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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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dorfer Wörterbuch das r in Triflet für Filet, Gespinst, Ge-
webe, ähnlich wie in der italienischen Gaunersprache Verunstal-
tungen der Art stattfinden, z. B. für das italienische Wort mese,
Monat, m-arch-ese (als ob Marquis), vgl. Pott, S. 18. Ebenso
finden sich dabei auch Veränderungen einzelner Vocale und Aus-
lassungen einzelner Consonanten, wie z. B. im waldheimer Lexi-
kon Eckschell für Schicksel, Mädchen u. s. w.

So wenig diese, lediglich den hebräischen kabbalistischen Po-
sitionen nachgeahmten Verunstaltungen für eine originell deutsch-
gaunersprachliche Verstellung gelten können, so scheint doch die
Verstellung ganzer Silben statt der hebräisch-kabbalistischen Ver-
setzung der einzelnen Buchstaben eine deutsch-gaunersprachliche
Originalität und sogar von romanischen Gaunersprachen nachge-
ahmt worden zu sein. So führt Pott aus der spanischen Gauner-
sprache (Germania) mehrere Beispiele an: tisvar für vista, lepar
für pelar, toba für bota, grito für trigo, chepo für pecho,
greno
für negro. Jn keiner Gaunersprache ist aber diese Trans-
position lebendiger und systematischer ausgeprägt als im englischen
Back slang der Coster-monger 1), welches jedoch, wie auch schon

1) Der London Antiquary erläutert den Begriff Coster-monger nicht.
Jn den Wörterbüchern der englischen Sprache findet man nur die kahle Ueber-
setzung Aepfelhändler, mit der Variante Costard-monger mit gleicher Bedeu-
tung. Costard ist eine Art Apfel mit milchigem Safte. Jedenfalls sind Coster-
monger
hausirende Höker, welche mit Obst, Lebensmitteln (sogar auch, nach
einer mündlichen Mittheilung, mit Fütterfleisch für Hunde und Katzen) in Lon-
don umherziehen. Die palindrome Ausdrucksweise mag allerdings eine Origi-
nalität der Coster-monger und zunächst wol nur auf Zahlen beschränkt ge-
wesen sein, bis sie denn auch vom englischen Gaunerthum aufgefaßt und wei-
ter cultivirt wurde. Doch entspricht sie keineswegs vollkommen dem Wesen des
Gaunerthums und seiner Sprache, weil sie System hat, also das Geheimniß
nicht sicher bewahrt. Der starke Anwuchs von Vocabeln innerhalb funfzehn
Jahren, seit welchen dies Palindrom als Back slang in Gebrauch gekommen
ist, scheint sich mehr aus dem Reiz der Neuheit zu datiren als aus der an-
dauernden Brauchbarkeit. Schwerlich wird dieses Back slang erheblich viel
länger und weiter cultivirt werden. Bei Gelegenheit der Anfragen über die
eigentliche Bedeutung des Worts Coster-monger, welche ein hamburger Freund
in London zu machen die Güte hatte, ist mir von einem londoner Criminalisten
noch die interessante Notiz geworden, daß gerade das Wort Coster-monger

dorfer Wörterbuch das r in Triflet für Filet, Geſpinſt, Ge-
webe, ähnlich wie in der italieniſchen Gaunerſprache Verunſtal-
tungen der Art ſtattfinden, z. B. für das italieniſche Wort mese,
Monat, m-arch-ese (als ob Marquis), vgl. Pott, S. 18. Ebenſo
finden ſich dabei auch Veränderungen einzelner Vocale und Aus-
laſſungen einzelner Conſonanten, wie z. B. im waldheimer Lexi-
kon Eckſchell für Schickſel, Mädchen u. ſ. w.

So wenig dieſe, lediglich den hebräiſchen kabbaliſtiſchen Po-
ſitionen nachgeahmten Verunſtaltungen für eine originell deutſch-
gaunerſprachliche Verſtellung gelten können, ſo ſcheint doch die
Verſtellung ganzer Silben ſtatt der hebräiſch-kabbaliſtiſchen Ver-
ſetzung der einzelnen Buchſtaben eine deutſch-gaunerſprachliche
Originalität und ſogar von romaniſchen Gaunerſprachen nachge-
ahmt worden zu ſein. So führt Pott aus der ſpaniſchen Gauner-
ſprache (Germania) mehrere Beiſpiele an: tisvar für vista, lepar
für pelar, toba für bota, grito für trigo, chepo für pecho,
greno
für negro. Jn keiner Gaunerſprache iſt aber dieſe Trans-
poſition lebendiger und ſyſtematiſcher ausgeprägt als im engliſchen
Back slang der Coster-monger 1), welches jedoch, wie auch ſchon

1) Der London Antiquary erläutert den Begriff Coster-monger nicht.
Jn den Wörterbüchern der engliſchen Sprache findet man nur die kahle Ueber-
ſetzung Aepfelhändler, mit der Variante Costard-monger mit gleicher Bedeu-
tung. Costard iſt eine Art Apfel mit milchigem Safte. Jedenfalls ſind Coster-
monger
hauſirende Höker, welche mit Obſt, Lebensmitteln (ſogar auch, nach
einer mündlichen Mittheilung, mit Fütterfleiſch für Hunde und Katzen) in Lon-
don umherziehen. Die palindrome Ausdrucksweiſe mag allerdings eine Origi-
nalität der Coster-monger und zunächſt wol nur auf Zahlen beſchränkt ge-
weſen ſein, bis ſie denn auch vom engliſchen Gaunerthum aufgefaßt und wei-
ter cultivirt wurde. Doch entſpricht ſie keineswegs vollkommen dem Weſen des
Gaunerthums und ſeiner Sprache, weil ſie Syſtem hat, alſo das Geheimniß
nicht ſicher bewahrt. Der ſtarke Anwuchs von Vocabeln innerhalb funfzehn
Jahren, ſeit welchen dies Palindrom als Back slang in Gebrauch gekommen
iſt, ſcheint ſich mehr aus dem Reiz der Neuheit zu datiren als aus der an-
dauernden Brauchbarkeit. Schwerlich wird dieſes Back slang erheblich viel
länger und weiter cultivirt werden. Bei Gelegenheit der Anfragen über die
eigentliche Bedeutung des Worts Coster-monger, welche ein hamburger Freund
in London zu machen die Güte hatte, iſt mir von einem londoner Criminaliſten
noch die intereſſante Notiz geworden, daß gerade das Wort Coster-monger
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[299/0311] dorfer Wörterbuch das r in Triflet für Filet, Geſpinſt, Ge- webe, ähnlich wie in der italieniſchen Gaunerſprache Verunſtal- tungen der Art ſtattfinden, z. B. für das italieniſche Wort mese, Monat, m-arch-ese (als ob Marquis), vgl. Pott, S. 18. Ebenſo finden ſich dabei auch Veränderungen einzelner Vocale und Aus- laſſungen einzelner Conſonanten, wie z. B. im waldheimer Lexi- kon Eckſchell für Schickſel, Mädchen u. ſ. w. So wenig dieſe, lediglich den hebräiſchen kabbaliſtiſchen Po- ſitionen nachgeahmten Verunſtaltungen für eine originell deutſch- gaunerſprachliche Verſtellung gelten können, ſo ſcheint doch die Verſtellung ganzer Silben ſtatt der hebräiſch-kabbaliſtiſchen Ver- ſetzung der einzelnen Buchſtaben eine deutſch-gaunerſprachliche Originalität und ſogar von romaniſchen Gaunerſprachen nachge- ahmt worden zu ſein. So führt Pott aus der ſpaniſchen Gauner- ſprache (Germania) mehrere Beiſpiele an: tisvar für vista, lepar für pelar, toba für bota, grito für trigo, chepo für pecho, greno für negro. Jn keiner Gaunerſprache iſt aber dieſe Trans- poſition lebendiger und ſyſtematiſcher ausgeprägt als im engliſchen Back slang der Coster-monger 1), welches jedoch, wie auch ſchon 1) Der London Antiquary erläutert den Begriff Coster-monger nicht. Jn den Wörterbüchern der engliſchen Sprache findet man nur die kahle Ueber- ſetzung Aepfelhändler, mit der Variante Costard-monger mit gleicher Bedeu- tung. Costard iſt eine Art Apfel mit milchigem Safte. Jedenfalls ſind Coster- monger hauſirende Höker, welche mit Obſt, Lebensmitteln (ſogar auch, nach einer mündlichen Mittheilung, mit Fütterfleiſch für Hunde und Katzen) in Lon- don umherziehen. Die palindrome Ausdrucksweiſe mag allerdings eine Origi- nalität der Coster-monger und zunächſt wol nur auf Zahlen beſchränkt ge- weſen ſein, bis ſie denn auch vom engliſchen Gaunerthum aufgefaßt und wei- ter cultivirt wurde. Doch entſpricht ſie keineswegs vollkommen dem Weſen des Gaunerthums und ſeiner Sprache, weil ſie Syſtem hat, alſo das Geheimniß nicht ſicher bewahrt. Der ſtarke Anwuchs von Vocabeln innerhalb funfzehn Jahren, ſeit welchen dies Palindrom als Back slang in Gebrauch gekommen iſt, ſcheint ſich mehr aus dem Reiz der Neuheit zu datiren als aus der an- dauernden Brauchbarkeit. Schwerlich wird dieſes Back slang erheblich viel länger und weiter cultivirt werden. Bei Gelegenheit der Anfragen über die eigentliche Bedeutung des Worts Coster-monger, welche ein hamburger Freund in London zu machen die Güte hatte, iſt mir von einem londoner Criminaliſten noch die intereſſante Notiz geworden, daß gerade das Wort Coster-monger

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/311>, abgerufen am 24.11.2024.