Misverständnisse 1) den klaren und bewußten Ausdruck des baseler Rathsmandats oft stark verdunkelt und durch diesen Mangel an Correctheit wesentlich dazu beigetragen hat, daß die Sprache und mit ihr auch das ganze Wesen des Gaunerthums durch Jahr- hunderte hindurch ein unerklärtes, undurchdringliches Geheimniß geblieben ist, trotzdem daß der Liber Vagatorum vermöge seiner vielen Auflagen und Luther's Protection doch populär genug ge- worden sein mußte, während das baseler Rathsmandat selbst durch- aus unbekannt blieb und erst nach Jahrhunderten und zwar zum ersten male im Jahre 1749 gedruckt wurde: noch dazu in den la- teinischen "Exercitationes juris universi praecipue Germanici u. s. w." des pedantischen J. Heumann und in der zum Vertrock- nen dürren Abhandlung "De lingua occulta", aus deren steifer scholastischer Latinität das prächtige Rathsmandat mit seiner frisch- farbigen Skizzirung des Volkslebens überraschend, wie eine Oase aus der Wüste, heraustritt.
Wichtig für die Kritik der gaunersprachlichen Documente ist auch die Zeit, in welcher sie gesammelt und zum Vorschein ge- bracht sind. Nicht allein, daß man in den Wurzeln und Flexionen der ältesten deutschen Gaunerwörter nicht selten auch den Ueber- gang des Alt- und Mittelhochdeutschen in das Neuhochdeutsche wahrnehmen kann: man sieht auch von der andern Seite wieder in ebendieser Gaunersprache jenen trüben und wunderlichen Rück- schritt der vorgedrungenen reinen neuhochdeutschen Sprache, welche vermöge der pedantischen Eitelkeit der Gelehrten wiederum von der scholastischen Latinität getrübt und verdunkelt wurde und sogar erleiden mußte, daß echt deutschen Wörtern, welche Eingang in die Gaunersprache gefunden hatten, eine lateinische Wurzel unter- geschoben wurde. So z. B. ist das durchaus deutsche Vermerin durch die spätere falsche Redaction des Liber Vagatorum in Ve- ranerin umgewandelt worden u. s. w. Aehnliche Verfälschungen sind Grantener für Grautener, Jnnen für Junen. Beson-
1) Besonders überzeugen davon die vielen Varianten, worauf Hoffmann von Fallersleben im "Weimarischen Jahrbuch", IV, 65 fg., aufmerksam macht.
Misverſtändniſſe 1) den klaren und bewußten Ausdruck des baſeler Rathsmandats oft ſtark verdunkelt und durch dieſen Mangel an Correctheit weſentlich dazu beigetragen hat, daß die Sprache und mit ihr auch das ganze Weſen des Gaunerthums durch Jahr- hunderte hindurch ein unerklärtes, undurchdringliches Geheimniß geblieben iſt, trotzdem daß der Liber Vagatorum vermöge ſeiner vielen Auflagen und Luther’s Protection doch populär genug ge- worden ſein mußte, während das baſeler Rathsmandat ſelbſt durch- aus unbekannt blieb und erſt nach Jahrhunderten und zwar zum erſten male im Jahre 1749 gedruckt wurde: noch dazu in den la- teiniſchen „Exercitationes juris universi praecipue Germanici u. ſ. w.“ des pedantiſchen J. Heumann und in der zum Vertrock- nen dürren Abhandlung „De lingua occulta“, aus deren ſteifer ſcholaſtiſcher Latinität das prächtige Rathsmandat mit ſeiner friſch- farbigen Skizzirung des Volkslebens überraſchend, wie eine Oaſe aus der Wüſte, heraustritt.
Wichtig für die Kritik der gaunerſprachlichen Documente iſt auch die Zeit, in welcher ſie geſammelt und zum Vorſchein ge- bracht ſind. Nicht allein, daß man in den Wurzeln und Flexionen der älteſten deutſchen Gaunerwörter nicht ſelten auch den Ueber- gang des Alt- und Mittelhochdeutſchen in das Neuhochdeutſche wahrnehmen kann: man ſieht auch von der andern Seite wieder in ebendieſer Gaunerſprache jenen trüben und wunderlichen Rück- ſchritt der vorgedrungenen reinen neuhochdeutſchen Sprache, welche vermöge der pedantiſchen Eitelkeit der Gelehrten wiederum von der ſcholaſtiſchen Latinität getrübt und verdunkelt wurde und ſogar erleiden mußte, daß echt deutſchen Wörtern, welche Eingang in die Gaunerſprache gefunden hatten, eine lateiniſche Wurzel unter- geſchoben wurde. So z. B. iſt das durchaus deutſche Vermerin durch die ſpätere falſche Redaction des Liber Vagatorum in Ve- ranerin umgewandelt worden u. ſ. w. Aehnliche Verfälſchungen ſind Grantener für Grautener, Jnnen für Junen. Beſon-
1) Beſonders überzeugen davon die vielen Varianten, worauf Hoffmann von Fallersleben im „Weimariſchen Jahrbuch“, IV, 65 fg., aufmerkſam macht.
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Misverſtändniſſe 1) den klaren und bewußten Ausdruck des baſeler
Rathsmandats oft ſtark verdunkelt und durch dieſen Mangel an
Correctheit weſentlich dazu beigetragen hat, daß die Sprache und
mit ihr auch das ganze Weſen des Gaunerthums durch Jahr-
hunderte hindurch ein unerklärtes, undurchdringliches Geheimniß
geblieben iſt, trotzdem daß der Liber Vagatorum vermöge ſeiner
vielen Auflagen und Luther’s Protection doch populär genug ge-
worden ſein mußte, während das baſeler Rathsmandat ſelbſt durch-
aus unbekannt blieb und erſt nach Jahrhunderten und zwar zum
erſten male im Jahre 1749 gedruckt wurde: noch dazu in den la-
teiniſchen „Exercitationes juris universi praecipue Germanici
u. ſ. w.“ des pedantiſchen J. Heumann und in der zum Vertrock-
nen dürren Abhandlung „De lingua occulta“, aus deren ſteifer
ſcholaſtiſcher Latinität das prächtige Rathsmandat mit ſeiner friſch-
farbigen Skizzirung des Volkslebens überraſchend, wie eine Oaſe
aus der Wüſte, heraustritt.
Wichtig für die Kritik der gaunerſprachlichen Documente iſt
auch die Zeit, in welcher ſie geſammelt und zum Vorſchein ge-
bracht ſind. Nicht allein, daß man in den Wurzeln und Flexionen
der älteſten deutſchen Gaunerwörter nicht ſelten auch den Ueber-
gang des Alt- und Mittelhochdeutſchen in das Neuhochdeutſche
wahrnehmen kann: man ſieht auch von der andern Seite wieder
in ebendieſer Gaunerſprache jenen trüben und wunderlichen Rück-
ſchritt der vorgedrungenen reinen neuhochdeutſchen Sprache, welche
vermöge der pedantiſchen Eitelkeit der Gelehrten wiederum von der
ſcholaſtiſchen Latinität getrübt und verdunkelt wurde und ſogar
erleiden mußte, daß echt deutſchen Wörtern, welche Eingang in
die Gaunerſprache gefunden hatten, eine lateiniſche Wurzel unter-
geſchoben wurde. So z. B. iſt das durchaus deutſche Vermerin
durch die ſpätere falſche Redaction des Liber Vagatorum in Ve-
ranerin umgewandelt worden u. ſ. w. Aehnliche Verfälſchungen
ſind Grantener für Grautener, Jnnen für Junen. Beſon-
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von Fallersleben im „Weimariſchen Jahrbuch“, IV, 65 fg., aufmerkſam macht.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/62>, abgerufen am 24.11.2024.
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