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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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Bezeichnungen von Städten und Ländern gibt. Freilich liegt alles
recht bunt und wirr durcheinander. Doch lassen sich bei genauerm
Aufblick die Grundregeln überall ziemlich deutlich durchfinden.

Die deutschen Ortsnamen werden in der Gaunersprache mit
ihrem bloßen deutschen, jedoch hebräisch oder jüdischdeutsch ausge-
sprochenen Anfangsbuchstaben bezeichnet und von der Zahlengel-
tung der Buchstaben durch die Verbindung mit Mokom, Stadt,
oder Medine, Land, unterschieden, z. B.: Mokum Lommet,
Leipzig; Mokum Resch, Regensburg; Mokum Dollet, Dres-
den; Mokum Mem, München u. s. w. Doch ist diese Bezeich-
nung noch immer sehr unbestimmt, da es ja sehr viele Ortschaf-
ten mit gleichem Anfangsbuchstaben gibt. Die Regel wird dann
auch enger gefaßt, sodaß gewöhnlich das Land, in welchem der
zu bezeichnende Ort liegt, mit berücksichtigt wird. So ist Mokum
Schin in Ganfermedine
Stuttgart; Mokum Schin in Pä-
serche
Stralsund, Stettin, Stargard; Mokum Mem in Chas-
sermedine
München; Mokum Mem in Päserche Magdeburg,
Marienwerder u. s. w. Nur wenn es sich unzweifelhaft um ein
bestimmtes Land handelt, welchem die Gaunergruppe oder ein Un-
ternehmen angehört und ein Misverständniß nicht leicht möglich
ist, wird die Bezeichnung des Landes weggelassen. Große, Haupt-
und Residenzstädte werden durch Godel Mokum besonders be-
zeichnet. So unterscheidet sich innerhalb des Königreichs Hannover
Godel Mokum He, Hannover, als Residenzstadt, von Mokum
He,
Hildesheim u. s. w.

Weiter geht die geographische Terminologie nicht, und zwar
nicht etwa aus Mangel an eigenen Bezeichnungen, für welche das
Gaunerthum niemals in Verlegenheit ist, sondern aus der raffi-
nirtesten Vorsicht, um keinen Preis durch stabile technische Be-
zeichnungen nach einem schlüssigen System die Möglichkeit der
Offenbarung des Geheimnisses darzubieten. Jn der bewunderns-
würdigsten, scharfsinnigsten und verschlagensten Weise werden un-
zählige feine, historische, topische und persönliche Beziehungen und
Hindeutungen aller Art gemacht und benutzt, um sich dem Gau-
nergenossen so vollkommen klar zu machen, wie dem Laien durch-

Bezeichnungen von Städten und Ländern gibt. Freilich liegt alles
recht bunt und wirr durcheinander. Doch laſſen ſich bei genauerm
Aufblick die Grundregeln überall ziemlich deutlich durchfinden.

Die deutſchen Ortsnamen werden in der Gaunerſprache mit
ihrem bloßen deutſchen, jedoch hebräiſch oder jüdiſchdeutſch ausge-
ſprochenen Anfangsbuchſtaben bezeichnet und von der Zahlengel-
tung der Buchſtaben durch die Verbindung mit Mokom, Stadt,
oder Medine, Land, unterſchieden, z. B.: Mokum Lommet,
Leipzig; Mokum Reſch, Regensburg; Mokum Dollet, Dres-
den; Mokum Mem, München u. ſ. w. Doch iſt dieſe Bezeich-
nung noch immer ſehr unbeſtimmt, da es ja ſehr viele Ortſchaf-
ten mit gleichem Anfangsbuchſtaben gibt. Die Regel wird dann
auch enger gefaßt, ſodaß gewöhnlich das Land, in welchem der
zu bezeichnende Ort liegt, mit berückſichtigt wird. So iſt Mokum
Schin in Ganfermedine
Stuttgart; Mokum Schin in Pä-
ſerche
Stralſund, Stettin, Stargard; Mokum Mem in Chaſ-
ſermedine
München; Mokum Mem in Päſerche Magdeburg,
Marienwerder u. ſ. w. Nur wenn es ſich unzweifelhaft um ein
beſtimmtes Land handelt, welchem die Gaunergruppe oder ein Un-
ternehmen angehört und ein Misverſtändniß nicht leicht möglich
iſt, wird die Bezeichnung des Landes weggelaſſen. Große, Haupt-
und Reſidenzſtädte werden durch Godel Mokum beſonders be-
zeichnet. So unterſcheidet ſich innerhalb des Königreichs Hannover
Godel Mokum He, Hannover, als Reſidenzſtadt, von Mokum
He,
Hildesheim u. ſ. w.

Weiter geht die geographiſche Terminologie nicht, und zwar
nicht etwa aus Mangel an eigenen Bezeichnungen, für welche das
Gaunerthum niemals in Verlegenheit iſt, ſondern aus der raffi-
nirteſten Vorſicht, um keinen Preis durch ſtabile techniſche Be-
zeichnungen nach einem ſchlüſſigen Syſtem die Möglichkeit der
Offenbarung des Geheimniſſes darzubieten. Jn der bewunderns-
würdigſten, ſcharfſinnigſten und verſchlagenſten Weiſe werden un-
zählige feine, hiſtoriſche, topiſche und perſönliche Beziehungen und
Hindeutungen aller Art gemacht und benutzt, um ſich dem Gau-
nergenoſſen ſo vollkommen klar zu machen, wie dem Laien durch-

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[304/0316] Bezeichnungen von Städten und Ländern gibt. Freilich liegt alles recht bunt und wirr durcheinander. Doch laſſen ſich bei genauerm Aufblick die Grundregeln überall ziemlich deutlich durchfinden. Die deutſchen Ortsnamen werden in der Gaunerſprache mit ihrem bloßen deutſchen, jedoch hebräiſch oder jüdiſchdeutſch ausge- ſprochenen Anfangsbuchſtaben bezeichnet und von der Zahlengel- tung der Buchſtaben durch die Verbindung mit Mokom, Stadt, oder Medine, Land, unterſchieden, z. B.: Mokum Lommet, Leipzig; Mokum Reſch, Regensburg; Mokum Dollet, Dres- den; Mokum Mem, München u. ſ. w. Doch iſt dieſe Bezeich- nung noch immer ſehr unbeſtimmt, da es ja ſehr viele Ortſchaf- ten mit gleichem Anfangsbuchſtaben gibt. Die Regel wird dann auch enger gefaßt, ſodaß gewöhnlich das Land, in welchem der zu bezeichnende Ort liegt, mit berückſichtigt wird. So iſt Mokum Schin in Ganfermedine Stuttgart; Mokum Schin in Pä- ſerche Stralſund, Stettin, Stargard; Mokum Mem in Chaſ- ſermedine München; Mokum Mem in Päſerche Magdeburg, Marienwerder u. ſ. w. Nur wenn es ſich unzweifelhaft um ein beſtimmtes Land handelt, welchem die Gaunergruppe oder ein Un- ternehmen angehört und ein Misverſtändniß nicht leicht möglich iſt, wird die Bezeichnung des Landes weggelaſſen. Große, Haupt- und Reſidenzſtädte werden durch Godel Mokum beſonders be- zeichnet. So unterſcheidet ſich innerhalb des Königreichs Hannover Godel Mokum He, Hannover, als Reſidenzſtadt, von Mokum He, Hildesheim u. ſ. w. Weiter geht die geographiſche Terminologie nicht, und zwar nicht etwa aus Mangel an eigenen Bezeichnungen, für welche das Gaunerthum niemals in Verlegenheit iſt, ſondern aus der raffi- nirteſten Vorſicht, um keinen Preis durch ſtabile techniſche Be- zeichnungen nach einem ſchlüſſigen Syſtem die Möglichkeit der Offenbarung des Geheimniſſes darzubieten. Jn der bewunderns- würdigſten, ſcharfſinnigſten und verſchlagenſten Weiſe werden un- zählige feine, hiſtoriſche, topiſche und perſönliche Beziehungen und Hindeutungen aller Art gemacht und benutzt, um ſich dem Gau- nergenoſſen ſo vollkommen klar zu machen, wie dem Laien durch-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/316>, abgerufen am 24.11.2024.