Ausdruck waldiwern, den er unmöglich von geschulten Gaunern in der Bedeutung von sprechen gehört haben kann. Das ganze Buch hat überhaupt nichts recht Kerniges, Verlässiges. Wenn Bischoff seit Einsetzung des Criminalgerichts zu Weida im Herbst 1818 schon Verdacht über die Existenz von Gaunern in der "reu- ßischen Märtine" schöpfte und erst nach zwei Jahren durch die Geständnisse des Christtöffel (S. v), der "sehr beschränkte Begriffe hatte" (S. vi), die "Nachricht erlangen konnte, daß in den fürst- lich reußischen Herrschaften eine beträchtliche Anzahl von Gaunern sich herumtreibe", und nun gleich im December 1821 die Vorrede zu seiner "Kocheme Waldiwerei" schreiben konnte: so darf man namentlich bei dem Hinblick auf die Kümmerlichkeit der voran- gestellten "Nachrichten über die Gaunerarten", S. 6 -- 18, nur sehr behutsamen Gebrauch von dem Wörterbuch machen, welchem ohnehin alle Kritik fehlt und welchem obendrein noch alle Pfister'- schen Vocabeln ohne Sichtung einverleibt sind. Wer nicht durch jahrelanges Studium und Jnquiriren nicht nur fest und sicher auf den Gauner selbst, sondern auch neben diesem vorbei in die weite Perspective des Volkslebens mit seiner Cultur, Sprache und Geschichte hineinzublicken sich geübt hat, aus welcher der Gauner vor den Verhörtisch tritt, vor dem bleibt der Gauner immer ein verschlossenes Räthsel. Der Ausdruck Waldiwerei für Sprache muß so lange für einen von Bischoff gemachten Ausdruck gelten, bis erwiesen ist, daß er, wenn auch nur in einer einzelnen Gruppe, sprachgebräuchlich gewesen ist. [fremdsprachliches Material] heißt allerdings das Wort, und dibbern, diwern, dabbern, medabbern sind die geläu- figsten Gaunerausdrücke für sprechen. Auch ist sogar im Jüdisch- deutschen [fremdsprachliches Material], bal dabran, der Sprachmeister, Redner. Aber auf das bestimmteste hat [fremdsprachliches Material] in der Verbindung mit [fremdsprachliches Material] zu [fremdsprachliches Material], baldober, die ausschließliche Bedeutung, welche schon
stehen geben; schranzen, vom ahd. schranz, Spalt, Bruch, gleich schren- zen, durch einen Riß trennen; in der Gannersprache sich davonmachen, fort- gehen, aber auch, wie im Oberdeutschen und Niederdeutschen, den Mund auf- thun; engl. scranch.
Ausdruck waldiwern, den er unmöglich von geſchulten Gaunern in der Bedeutung von ſprechen gehört haben kann. Das ganze Buch hat überhaupt nichts recht Kerniges, Verläſſiges. Wenn Biſchoff ſeit Einſetzung des Criminalgerichts zu Weida im Herbſt 1818 ſchon Verdacht über die Exiſtenz von Gaunern in der „reu- ßiſchen Märtine“ ſchöpfte und erſt nach zwei Jahren durch die Geſtändniſſe des Chriſttöffel (S. v), der „ſehr beſchränkte Begriffe hatte“ (S. vi), die „Nachricht erlangen konnte, daß in den fürſt- lich reußiſchen Herrſchaften eine beträchtliche Anzahl von Gaunern ſich herumtreibe“, und nun gleich im December 1821 die Vorrede zu ſeiner „Kocheme Waldiwerei“ ſchreiben konnte: ſo darf man namentlich bei dem Hinblick auf die Kümmerlichkeit der voran- geſtellten „Nachrichten über die Gaunerarten“, S. 6 — 18, nur ſehr behutſamen Gebrauch von dem Wörterbuch machen, welchem ohnehin alle Kritik fehlt und welchem obendrein noch alle Pfiſter’- ſchen Vocabeln ohne Sichtung einverleibt ſind. Wer nicht durch jahrelanges Studium und Jnquiriren nicht nur feſt und ſicher auf den Gauner ſelbſt, ſondern auch neben dieſem vorbei in die weite Perſpective des Volkslebens mit ſeiner Cultur, Sprache und Geſchichte hineinzublicken ſich geübt hat, aus welcher der Gauner vor den Verhörtiſch tritt, vor dem bleibt der Gauner immer ein verſchloſſenes Räthſel. Der Ausdruck Waldiwerei für Sprache muß ſo lange für einen von Biſchoff gemachten Ausdruck gelten, bis erwieſen iſt, daß er, wenn auch nur in einer einzelnen Gruppe, ſprachgebräuchlich geweſen iſt. [fremdsprachliches Material] heißt allerdings das Wort, und dibbern, diwern, dabbern, medabbern ſind die geläu- figſten Gaunerausdrücke für ſprechen. Auch iſt ſogar im Jüdiſch- deutſchen [fremdsprachliches Material], bal dabran, der Sprachmeiſter, Redner. Aber auf das beſtimmteſte hat [fremdsprachliches Material] in der Verbindung mit [fremdsprachliches Material] zu [fremdsprachliches Material], baldober, die ausſchließliche Bedeutung, welche ſchon
ſtehen geben; ſchranzen, vom ahd. schranz, Spalt, Bruch, gleich ſchren- zen, durch einen Riß trennen; in der Gannerſprache ſich davonmachen, fort- gehen, aber auch, wie im Oberdeutſchen und Niederdeutſchen, den Mund auf- thun; engl. scranch.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0068"n="34"/>
Ausdruck <hirendition="#g">waldiwern,</hi> den er unmöglich von geſchulten Gaunern<lb/>
in der Bedeutung von ſprechen gehört haben kann. Das ganze<lb/>
Buch hat überhaupt nichts recht Kerniges, Verläſſiges. Wenn<lb/>
Biſchoff ſeit Einſetzung des Criminalgerichts zu Weida im Herbſt<lb/>
1818 ſchon Verdacht über die Exiſtenz von Gaunern in der „reu-<lb/>
ßiſchen Märtine“ſchöpfte und erſt nach zwei Jahren durch die<lb/>
Geſtändniſſe des Chriſttöffel (S. <hirendition="#aq"><hirendition="#k">v</hi></hi>), der „ſehr beſchränkte Begriffe<lb/>
hatte“ (S. <hirendition="#aq"><hirendition="#k">vi</hi></hi>), die „Nachricht erlangen konnte, daß in den fürſt-<lb/>
lich reußiſchen Herrſchaften eine beträchtliche Anzahl von Gaunern<lb/>ſich herumtreibe“, und nun gleich im December 1821 die Vorrede<lb/>
zu ſeiner „Kocheme Waldiwerei“ſchreiben konnte: ſo darf man<lb/>
namentlich bei dem Hinblick auf die Kümmerlichkeit der voran-<lb/>
geſtellten „Nachrichten über die Gaunerarten“, S. 6 — 18, nur<lb/>ſehr behutſamen Gebrauch von dem Wörterbuch machen, welchem<lb/>
ohnehin alle Kritik fehlt und welchem obendrein noch alle Pfiſter’-<lb/>ſchen Vocabeln ohne Sichtung einverleibt ſind. Wer nicht durch<lb/>
jahrelanges Studium und Jnquiriren nicht nur feſt und ſicher<lb/>
auf den Gauner ſelbſt, ſondern auch neben dieſem vorbei in die<lb/>
weite Perſpective des Volkslebens mit ſeiner Cultur, Sprache und<lb/>
Geſchichte hineinzublicken ſich geübt hat, aus welcher der Gauner<lb/>
vor den Verhörtiſch tritt, vor dem bleibt der Gauner immer ein<lb/>
verſchloſſenes Räthſel. Der Ausdruck Waldiwerei für Sprache<lb/>
muß ſo lange für einen von Biſchoff gemachten Ausdruck gelten,<lb/>
bis erwieſen iſt, daß er, wenn auch nur in einer einzelnen Gruppe,<lb/>ſprachgebräuchlich geweſen iſt. <gapreason="fm"/> heißt allerdings das Wort,<lb/>
und <hirendition="#g">dibbern, diwern, dabbern, medabbern</hi>ſind die geläu-<lb/>
figſten Gaunerausdrücke für ſprechen. Auch iſt ſogar im Jüdiſch-<lb/>
deutſchen <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">bal dabran,</hi> der Sprachmeiſter, Redner.<lb/>
Aber auf das beſtimmteſte hat <gapreason="fm"/> in der Verbindung mit <gapreason="fm"/><lb/>
zu <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">baldober,</hi> die ausſchließliche Bedeutung, welche ſchon<lb/><notexml:id="seg2pn_4_2"prev="#seg2pn_4_1"place="foot"n="2)">ſtehen geben; <hirendition="#g">ſchranzen,</hi> vom ahd. <hirendition="#aq">schranz,</hi> Spalt, Bruch, gleich <hirendition="#g">ſchren-<lb/>
zen,</hi> durch einen Riß trennen; in der Gannerſprache ſich davonmachen, fort-<lb/>
gehen, aber auch, wie im Oberdeutſchen und Niederdeutſchen, den Mund auf-<lb/>
thun; engl. <hirendition="#aq">scranch.</hi></note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[34/0068]
Ausdruck waldiwern, den er unmöglich von geſchulten Gaunern
in der Bedeutung von ſprechen gehört haben kann. Das ganze
Buch hat überhaupt nichts recht Kerniges, Verläſſiges. Wenn
Biſchoff ſeit Einſetzung des Criminalgerichts zu Weida im Herbſt
1818 ſchon Verdacht über die Exiſtenz von Gaunern in der „reu-
ßiſchen Märtine“ ſchöpfte und erſt nach zwei Jahren durch die
Geſtändniſſe des Chriſttöffel (S. v), der „ſehr beſchränkte Begriffe
hatte“ (S. vi), die „Nachricht erlangen konnte, daß in den fürſt-
lich reußiſchen Herrſchaften eine beträchtliche Anzahl von Gaunern
ſich herumtreibe“, und nun gleich im December 1821 die Vorrede
zu ſeiner „Kocheme Waldiwerei“ ſchreiben konnte: ſo darf man
namentlich bei dem Hinblick auf die Kümmerlichkeit der voran-
geſtellten „Nachrichten über die Gaunerarten“, S. 6 — 18, nur
ſehr behutſamen Gebrauch von dem Wörterbuch machen, welchem
ohnehin alle Kritik fehlt und welchem obendrein noch alle Pfiſter’-
ſchen Vocabeln ohne Sichtung einverleibt ſind. Wer nicht durch
jahrelanges Studium und Jnquiriren nicht nur feſt und ſicher
auf den Gauner ſelbſt, ſondern auch neben dieſem vorbei in die
weite Perſpective des Volkslebens mit ſeiner Cultur, Sprache und
Geſchichte hineinzublicken ſich geübt hat, aus welcher der Gauner
vor den Verhörtiſch tritt, vor dem bleibt der Gauner immer ein
verſchloſſenes Räthſel. Der Ausdruck Waldiwerei für Sprache
muß ſo lange für einen von Biſchoff gemachten Ausdruck gelten,
bis erwieſen iſt, daß er, wenn auch nur in einer einzelnen Gruppe,
ſprachgebräuchlich geweſen iſt. _ heißt allerdings das Wort,
und dibbern, diwern, dabbern, medabbern ſind die geläu-
figſten Gaunerausdrücke für ſprechen. Auch iſt ſogar im Jüdiſch-
deutſchen _ , bal dabran, der Sprachmeiſter, Redner.
Aber auf das beſtimmteſte hat _ in der Verbindung mit _
zu _ , baldober, die ausſchließliche Bedeutung, welche ſchon
2)
2) ſtehen geben; ſchranzen, vom ahd. schranz, Spalt, Bruch, gleich ſchren-
zen, durch einen Riß trennen; in der Gannerſprache ſich davonmachen, fort-
gehen, aber auch, wie im Oberdeutſchen und Niederdeutſchen, den Mund auf-
thun; engl. scranch.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/68>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.