so unwürdiger wie flacher Kritik abgefertigt hat. So höchst un- erquicklich es ist, Thiele's Arbeit einer Kritik zu unterziehen, so unerlaßlich ist diese Kritik, da Thiele, unter dem Glanz der groß- artigen Untersuchung hervortretend, nach langjährigem Stillstand der Gaunerlinguistik, die vorher geleisteten tüchtigen Arbeiten fast gänzlich negirt, dafür sein specifisches "jüdisches Gaunerthum" mit seiner "jüdischen Gauner- oder Kochemer-Sprache" statuirt und dadurch der klaren und unbefangenen Anschauung des Gauner- thums mit seiner Sprache ungemeinen Nachtheil gebracht hat. Es gilt, die Bodenlosigkeit und Haltlosigkeit der Arbeit nachzuweisen, damit unbeirrt wieder auf dem bis zu Grolman eingeschlagenen und neuerlich von Pott, "Zigeuner", II, 1--43, in sehr schätzbarer Weise angedeuteten Wege vorgegangen werde.
Es kommt zunächst darauf an, den sprachwissenschaftlichen Boden zu untersuchen, auf welchen Thiele sich mit so großem Ge- pränge gestellt hat. Er theilt S. 196 die deutsche Gaunersprache ein in die "Rothwälsche und in die eigentliche Jenische- oder Ko- chemer-Sprache". Was Thiele unter "Rothwälsch" versteht, zeigt er gleich darauf, indem er die von Schottelius, "Teutsche Haubt- Sprache", lib. V, tract. V, S. 1265--67, in ganz zufälliger und argloser Weise "rothwelsche Sprach" benannte, "unteutsch klingende Nebensprecherei", welche bereits Th. III, Kap. 40, als der dem Gaunerthum stets fremd gebliebene Galimatias erörtert ist, ohne Angabe dieser Quelle wieder abdrucken ließ und als "in der deut- schen Spitzbubenwelt früher wohl sehr gangbare Sprache" pro- mulgirte. Ueber die Grundlosigkeit und Flachheit dieser unerhör- ten Behauptung braucht zu den a. a. O. über den Galimatias bereits gemachten Erörterungen hier nichts weiter gesagt zu werden.
Die "Jenische Sprache" bringt Thiele S. 199 "wieder in zwei Hauptabtheilungen, wie sie nämlich 1) von den jüdischen und 2) von den Gaunern christlicher Abkunft gesprochen wird". Thiele gibt weder von der einen noch von der andern irgendeine Defini- tion oder Charakteristik, sondern sagt nur flachweg, daß "ebenso, wie durch die Art und Weise ihrer Verbrechen, so auch durch ihre Diebesterminologien die jüdischen Gauner sich wesentlich von ihren
ſo unwürdiger wie flacher Kritik abgefertigt hat. So höchſt un- erquicklich es iſt, Thiele’s Arbeit einer Kritik zu unterziehen, ſo unerlaßlich iſt dieſe Kritik, da Thiele, unter dem Glanz der groß- artigen Unterſuchung hervortretend, nach langjährigem Stillſtand der Gaunerlinguiſtik, die vorher geleiſteten tüchtigen Arbeiten faſt gänzlich negirt, dafür ſein ſpecifiſches „jüdiſches Gaunerthum“ mit ſeiner „jüdiſchen Gauner- oder Kochemer-Sprache“ ſtatuirt und dadurch der klaren und unbefangenen Anſchauung des Gauner- thums mit ſeiner Sprache ungemeinen Nachtheil gebracht hat. Es gilt, die Bodenloſigkeit und Haltloſigkeit der Arbeit nachzuweiſen, damit unbeirrt wieder auf dem bis zu Grolman eingeſchlagenen und neuerlich von Pott, „Zigeuner“, II, 1—43, in ſehr ſchätzbarer Weiſe angedeuteten Wege vorgegangen werde.
Es kommt zunächſt darauf an, den ſprachwiſſenſchaftlichen Boden zu unterſuchen, auf welchen Thiele ſich mit ſo großem Ge- pränge geſtellt hat. Er theilt S. 196 die deutſche Gaunerſprache ein in die „Rothwälſche und in die eigentliche Jeniſche- oder Ko- chemer-Sprache“. Was Thiele unter „Rothwälſch“ verſteht, zeigt er gleich darauf, indem er die von Schottelius, „Teutſche Haubt- Sprache“, lib. V, tract. V, S. 1265—67, in ganz zufälliger und argloſer Weiſe „rothwelſche Sprach“ benannte, „unteutſch klingende Nebenſprecherei“, welche bereits Th. III, Kap. 40, als der dem Gaunerthum ſtets fremd gebliebene Galimatias erörtert iſt, ohne Angabe dieſer Quelle wieder abdrucken ließ und als „in der deut- ſchen Spitzbubenwelt früher wohl ſehr gangbare Sprache“ pro- mulgirte. Ueber die Grundloſigkeit und Flachheit dieſer unerhör- ten Behauptung braucht zu den a. a. O. über den Galimatias bereits gemachten Erörterungen hier nichts weiter geſagt zu werden.
Die „Jeniſche Sprache“ bringt Thiele S. 199 „wieder in zwei Hauptabtheilungen, wie ſie nämlich 1) von den jüdiſchen und 2) von den Gaunern chriſtlicher Abkunft geſprochen wird“. Thiele gibt weder von der einen noch von der andern irgendeine Defini- tion oder Charakteriſtik, ſondern ſagt nur flachweg, daß „ebenſo, wie durch die Art und Weiſe ihrer Verbrechen, ſo auch durch ihre Diebesterminologien die jüdiſchen Gauner ſich weſentlich von ihren
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ſo unwürdiger wie flacher Kritik abgefertigt hat. So höchſt un-
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unerlaßlich iſt dieſe Kritik, da Thiele, unter dem Glanz der groß-
artigen Unterſuchung hervortretend, nach langjährigem Stillſtand
der Gaunerlinguiſtik, die vorher geleiſteten tüchtigen Arbeiten faſt
gänzlich negirt, dafür ſein ſpecifiſches „jüdiſches Gaunerthum“ mit
ſeiner „jüdiſchen Gauner- oder Kochemer-Sprache“ ſtatuirt und
dadurch der klaren und unbefangenen Anſchauung des Gauner-
thums mit ſeiner Sprache ungemeinen Nachtheil gebracht hat. Es
gilt, die Bodenloſigkeit und Haltloſigkeit der Arbeit nachzuweiſen,
damit unbeirrt wieder auf dem bis zu Grolman eingeſchlagenen
und neuerlich von Pott, „Zigeuner“, II, 1—43, in ſehr ſchätzbarer
Weiſe angedeuteten Wege vorgegangen werde.
Es kommt zunächſt darauf an, den ſprachwiſſenſchaftlichen
Boden zu unterſuchen, auf welchen Thiele ſich mit ſo großem Ge-
pränge geſtellt hat. Er theilt S. 196 die deutſche Gaunerſprache
ein in die „Rothwälſche und in die eigentliche Jeniſche- oder Ko-
chemer-Sprache“. Was Thiele unter „Rothwälſch“ verſteht, zeigt
er gleich darauf, indem er die von Schottelius, „Teutſche Haubt-
Sprache“, lib. V, tract. V, S. 1265—67, in ganz zufälliger und
argloſer Weiſe „rothwelſche Sprach“ benannte, „unteutſch klingende
Nebenſprecherei“, welche bereits Th. III, Kap. 40, als der dem
Gaunerthum ſtets fremd gebliebene Galimatias erörtert iſt, ohne
Angabe dieſer Quelle wieder abdrucken ließ und als „in der deut-
ſchen Spitzbubenwelt früher wohl ſehr gangbare Sprache“ pro-
mulgirte. Ueber die Grundloſigkeit und Flachheit dieſer unerhör-
ten Behauptung braucht zu den a. a. O. über den Galimatias
bereits gemachten Erörterungen hier nichts weiter geſagt zu werden.
Die „Jeniſche Sprache“ bringt Thiele S. 199 „wieder in
zwei Hauptabtheilungen, wie ſie nämlich 1) von den jüdiſchen und
2) von den Gaunern chriſtlicher Abkunft geſprochen wird“. Thiele
gibt weder von der einen noch von der andern irgendeine Defini-
tion oder Charakteriſtik, ſondern ſagt nur flachweg, daß „ebenſo,
wie durch die Art und Weiſe ihrer Verbrechen, ſo auch durch ihre
Diebesterminologien die jüdiſchen Gauner ſich weſentlich von ihren
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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