&#x017F;&#x017F;er Art liebenswürdig<lb/>
&#x017F;teif mit dem Pfunde cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;cher Gelehr&#x017F;amkeit überall hingreifenden<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0096] tereſſe für Gaunerſprachen und für den ganz in Vergeſſenheit ge- rathenen Liber Vagatorum die weitere Forſchung in Bibliotheken und Archiven eine entſprechende Entdeckung herbeiführen. Achtzehntes Kapitel. l) Der Expertus in Truphis. Wenn man den Vulcanius als erſten Linguiſten bezeichnen darf, welcher, wenn er auch nicht ſelbſt wirkliche Forſchungen an- ſtellte, doch der Gaunerſprache mindeſtens Aufmerkſamkeit ſchenkte, ſo kann man bei ſorgfältiger Beobachtung des fernern geſchicht- lichen Fortlaufs der Gaunerſprache nicht geradezu behaupten, daß es ſeit Vulcanius an dieſer Aufmerkſamkeit ganz und gar gefehlt habe, obſchon die eigentliche linguiſtiſche Forſchung noch immer völlig brach darniederliegen blieb. Seit Luther’s Ausgabe erſcheint der Liber Vagatorum wie ein ausſchließliches theologiſches Erb- ſtück in der Literatur überhaupt. Den nächſten Beweis davon lie- fert die erſte Ausgabe deſſelben im 17. Jahrhundert, der (Th. I, S. 155, Nr. 13 erwähnte und beurtheilte) „Bericht von der fal- ſchen Bettelbüberey“ vom Jahre 1616. Auf den erſten Blick er- kennt man als Herausgeber des anonym und ohne Angabe des Druckorts neu edirten Buches den proteſtantiſchen Theologen, der wol ſelbſt manche üble praktiſche Erfahrung an Gaunern und Landſtreichern gemacht haben mochte, aber darum doch mit weit weniger Groll als mit einer gewiſſen, aus Ahnung oder Kenntniß der im Buche dargeſtellten Ränke entſprungenen behaglichen und ſelbſtvertrauenden Kritik hier und da bei pikanten oder ihm vielleicht für andere unverſtändlich ſcheinenden Stellen als Exeget oder Gloſſator in discreten Parentheſen auftritt, aus denen ſeine Per- ſon wie durch ein freundliches Guckfenſter gemüthlich herausſchaut, ſodaß er mit ſeiner Gloſſe und bruchſtückweiſe angebrachten Ge- lehrſamkeit recht als Prototyp der in gewiſſer Art liebenswürdig ſteif mit dem Pfunde claſſiſcher Gelehrſamkeit überall hingreifenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/96
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/96>, abgerufen am 22.11.2024.