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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Juden kommen, dann viel Ebreischer wort drynen sind, wie denn
wol mercken werden, die sich auff Ebreisch verstehen." Mit die-
sem Ausspruch war die Aufmerksamkeit christlicher Gelehrter, na-
mentlich Theologen, zwar auf das Judendeutsch gelenkt, zugleich
aber auch dasselbe identisch erklärt mit der Gaunersprache, da bei
dem erst durch Reuchlin geförderten frischen Studium der hebräi-
schen Sprache in den offen hervortretenden hebräischen Wurzeln
sogleich die hebräische Abstammung erkannt, dabei aber die das
specifische Judendeutsch charakterisirende deutsche Flexion, welche
auf eine schon alte deutsche Einbürgerung schließen ließ, gar nicht
beachtet oder doch nicht gehörig gewürdigt wurde.

Diese falsche Auffassung hat nicht nur die richtige Erkenntniß
des Gaunerthums und seiner Sprache verwirrt, sondern auch
überhaupt dem Judenthum und der Kenntniß der jüdischdeutschen
Sprache ganz ungemein geschadet 1), sodaß selbst große Kenner
und Lehrer der hebräischen Sprache nach Luther, wie der vortreff-
liche J. Buxtorf (+ 1629), welcher mit Recht Rabbinorum magister
genannt wurde, und seine Nachfolger Pfeiffer, Wagenseil, Calvör,
Callenberg, Chrysander u. s. w., als sie die Bedeutsamkeit des mit
immer lebendigerm Streben und immer größerer Behendigkeit tief in
das Gebiet der deutschen Literatur vordringenden und allein vom
Judenthum getragenen Jüdischdeutschen begriffen hatten, dennoch
nicht im Stande waren, mit ihren kümmerlichen Versuchen einer

1) Sehr überraschend ist es, wenn ein so bedeutender Schriftsteller wie
Zunz ("Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden historisch entwickelt", S. 438),
freilich nur obenhin und gelegentlich, ausspricht, "daß schon im 16. und noch
stärker in den beiden folgenden Jahrhunderten sich der Dialekt der Juden zu
einem eigenen sogenannten Judendeutsch ausgebildet habe, in welchem hebräische,
eigene jüdische und veraltete deutsche Ausdrücke in gleicher Menge vorhan-
den waren". Freilich wurde die jüdischdeutsche Literatur erst nach Erfindung
der Buchdruckerkunst, ihrer Bestimmung gemäß, zur Volksliteratur ausgebildet
und verbreitet. Von der viel frühern Existenz und weitern Ausbildung der
jüdischdeutschen Sprache gibt die Gaunersprache Zeugniß, welche jene als ein
schon vollständiges Sprachganzes ausbeuten und sich mit zahlreichen jüdisch-
deutschen Ausdrücken bereichern konnte. Wie viel aber mag noch im Vatican
neben den von Zunz, S. 438, Note 6, erwähnten hebräisch-deutschen Wörter-
büchern und in andern Bibliotheken unbeachtet liegen.

Juden kommen, dann viel Ebreiſcher wort drynen ſind, wie denn
wol mercken werden, die ſich auff Ebreiſch verſtehen.“ Mit die-
ſem Ausſpruch war die Aufmerkſamkeit chriſtlicher Gelehrter, na-
mentlich Theologen, zwar auf das Judendeutſch gelenkt, zugleich
aber auch daſſelbe identiſch erklärt mit der Gaunerſprache, da bei
dem erſt durch Reuchlin geförderten friſchen Studium der hebräi-
ſchen Sprache in den offen hervortretenden hebräiſchen Wurzeln
ſogleich die hebräiſche Abſtammung erkannt, dabei aber die das
ſpecifiſche Judendeutſch charakteriſirende deutſche Flexion, welche
auf eine ſchon alte deutſche Einbürgerung ſchließen ließ, gar nicht
beachtet oder doch nicht gehörig gewürdigt wurde.

Dieſe falſche Auffaſſung hat nicht nur die richtige Erkenntniß
des Gaunerthums und ſeiner Sprache verwirrt, ſondern auch
überhaupt dem Judenthum und der Kenntniß der jüdiſchdeutſchen
Sprache ganz ungemein geſchadet 1), ſodaß ſelbſt große Kenner
und Lehrer der hebräiſchen Sprache nach Luther, wie der vortreff-
liche J. Buxtorf († 1629), welcher mit Recht Rabbinorum magister
genannt wurde, und ſeine Nachfolger Pfeiffer, Wagenſeil, Calvör,
Callenberg, Chryſander u. ſ. w., als ſie die Bedeutſamkeit des mit
immer lebendigerm Streben und immer größerer Behendigkeit tief in
das Gebiet der deutſchen Literatur vordringenden und allein vom
Judenthum getragenen Jüdiſchdeutſchen begriffen hatten, dennoch
nicht im Stande waren, mit ihren kümmerlichen Verſuchen einer

1) Sehr überraſchend iſt es, wenn ein ſo bedeutender Schriftſteller wie
Zunz („Die gottesdienſtlichen Vorträge der Juden hiſtoriſch entwickelt“, S. 438),
freilich nur obenhin und gelegentlich, ausſpricht, „daß ſchon im 16. und noch
ſtärker in den beiden folgenden Jahrhunderten ſich der Dialekt der Juden zu
einem eigenen ſogenannten Judendeutſch ausgebildet habe, in welchem hebräiſche,
eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke in gleicher Menge vorhan-
den waren“. Freilich wurde die jüdiſchdeutſche Literatur erſt nach Erfindung
der Buchdruckerkunſt, ihrer Beſtimmung gemäß, zur Volksliteratur ausgebildet
und verbreitet. Von der viel frühern Exiſtenz und weitern Ausbildung der
jüdiſchdeutſchen Sprache gibt die Gaunerſprache Zeugniß, welche jene als ein
ſchon vollſtändiges Sprachganzes ausbeuten und ſich mit zahlreichen jüdiſch-
deutſchen Ausdrücken bereichern konnte. Wie viel aber mag noch im Vatican
neben den von Zunz, S. 438, Note 6, erwähnten hebräiſch-deutſchen Wörter-
büchern und in andern Bibliotheken unbeachtet liegen.
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[45/0079] Juden kommen, dann viel Ebreiſcher wort drynen ſind, wie denn wol mercken werden, die ſich auff Ebreiſch verſtehen.“ Mit die- ſem Ausſpruch war die Aufmerkſamkeit chriſtlicher Gelehrter, na- mentlich Theologen, zwar auf das Judendeutſch gelenkt, zugleich aber auch daſſelbe identiſch erklärt mit der Gaunerſprache, da bei dem erſt durch Reuchlin geförderten friſchen Studium der hebräi- ſchen Sprache in den offen hervortretenden hebräiſchen Wurzeln ſogleich die hebräiſche Abſtammung erkannt, dabei aber die das ſpecifiſche Judendeutſch charakteriſirende deutſche Flexion, welche auf eine ſchon alte deutſche Einbürgerung ſchließen ließ, gar nicht beachtet oder doch nicht gehörig gewürdigt wurde. Dieſe falſche Auffaſſung hat nicht nur die richtige Erkenntniß des Gaunerthums und ſeiner Sprache verwirrt, ſondern auch überhaupt dem Judenthum und der Kenntniß der jüdiſchdeutſchen Sprache ganz ungemein geſchadet 1), ſodaß ſelbſt große Kenner und Lehrer der hebräiſchen Sprache nach Luther, wie der vortreff- liche J. Buxtorf († 1629), welcher mit Recht Rabbinorum magister genannt wurde, und ſeine Nachfolger Pfeiffer, Wagenſeil, Calvör, Callenberg, Chryſander u. ſ. w., als ſie die Bedeutſamkeit des mit immer lebendigerm Streben und immer größerer Behendigkeit tief in das Gebiet der deutſchen Literatur vordringenden und allein vom Judenthum getragenen Jüdiſchdeutſchen begriffen hatten, dennoch nicht im Stande waren, mit ihren kümmerlichen Verſuchen einer 1) Sehr überraſchend iſt es, wenn ein ſo bedeutender Schriftſteller wie Zunz („Die gottesdienſtlichen Vorträge der Juden hiſtoriſch entwickelt“, S. 438), freilich nur obenhin und gelegentlich, ausſpricht, „daß ſchon im 16. und noch ſtärker in den beiden folgenden Jahrhunderten ſich der Dialekt der Juden zu einem eigenen ſogenannten Judendeutſch ausgebildet habe, in welchem hebräiſche, eigene jüdiſche und veraltete deutſche Ausdrücke in gleicher Menge vorhan- den waren“. Freilich wurde die jüdiſchdeutſche Literatur erſt nach Erfindung der Buchdruckerkunſt, ihrer Beſtimmung gemäß, zur Volksliteratur ausgebildet und verbreitet. Von der viel frühern Exiſtenz und weitern Ausbildung der jüdiſchdeutſchen Sprache gibt die Gaunerſprache Zeugniß, welche jene als ein ſchon vollſtändiges Sprachganzes ausbeuten und ſich mit zahlreichen jüdiſch- deutſchen Ausdrücken bereichern konnte. Wie viel aber mag noch im Vatican neben den von Zunz, S. 438, Note 6, erwähnten hebräiſch-deutſchen Wörter- büchern und in andern Bibliotheken unbeachtet liegen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/79>, abgerufen am 24.11.2024.