Juden komme, denn viel Ebreischer wort drynnen sind, wie denn wol mercken werden, die sich auff Ebreisch verstehen", ein Aus- spruch, dessen Misverständniß, wie schon gezeigt ist, auf das ge- sammte Judenthum, wie speciell auf das Studium und auf die Kritik der Gaunersprache seit Luther sehr nachtheilige Folgen geübt hat und dessen späte irrige Auffassung noch bei Zimmermann dop- pelt befremdend, zugleich aber auch das Kriterium dafür ist, daß dieser weder die Geschichte des Gaunerthums mit seiner Sprache durchforscht, noch überhaupt linguistische Studien gemacht hat.
Geht man nun mit einiger Verzagtheit darüber, daß der so stark hervortretende Mangel einer richtigen Auffassung und kritischen Sichtung vorherrschend sich geltend machen werde, an das Studium des verhältnißmäßig kleinen, auf nur 26 Druck- seiten abgethanen Wörterbuchs, so wird man in nicht geringem Grade überrascht, wenn man findet, daß Zimmermann mit Cor- rectheit seine Gaunervocabeln aufgefaßt und mit nur geringen Ausnahmen glücklich und treffend erläutert hat. Trotz seiner muthi- gen etymologischen Vorsätze gibt Zimmermann keine einzige Ety- mologie und keine linguistische Erörterung. Aber es ist in dem ganzen Wörterbuche kaum eine Vocabel, deren Etymologie man nicht bald finden könnte. Freilich schwindet dabei Zimmermann's Dogma von der durchgreifenden Fundamentalität der "hebräischen Schriftsprache", sowie das Dogma von einer eigentlichen "berliner" Gaunersprache, welche die norddeutsche absorbirt, da man eine große Menge urdeutscher Gaunerwörter neben den vielen jüdisch- deutschen Ausdrücken findet, welche sämmtlich in ganz Deutschland, mindestens aber in Norddeutschland durchaus bekannt sind, wäh- rend nur verhältnißmäßig wenige und meistens auch nur die con- creteste topische Beziehung habende "berlinische" Gaunerwörter darin angetroffen werden.
Ungenau ist z. B. die Erläuterung von anbaun1), von [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], bo, bau, welches in der allgemeinen Bedeutung kommen
1) Zimmermann führt auf: "Anbaun, mit den Diebsinstrumenten ver- schlossene Locale zu öffnen suchen, besonders üblich, wenn die Diebe nachher verscheucht werden und Spuren ihrer Anwesenheit zurückgeblieben sind."
Juden komme, denn viel Ebreiſcher wort drynnen ſind, wie denn wol mercken werden, die ſich auff Ebreiſch verſtehen“, ein Aus- ſpruch, deſſen Misverſtändniß, wie ſchon gezeigt iſt, auf das ge- ſammte Judenthum, wie ſpeciell auf das Studium und auf die Kritik der Gaunerſprache ſeit Luther ſehr nachtheilige Folgen geübt hat und deſſen ſpäte irrige Auffaſſung noch bei Zimmermann dop- pelt befremdend, zugleich aber auch das Kriterium dafür iſt, daß dieſer weder die Geſchichte des Gaunerthums mit ſeiner Sprache durchforſcht, noch überhaupt linguiſtiſche Studien gemacht hat.
Geht man nun mit einiger Verzagtheit darüber, daß der ſo ſtark hervortretende Mangel einer richtigen Auffaſſung und kritiſchen Sichtung vorherrſchend ſich geltend machen werde, an das Studium des verhältnißmäßig kleinen, auf nur 26 Druck- ſeiten abgethanen Wörterbuchs, ſo wird man in nicht geringem Grade überraſcht, wenn man findet, daß Zimmermann mit Cor- rectheit ſeine Gaunervocabeln aufgefaßt und mit nur geringen Ausnahmen glücklich und treffend erläutert hat. Trotz ſeiner muthi- gen etymologiſchen Vorſätze gibt Zimmermann keine einzige Ety- mologie und keine linguiſtiſche Erörterung. Aber es iſt in dem ganzen Wörterbuche kaum eine Vocabel, deren Etymologie man nicht bald finden könnte. Freilich ſchwindet dabei Zimmermann’s Dogma von der durchgreifenden Fundamentalität der „hebräiſchen Schriftſprache“, ſowie das Dogma von einer eigentlichen „berliner“ Gaunerſprache, welche die norddeutſche abſorbirt, da man eine große Menge urdeutſcher Gaunerwörter neben den vielen jüdiſch- deutſchen Ausdrücken findet, welche ſämmtlich in ganz Deutſchland, mindeſtens aber in Norddeutſchland durchaus bekannt ſind, wäh- rend nur verhältnißmäßig wenige und meiſtens auch nur die con- creteſte topiſche Beziehung habende „berliniſche“ Gaunerwörter darin angetroffen werden.
Ungenau iſt z. B. die Erläuterung von anbaun1), von [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], bo, bau, welches in der allgemeinen Bedeutung kommen
1) Zimmermann führt auf: „Anbaun, mit den Diebsinſtrumenten ver- ſchloſſene Locale zu öffnen ſuchen, beſonders üblich, wenn die Diebe nachher verſcheucht werden und Spuren ihrer Anweſenheit zurückgeblieben ſind.“
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Juden komme, denn viel Ebreiſcher wort drynnen ſind, wie denn
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ſammte Judenthum, wie ſpeciell auf das Studium und auf die
Kritik der Gaunerſprache ſeit Luther ſehr nachtheilige Folgen geübt
hat und deſſen ſpäte irrige Auffaſſung noch bei Zimmermann dop-
pelt befremdend, zugleich aber auch das Kriterium dafür iſt, daß
dieſer weder die Geſchichte des Gaunerthums mit ſeiner Sprache
durchforſcht, noch überhaupt linguiſtiſche Studien gemacht hat.
Geht man nun mit einiger Verzagtheit darüber, daß der
ſo ſtark hervortretende Mangel einer richtigen Auffaſſung und
kritiſchen Sichtung vorherrſchend ſich geltend machen werde, an
das Studium des verhältnißmäßig kleinen, auf nur 26 Druck-
ſeiten abgethanen Wörterbuchs, ſo wird man in nicht geringem
Grade überraſcht, wenn man findet, daß Zimmermann mit Cor-
rectheit ſeine Gaunervocabeln aufgefaßt und mit nur geringen
Ausnahmen glücklich und treffend erläutert hat. Trotz ſeiner muthi-
gen etymologiſchen Vorſätze gibt Zimmermann keine einzige Ety-
mologie und keine linguiſtiſche Erörterung. Aber es iſt in dem
ganzen Wörterbuche kaum eine Vocabel, deren Etymologie man
nicht bald finden könnte. Freilich ſchwindet dabei Zimmermann’s
Dogma von der durchgreifenden Fundamentalität der „hebräiſchen
Schriftſprache“, ſowie das Dogma von einer eigentlichen „berliner“
Gaunerſprache, welche die norddeutſche abſorbirt, da man eine
große Menge urdeutſcher Gaunerwörter neben den vielen jüdiſch-
deutſchen Ausdrücken findet, welche ſämmtlich in ganz Deutſchland,
mindeſtens aber in Norddeutſchland durchaus bekannt ſind, wäh-
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Ungenau iſt z. B. die Erläuterung von anbaun 1), von
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1) Zimmermann führt auf: „Anbaun, mit den Diebsinſtrumenten ver-
ſchloſſene Locale zu öffnen ſuchen, beſonders üblich, wenn die Diebe nachher
verſcheucht werden und Spuren ihrer Anweſenheit zurückgeblieben ſind.“
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/276>, abgerufen am 24.11.2024.
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