ter, Finette. Schwedisch und dänisch: Fem, fünf, davon Fem und Fehme, die Hand, und fäbern, febern, fibern, febbern, felbern, schreiben; Febber, Febberer, Fehmer, Fehmerer, Schreiber. Jtalie- nisch: strada (via strata, von sternere, gepflasterter Weg, angel- sächs. straete, engl. street, schwed. strat, ahd. straza, nd. Strat, span. und portug. estrada), Straße, Strade, Strate, Strahle, Strähle, Strehle, Strahl u. s. w. Zum Theil sind diese fremd- sprachlichen Wörter, wie ja auch die Form nachweist, schon in sehr alter Zeit vom Gaunerthum aufgenommen und dazu durch die dialektische Zustutzung dem Volke mundgerecht und ganz in die Volkssprache aufgenommen worden, z. B.: ganfen, stehlen; ram- schen, besefeln, betrügen; Moren haben, Furcht haben; men- ckeln, essen; kotzen, von sich geben, erbrechen; begasseln, be- rauben; jubiliren, frohlocken; voppen, necken u. s. w.
Aus diesen Beispielen erkennt man schon die starke Vertre- tung des Dialektischen in der Gaunersprache, welche geflissentlich an diesem festhält, mit kluger Hospitalität allen Dialekten Auf- nahme gestattet und auch selbst die für die neuhochdeutsche Sprache als "Schriftsprache" oder "Sprache der Bildung" verjährten For- men sorgfältig bewahrt, wenn auch die einzelne specifisch dialekti- sche Form sehr oft der neuen dialektischen Modulation der recipi- renden hospitalen Gruppe wiederum verfällt. Sehr gewagt ist daher das namentlich von Thiele oft ohne Grund und Berechti- gung ausgesprochene Verdict der Verjährung dieses oder jenes Wortes. Gerade hier tritt die ungemeine Treue und Zähigkeit des Jüdischdeutschen und Niederdeutschen in Bewahrung alter Sprachformen recht lebendig hervor. Beide haben die alten For- men mitten im bewegten, aber doch treu an alter Sitte und Sprache haltenden Volksleben oft sogar in wunderbarer Reinheit und Deutlichkeit durch viele Jahrhunderte hindurch erhalten, und beide sind, wenn auch für unsere gewählte Sprache der Bildung äußerlich allerdings oft recht rauhe, struppige Wegweiser, doch in ihrer markigen Fülle die zuverlässigsten und getreuesten Führer durch das wie ein Urwald verwachsene Gebiet der Volks- und Gauner- sprache.
ter, Finette. Schwediſch und däniſch: Fem, fünf, davon Fem und Fehme, die Hand, und fäbern, febern, fibern, febbern, felbern, ſchreiben; Febber, Febberer, Fehmer, Fehmerer, Schreiber. Jtalie- niſch: strada (via strata, von sternere, gepflaſterter Weg, angel- ſächſ. straete, engl. street, ſchwed. strat, ahd. straza, nd. Strat, ſpan. und portug. estrada), Straße, Strade, Strate, Strahle, Strähle, Strehle, Strahl u. ſ. w. Zum Theil ſind dieſe fremd- ſprachlichen Wörter, wie ja auch die Form nachweiſt, ſchon in ſehr alter Zeit vom Gaunerthum aufgenommen und dazu durch die dialektiſche Zuſtutzung dem Volke mundgerecht und ganz in die Volksſprache aufgenommen worden, z. B.: ganfen, ſtehlen; ram- ſchen, beſefeln, betrügen; Moren haben, Furcht haben; men- ckeln, eſſen; kotzen, von ſich geben, erbrechen; begaſſeln, be- rauben; jubiliren, frohlocken; voppen, necken u. ſ. w.
Aus dieſen Beiſpielen erkennt man ſchon die ſtarke Vertre- tung des Dialektiſchen in der Gaunerſprache, welche gefliſſentlich an dieſem feſthält, mit kluger Hoſpitalität allen Dialekten Auf- nahme geſtattet und auch ſelbſt die für die neuhochdeutſche Sprache als „Schriftſprache“ oder „Sprache der Bildung“ verjährten For- men ſorgfältig bewahrt, wenn auch die einzelne ſpecifiſch dialekti- ſche Form ſehr oft der neuen dialektiſchen Modulation der recipi- renden hoſpitalen Gruppe wiederum verfällt. Sehr gewagt iſt daher das namentlich von Thiele oft ohne Grund und Berechti- gung ausgeſprochene Verdict der Verjährung dieſes oder jenes Wortes. Gerade hier tritt die ungemeine Treue und Zähigkeit des Jüdiſchdeutſchen und Niederdeutſchen in Bewahrung alter Sprachformen recht lebendig hervor. Beide haben die alten For- men mitten im bewegten, aber doch treu an alter Sitte und Sprache haltenden Volksleben oft ſogar in wunderbarer Reinheit und Deutlichkeit durch viele Jahrhunderte hindurch erhalten, und beide ſind, wenn auch für unſere gewählte Sprache der Bildung äußerlich allerdings oft recht rauhe, ſtruppige Wegweiſer, doch in ihrer markigen Fülle die zuverläſſigſten und getreueſten Führer durch das wie ein Urwald verwachſene Gebiet der Volks- und Gauner- ſprache.
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ter, Finette. Schwediſch und däniſch: Fem, fünf, davon Fem und
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ſächſ. straete, engl. street, ſchwed. strat, ahd. straza, nd. Strat,
ſpan. und portug. estrada), Straße, Strade, Strate, Strahle,
Strähle, Strehle, Strahl u. ſ. w. Zum Theil ſind dieſe fremd-
ſprachlichen Wörter, wie ja auch die Form nachweiſt, ſchon in
ſehr alter Zeit vom Gaunerthum aufgenommen und dazu durch
die dialektiſche Zuſtutzung dem Volke mundgerecht und ganz in die
Volksſprache aufgenommen worden, z. B.: ganfen, ſtehlen; ram-
ſchen, beſefeln, betrügen; Moren haben, Furcht haben; men-
ckeln, eſſen; kotzen, von ſich geben, erbrechen; begaſſeln, be-
rauben; jubiliren, frohlocken; voppen, necken u. ſ. w.
Aus dieſen Beiſpielen erkennt man ſchon die ſtarke Vertre-
tung des Dialektiſchen in der Gaunerſprache, welche gefliſſentlich
an dieſem feſthält, mit kluger Hoſpitalität allen Dialekten Auf-
nahme geſtattet und auch ſelbſt die für die neuhochdeutſche Sprache
als „Schriftſprache“ oder „Sprache der Bildung“ verjährten For-
men ſorgfältig bewahrt, wenn auch die einzelne ſpecifiſch dialekti-
ſche Form ſehr oft der neuen dialektiſchen Modulation der recipi-
renden hoſpitalen Gruppe wiederum verfällt. Sehr gewagt iſt
daher das namentlich von Thiele oft ohne Grund und Berechti-
gung ausgeſprochene Verdict der Verjährung dieſes oder jenes
Wortes. Gerade hier tritt die ungemeine Treue und Zähigkeit
des Jüdiſchdeutſchen und Niederdeutſchen in Bewahrung alter
Sprachformen recht lebendig hervor. Beide haben die alten For-
men mitten im bewegten, aber doch treu an alter Sitte und
Sprache haltenden Volksleben oft ſogar in wunderbarer Reinheit
und Deutlichkeit durch viele Jahrhunderte hindurch erhalten, und
beide ſind, wenn auch für unſere gewählte Sprache der Bildung
äußerlich allerdings oft recht rauhe, ſtruppige Wegweiſer, doch in
ihrer markigen Fülle die zuverläſſigſten und getreueſten Führer durch
das wie ein Urwald verwachſene Gebiet der Volks- und Gauner-
ſprache.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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