Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite
Dreiundvierzigstes Kapitel.
b. Die besondern Bildungen.
. Ableitungen.

Ungeachtet der gesuchten, bis zur Verwilderung getriebenen
mundartigen Modulation findet man in der Gaunersprache eine
Anzahl bestimmter durchschlagender Wortendungen, auf welche
Pott, II, 33, aufmerksam macht, indem er sie als "Ableitungen"
bezeichnet. Zunächst führt er nach N. V. Dorph 1) aus dem jüt-
schen Rotwelsch die Endungen um, rum an, z. B.: Padrum,
Vater; Madrum, Mutter; Bratrum, Bruder; Erdrum, Erde;
Landrum, Land u. s. w. Mit Recht nennt Pott diese Endungen
sonderbar. Sie sind durchaus nicht der deutschen Gaunersprache
eigenthümlich und kommen nur sehr selten und zufällig vor, haben
keine bestimmte Bedeutung und am wenigsten die eigenthümliche
Bedeutung der Präposition um, welche die Richtung einer Be-
wegung ausdrückt, die der mehr oder minder kreisförmigen Außen-
seite einer Sache entspricht. Selbst das wol nur einzige deutsch-
gaunersprachliche Drehrum für Schlüssel, Schlüsseldiebstahl (auf
Drehrum handeln,
mit Nachschlüsseln stehlen), ist wol nur eine
Silbentransposition. Andere Endungen auf um sind meistens nur
corrumpirte fremdsprachliche Endungen, wie Lechum für Lechem,
Brod; Sackum für Sackin, Messer (nicht von secare oder gar
von Sack, sondern von [irrelevantes Material - Zeichen fehlt]); Majum für Majim, Wasser. Ob
diese seltsame Endung etwa dem Lateinischen nachgebildet oder wie
sie sonst entstanden sein mag, sei dahingestellt. Gewiß ist, daß
sie nicht deutschgaunerisch ist und nur im dänischen Rotwelsch
vorkommt, von welchem sie übrigens gern hier und da mit ein-
zelnen Ausdrücken in die deutsche Gaunersprache hinübergespielt
haben mag.

1) "De jydske Zigeunere, og en rotvelsk Ordbog" (Kopenhagen 1837).
Früher (1824) war zu Viborg von Dorph erschienen: "Rotvelsk Lexicon
eller Ordbog i det saakaldte Kjeltringelatin, d. e. det hemmelige Sprog
som tales af de i Jylland omreisende Zigeunere eller Natmandsfolk.
"
Dreiundvierzigſtes Kapitel.
β. Die beſondern Bildungen.
א. Ableitungen.

Ungeachtet der geſuchten, bis zur Verwilderung getriebenen
mundartigen Modulation findet man in der Gaunerſprache eine
Anzahl beſtimmter durchſchlagender Wortendungen, auf welche
Pott, II, 33, aufmerkſam macht, indem er ſie als „Ableitungen“
bezeichnet. Zunächſt führt er nach N. V. Dorph 1) aus dem jüt-
ſchen Rotwelſch die Endungen um, rum an, z. B.: Padrum,
Vater; Madrum, Mutter; Bratrum, Bruder; Erdrum, Erde;
Landrum, Land u. ſ. w. Mit Recht nennt Pott dieſe Endungen
ſonderbar. Sie ſind durchaus nicht der deutſchen Gaunerſprache
eigenthümlich und kommen nur ſehr ſelten und zufällig vor, haben
keine beſtimmte Bedeutung und am wenigſten die eigenthümliche
Bedeutung der Präpoſition um, welche die Richtung einer Be-
wegung ausdrückt, die der mehr oder minder kreisförmigen Außen-
ſeite einer Sache entſpricht. Selbſt das wol nur einzige deutſch-
gaunerſprachliche Drehrum für Schlüſſel, Schlüſſeldiebſtahl (auf
Drehrum handeln,
mit Nachſchlüſſeln ſtehlen), iſt wol nur eine
Silbentranspoſition. Andere Endungen auf um ſind meiſtens nur
corrumpirte fremdſprachliche Endungen, wie Lechum für Lechem,
Brod; Sackum für Sackin, Meſſer (nicht von secare oder gar
von Sack, ſondern von [irrelevantes Material – Zeichen fehlt]); Majum für Majim, Waſſer. Ob
dieſe ſeltſame Endung etwa dem Lateiniſchen nachgebildet oder wie
ſie ſonſt entſtanden ſein mag, ſei dahingeſtellt. Gewiß iſt, daß
ſie nicht deutſchgauneriſch iſt und nur im däniſchen Rotwelſch
vorkommt, von welchem ſie übrigens gern hier und da mit ein-
zelnen Ausdrücken in die deutſche Gaunerſprache hinübergeſpielt
haben mag.

1)De jydske Zigeunere, og en rotvelsk Ordbog“ (Kopenhagen 1837).
Früher (1824) war zu Viborg von Dorph erſchienen: „Rotvelsk Lexicon
eller Ordbog i det saakaldte Kjeltringelatin, d. e. det hemmelige Sprog
som tales af de i Jylland omreisende Zigeunere eller Natmandsfolk.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0292" n="280"/>
                <div n="6">
                  <head><hi rendition="#fr">Dreiundvierzig&#x017F;tes Kapitel.</hi><lb/>
&#x03B2;. <hi rendition="#g">Die be&#x017F;ondern Bildungen.</hi></head><lb/>
                  <div n="7">
                    <head>&#x05D0;. <hi rendition="#b">Ableitungen.</hi></head><lb/>
                    <p>Ungeachtet der ge&#x017F;uchten, bis zur Verwilderung getriebenen<lb/>
mundartigen Modulation findet man in der Gauner&#x017F;prache eine<lb/>
Anzahl be&#x017F;timmter durch&#x017F;chlagender Wortendungen, auf welche<lb/>
Pott, <hi rendition="#aq">II,</hi> 33, aufmerk&#x017F;am macht, indem er &#x017F;ie als &#x201E;Ableitungen&#x201C;<lb/>
bezeichnet. Zunäch&#x017F;t führt er nach N. V. Dorph <note place="foot" n="1)">&#x201E;<hi rendition="#aq">De jydske Zigeunere, og en rotvelsk Ordbog</hi>&#x201C; (Kopenhagen 1837).<lb/>
Früher (1824) war zu Viborg von Dorph er&#x017F;chienen: &#x201E;<hi rendition="#aq">Rotvelsk Lexicon<lb/>
eller Ordbog i det saakaldte Kjeltringelatin, d. e. det hemmelige Sprog<lb/>
som tales af de i Jylland omreisende Zigeunere eller Natmandsfolk.</hi>&#x201C;</note> aus dem jüt-<lb/>
&#x017F;chen Rotwel&#x017F;ch die Endungen <hi rendition="#g">um, rum</hi> an, z. B.: <hi rendition="#g">Padrum,</hi><lb/>
Vater; <hi rendition="#g">Madrum,</hi> Mutter; <hi rendition="#g">Bratrum,</hi> Bruder; <hi rendition="#g">Erdrum,</hi> Erde;<lb/><hi rendition="#g">Landrum,</hi> Land u. &#x017F;. w. Mit Recht nennt Pott die&#x017F;e Endungen<lb/>
&#x017F;onderbar. Sie &#x017F;ind durchaus nicht der deut&#x017F;chen Gauner&#x017F;prache<lb/>
eigenthümlich und kommen nur &#x017F;ehr &#x017F;elten und zufällig vor, haben<lb/>
keine be&#x017F;timmte Bedeutung und am wenig&#x017F;ten die eigenthümliche<lb/>
Bedeutung der Präpo&#x017F;ition <hi rendition="#g">um,</hi> welche die Richtung einer Be-<lb/>
wegung ausdrückt, die der mehr oder minder kreisförmigen Außen-<lb/>
&#x017F;eite einer Sache ent&#x017F;pricht. Selb&#x017F;t das wol nur einzige deut&#x017F;ch-<lb/>
gauner&#x017F;prachliche <hi rendition="#g">Drehrum</hi> für Schlü&#x017F;&#x017F;el, Schlü&#x017F;&#x017F;eldieb&#x017F;tahl (<hi rendition="#g">auf<lb/>
Drehrum handeln,</hi> mit Nach&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;eln &#x017F;tehlen), i&#x017F;t wol nur eine<lb/>
Silbentranspo&#x017F;ition. Andere Endungen auf <hi rendition="#g">um</hi> &#x017F;ind mei&#x017F;tens nur<lb/>
corrumpirte fremd&#x017F;prachliche Endungen, wie Lechum für Lechem,<lb/>
Brod; Sackum für Sackin, Me&#x017F;&#x017F;er (nicht von <hi rendition="#aq">secare</hi> oder gar<lb/>
von Sack, &#x017F;ondern von <gap reason="insignificant" unit="chars"/>); Majum für Majim, Wa&#x017F;&#x017F;er. Ob<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;elt&#x017F;ame Endung etwa dem Lateini&#x017F;chen nachgebildet oder wie<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t ent&#x017F;tanden &#x017F;ein mag, &#x017F;ei dahinge&#x017F;tellt. Gewiß i&#x017F;t, daß<lb/>
&#x017F;ie nicht deut&#x017F;chgauneri&#x017F;ch i&#x017F;t und nur im däni&#x017F;chen Rotwel&#x017F;ch<lb/>
vorkommt, von welchem &#x017F;ie übrigens gern hier und da mit ein-<lb/>
zelnen Ausdrücken in die deut&#x017F;che Gauner&#x017F;prache hinüberge&#x017F;pielt<lb/>
haben mag.</p><lb/>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0292] Dreiundvierzigſtes Kapitel. β. Die beſondern Bildungen. א. Ableitungen. Ungeachtet der geſuchten, bis zur Verwilderung getriebenen mundartigen Modulation findet man in der Gaunerſprache eine Anzahl beſtimmter durchſchlagender Wortendungen, auf welche Pott, II, 33, aufmerkſam macht, indem er ſie als „Ableitungen“ bezeichnet. Zunächſt führt er nach N. V. Dorph 1) aus dem jüt- ſchen Rotwelſch die Endungen um, rum an, z. B.: Padrum, Vater; Madrum, Mutter; Bratrum, Bruder; Erdrum, Erde; Landrum, Land u. ſ. w. Mit Recht nennt Pott dieſe Endungen ſonderbar. Sie ſind durchaus nicht der deutſchen Gaunerſprache eigenthümlich und kommen nur ſehr ſelten und zufällig vor, haben keine beſtimmte Bedeutung und am wenigſten die eigenthümliche Bedeutung der Präpoſition um, welche die Richtung einer Be- wegung ausdrückt, die der mehr oder minder kreisförmigen Außen- ſeite einer Sache entſpricht. Selbſt das wol nur einzige deutſch- gaunerſprachliche Drehrum für Schlüſſel, Schlüſſeldiebſtahl (auf Drehrum handeln, mit Nachſchlüſſeln ſtehlen), iſt wol nur eine Silbentranspoſition. Andere Endungen auf um ſind meiſtens nur corrumpirte fremdſprachliche Endungen, wie Lechum für Lechem, Brod; Sackum für Sackin, Meſſer (nicht von secare oder gar von Sack, ſondern von _ ); Majum für Majim, Waſſer. Ob dieſe ſeltſame Endung etwa dem Lateiniſchen nachgebildet oder wie ſie ſonſt entſtanden ſein mag, ſei dahingeſtellt. Gewiß iſt, daß ſie nicht deutſchgauneriſch iſt und nur im däniſchen Rotwelſch vorkommt, von welchem ſie übrigens gern hier und da mit ein- zelnen Ausdrücken in die deutſche Gaunerſprache hinübergeſpielt haben mag. 1) „De jydske Zigeunere, og en rotvelsk Ordbog“ (Kopenhagen 1837). Früher (1824) war zu Viborg von Dorph erſchienen: „Rotvelsk Lexicon eller Ordbog i det saakaldte Kjeltringelatin, d. e. det hemmelige Sprog som tales af de i Jylland omreisende Zigeunere eller Natmandsfolk.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/292
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/292>, abgerufen am 28.11.2024.