holperigen Sprachgefüge erkennt man, daß der Verfasser die Gau- nersprache, wenn auch in der bloßen Vocabulatur, nur sehr küm- merlich gekannt, von ihrem Geist und Wesen aber keinen Begriff gehabt, sondern vielleicht blos aus schriftstellerischer Eitelkeit, ohne wahren Beruf und ernstes Studium sein unerquickliches Werk ge- schrieben hat. Von den mislungenen "Nachahmungen" kann daher hier nicht weiter die Rede sein.
Das Wörterbuch selbst ist nun nichts weiter als eine plan- und geistlose, dürre Zusammenstellung der obendrein oft noch mis- verstandenen Vocabeln aus dem Liber Vagatorum (der Rotwel- schen Grammatik) und aus den waldheimer, coburger und hild- burghausener Wörterbüchern, welche jedoch vom Verfasser nirgends als seine einzigen Quellen genannt werden. Den specifisch jüdisch- deutschen Vocabeln aus der coburger Designation widerfährt die Auszeichnung, daß sie, "als unter den Juden-Spitzbuben gewöhn- lich, mit einem Sterngen versehen" sind, wobei denn der unkundige Verfasser die große Zahl der übrigen jüdischdeutschen Wörter, welche nicht den coburger Stern haben, ihrem Unstern überläßt. Dabei thut er nun aber auch dem coburger Wörterbuch die Gewalt an, daß er dessen jüdischdeutsche Ausdrücke ohne Umschweife auf völlig gaunersprachwidrige Weise mit deutschen Wörtern verbindet, für welche durchaus jüdischdeutsche Formen üblich sind, und kommt dadurch zu einer Neubildung von Wörtern, die niemals gauner- bräuchlich gewesen sind. So hat die coburger Designation das Wort Achprosch, Mausekopf, Erzdieb. Der Verfasser bildet nun gegen allen Gaunersprachgebrauch, der überhaupt gern jede längere Composition zurückweist, das durchaus sprachwidrige Achproschen- Jnnung, welches er obendrein ganz widersinnig mit Diebs- Juden-Ordnung übersetzt. Für "Jnnung" würde Chawrusse, und für "Ordnung" Seder am Platze sein, wenn eine solche Composition überhaupt zulässig wäre. Ferner Chochumenwirth für Chochemerspieß u. s. w. Bei der dürftigen Auffassung des logischen Verständnisses entstehen, namentlich in Bezug auf das Jüdischdeutsche, arge Fehler und Verdunkelungen, welche durch viele üble Druckfehler noch mehr verschlimmert werden. So ist hier aus
holperigen Sprachgefüge erkennt man, daß der Verfaſſer die Gau- nerſprache, wenn auch in der bloßen Vocabulatur, nur ſehr küm- merlich gekannt, von ihrem Geiſt und Weſen aber keinen Begriff gehabt, ſondern vielleicht blos aus ſchriftſtelleriſcher Eitelkeit, ohne wahren Beruf und ernſtes Studium ſein unerquickliches Werk ge- ſchrieben hat. Von den mislungenen „Nachahmungen“ kann daher hier nicht weiter die Rede ſein.
Das Wörterbuch ſelbſt iſt nun nichts weiter als eine plan- und geiſtloſe, dürre Zuſammenſtellung der obendrein oft noch mis- verſtandenen Vocabeln aus dem Liber Vagatorum (der Rotwel- ſchen Grammatik) und aus den waldheimer, coburger und hild- burghauſener Wörterbüchern, welche jedoch vom Verfaſſer nirgends als ſeine einzigen Quellen genannt werden. Den ſpecifiſch jüdiſch- deutſchen Vocabeln aus der coburger Deſignation widerfährt die Auszeichnung, daß ſie, „als unter den Juden-Spitzbuben gewöhn- lich, mit einem Sterngen verſehen“ ſind, wobei denn der unkundige Verfaſſer die große Zahl der übrigen jüdiſchdeutſchen Wörter, welche nicht den coburger Stern haben, ihrem Unſtern überläßt. Dabei thut er nun aber auch dem coburger Wörterbuch die Gewalt an, daß er deſſen jüdiſchdeutſche Ausdrücke ohne Umſchweife auf völlig gaunerſprachwidrige Weiſe mit deutſchen Wörtern verbindet, für welche durchaus jüdiſchdeutſche Formen üblich ſind, und kommt dadurch zu einer Neubildung von Wörtern, die niemals gauner- bräuchlich geweſen ſind. So hat die coburger Deſignation das Wort Achproſch, Mauſekopf, Erzdieb. Der Verfaſſer bildet nun gegen allen Gaunerſprachgebrauch, der überhaupt gern jede längere Compoſition zurückweiſt, das durchaus ſprachwidrige Achproſchen- Jnnung, welches er obendrein ganz widerſinnig mit Diebs- Juden-Ordnung überſetzt. Für „Jnnung“ würde Chawruſſe, und für „Ordnung“ Seder am Platze ſein, wenn eine ſolche Compoſition überhaupt zuläſſig wäre. Ferner Chochumenwirth für Chochemerſpieß u. ſ. w. Bei der dürftigen Auffaſſung des logiſchen Verſtändniſſes entſtehen, namentlich in Bezug auf das Jüdiſchdeutſche, arge Fehler und Verdunkelungen, welche durch viele üble Druckfehler noch mehr verſchlimmert werden. So iſt hier aus
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holperigen Sprachgefüge erkennt man, daß der Verfaſſer die Gau-
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merlich gekannt, von ihrem Geiſt und Weſen aber keinen Begriff
gehabt, ſondern vielleicht blos aus ſchriftſtelleriſcher Eitelkeit, ohne
wahren Beruf und ernſtes Studium ſein unerquickliches Werk ge-
ſchrieben hat. Von den mislungenen „Nachahmungen“ kann daher
hier nicht weiter die Rede ſein.
Das Wörterbuch ſelbſt iſt nun nichts weiter als eine plan-
und geiſtloſe, dürre Zuſammenſtellung der obendrein oft noch mis-
verſtandenen Vocabeln aus dem Liber Vagatorum (der Rotwel-
ſchen Grammatik) und aus den waldheimer, coburger und hild-
burghauſener Wörterbüchern, welche jedoch vom Verfaſſer nirgends
als ſeine einzigen Quellen genannt werden. Den ſpecifiſch jüdiſch-
deutſchen Vocabeln aus der coburger Deſignation widerfährt die
Auszeichnung, daß ſie, „als unter den Juden-Spitzbuben gewöhn-
lich, mit einem Sterngen verſehen“ ſind, wobei denn der unkundige
Verfaſſer die große Zahl der übrigen jüdiſchdeutſchen Wörter, welche
nicht den coburger Stern haben, ihrem Unſtern überläßt. Dabei
thut er nun aber auch dem coburger Wörterbuch die Gewalt an,
daß er deſſen jüdiſchdeutſche Ausdrücke ohne Umſchweife auf völlig
gaunerſprachwidrige Weiſe mit deutſchen Wörtern verbindet, für
welche durchaus jüdiſchdeutſche Formen üblich ſind, und kommt
dadurch zu einer Neubildung von Wörtern, die niemals gauner-
bräuchlich geweſen ſind. So hat die coburger Deſignation das
Wort Achproſch, Mauſekopf, Erzdieb. Der Verfaſſer bildet nun
gegen allen Gaunerſprachgebrauch, der überhaupt gern jede längere
Compoſition zurückweiſt, das durchaus ſprachwidrige Achproſchen-
Jnnung, welches er obendrein ganz widerſinnig mit Diebs-
Juden-Ordnung überſetzt. Für „Jnnung“ würde Chawruſſe,
und für „Ordnung“ Seder am Platze ſein, wenn eine ſolche
Compoſition überhaupt zuläſſig wäre. Ferner Chochumenwirth
für Chochemerſpieß u. ſ. w. Bei der dürftigen Auffaſſung des
logiſchen Verſtändniſſes entſtehen, namentlich in Bezug auf das
Jüdiſchdeutſche, arge Fehler und Verdunkelungen, welche durch viele
üble Druckfehler noch mehr verſchlimmert werden. So iſt hier aus
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/174>, abgerufen am 22.11.2024.
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