worden". Abgesehen davon, daß die Wandlung Chur in Caur gar nicht zu rechtfertigen ist, so ist doch ohnehin die Verlängerung in Kauder oder Kauter (Frisch, S. 438) gar nicht zu erklären und zu begründen. Viel richtiger erscheint die weitere Vermuthung bei Frisch, S. 503, daß Kauder, Kuder oder Kauter nichts anderes ist als stupa, "ein Bund Werch, soviel auf einmal an den Rocken gelegt wird, der grobe Abfall vom Flachs, Abwerch, den man in die Bettdecke stopft", also wieder der rohe verwirrte Abfall. Kauter bedeutete früher die Bettdecke und ist aus Kulter, Kolter, Golter, Gulter, Kolte1) entstanden, und letztere Ausdrücke stammen wieder vom lateinischen culcita, Polster, Ma- tratze. 2) Schwenck, S. 307, stellt noch die Ableitung auf von kaudern, unvernehmlich sprechen, vom veralteten quaden, ndl. kouten (gothisch quithan, sprechen), oder auch (S. 332) von kodern, lallen, zu sprechen versuchen, von Kindern; ndl. quettern; schweiz. köderlen, ködderlen; mhd. kötten, ketten, köthen. Beide Ableitungen von Frisch und von Schwenck haben Sinn, da unter Kauderwelsch ganz allgemein jede in Worten und Ausdrücken gemengte, unreine, unverständliche Sprache verstanden wird, mit dem Nebenbegriff des Rauhen und Unangenehmen. Vgl. Heinsius, "Wörterbuch", II, 1066. Die abgeschmackte Verstümmelung des Churwelsch zu Kauderwelsch scheint erst der spätern Zeit anzuge- hören. Denn noch Kaspar von Stieler, welcher alle Formen, Kauder, Kaut, Kauter, für Werch, Werchbund, in seinem "Teutschen Sprachschatz" (1691) anführt, weiß so wenig von Kauderwelsch, wie auch Konrad Gesner in seinem "Mithridat"
1) Vgl. Wirnt von Gravenberch, "Wigalois, der Ritter mit dem Rade", V. 2762, 3332, 3477.
2) Vgl. Schwenck, S. 307, Kauder; Frisch, a. a. O. und S. 532 unter Kolter; Schmid, a. a. O., S. 307, woselbst noch Kauderer, Flachsschwinger, Flachshändler. Vgl. noch daselbst kaudern, verbotenen Handel treiben, und kränklich, verdrießlich, mürrisch sein. Damit scheint das niederd. küten zusam- menzuhängen, namentlich in der Composition kütbüten (büten, tauschen), vom versteckten Tauschhandel, namentlich der Kinder in der Schule mit allerlei Lappalien aus der Tasche.
worden“. Abgeſehen davon, daß die Wandlung Chur in Caur gar nicht zu rechtfertigen iſt, ſo iſt doch ohnehin die Verlängerung in Kauder oder Kauter (Friſch, S. 438) gar nicht zu erklären und zu begründen. Viel richtiger erſcheint die weitere Vermuthung bei Friſch, S. 503, daß Kauder, Kuder oder Kauter nichts anderes iſt als stupa, „ein Bund Werch, ſoviel auf einmal an den Rocken gelegt wird, der grobe Abfall vom Flachs, Abwerch, den man in die Bettdecke ſtopft“, alſo wieder der rohe verwirrte Abfall. Kauter bedeutete früher die Bettdecke und iſt aus Kulter, Kolter, Golter, Gulter, Kolte1) entſtanden, und letztere Ausdrücke ſtammen wieder vom lateiniſchen culcita, Polſter, Ma- tratze. 2) Schwenck, S. 307, ſtellt noch die Ableitung auf von kaudern, unvernehmlich ſprechen, vom veralteten quaden, ndl. kouten (gothiſch quithan, ſprechen), oder auch (S. 332) von kodern, lallen, zu ſprechen verſuchen, von Kindern; ndl. quettern; ſchweiz. köderlen, ködderlen; mhd. kötten, ketten, köthen. Beide Ableitungen von Friſch und von Schwenck haben Sinn, da unter Kauderwelſch ganz allgemein jede in Worten und Ausdrücken gemengte, unreine, unverſtändliche Sprache verſtanden wird, mit dem Nebenbegriff des Rauhen und Unangenehmen. Vgl. Heinſius, „Wörterbuch“, II, 1066. Die abgeſchmackte Verſtümmelung des Churwelſch zu Kauderwelſch ſcheint erſt der ſpätern Zeit anzuge- hören. Denn noch Kaspar von Stieler, welcher alle Formen, Kauder, Kaut, Kauter, für Werch, Werchbund, in ſeinem „Teutſchen Sprachſchatz“ (1691) anführt, weiß ſo wenig von Kauderwelſch, wie auch Konrad Gesner in ſeinem „Mithridat“
1) Vgl. Wirnt von Gravenberch, „Wigalois, der Ritter mit dem Rade“, V. 2762, 3332, 3477.
2) Vgl. Schwenck, S. 307, Kauder; Friſch, a. a. O. und S. 532 unter Kolter; Schmid, a. a. O., S. 307, woſelbſt noch Kauderer, Flachsſchwinger, Flachshändler. Vgl. noch daſelbſt kaudern, verbotenen Handel treiben, und kränklich, verdrießlich, mürriſch ſein. Damit ſcheint das niederd. küten zuſam- menzuhängen, namentlich in der Compoſition kütbüten (büten, tauſchen), vom verſteckten Tauſchhandel, namentlich der Kinder in der Schule mit allerlei Lappalien aus der Taſche.
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[25/0059]
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gar nicht zu rechtfertigen iſt, ſo iſt doch ohnehin die Verlängerung
in Kauder oder Kauter (Friſch, S. 438) gar nicht zu erklären
und zu begründen. Viel richtiger erſcheint die weitere Vermuthung
bei Friſch, S. 503, daß Kauder, Kuder oder Kauter nichts
anderes iſt als stupa, „ein Bund Werch, ſoviel auf einmal an
den Rocken gelegt wird, der grobe Abfall vom Flachs, Abwerch,
den man in die Bettdecke ſtopft“, alſo wieder der rohe verwirrte
Abfall. Kauter bedeutete früher die Bettdecke und iſt aus Kulter,
Kolter, Golter, Gulter, Kolte 1) entſtanden, und letztere
Ausdrücke ſtammen wieder vom lateiniſchen culcita, Polſter, Ma-
tratze. 2) Schwenck, S. 307, ſtellt noch die Ableitung auf von
kaudern, unvernehmlich ſprechen, vom veralteten quaden, ndl.
kouten (gothiſch quithan, ſprechen), oder auch (S. 332) von
kodern, lallen, zu ſprechen verſuchen, von Kindern; ndl. quettern;
ſchweiz. köderlen, ködderlen; mhd. kötten, ketten, köthen.
Beide Ableitungen von Friſch und von Schwenck haben Sinn, da
unter Kauderwelſch ganz allgemein jede in Worten und Ausdrücken
gemengte, unreine, unverſtändliche Sprache verſtanden wird, mit
dem Nebenbegriff des Rauhen und Unangenehmen. Vgl. Heinſius,
„Wörterbuch“, II, 1066. Die abgeſchmackte Verſtümmelung des
Churwelſch zu Kauderwelſch ſcheint erſt der ſpätern Zeit anzuge-
hören. Denn noch Kaspar von Stieler, welcher alle Formen,
Kauder, Kaut, Kauter, für Werch, Werchbund, in ſeinem
„Teutſchen Sprachſchatz“ (1691) anführt, weiß ſo wenig von
Kauderwelſch, wie auch Konrad Gesner in ſeinem „Mithridat“
1) Vgl. Wirnt von Gravenberch, „Wigalois, der Ritter mit dem Rade“,
V. 2762, 3332, 3477.
2) Vgl. Schwenck, S. 307, Kauder; Friſch, a. a. O. und S. 532 unter
Kolter; Schmid, a. a. O., S. 307, woſelbſt noch Kauderer, Flachsſchwinger,
Flachshändler. Vgl. noch daſelbſt kaudern, verbotenen Handel treiben, und
kränklich, verdrießlich, mürriſch ſein. Damit ſcheint das niederd. küten zuſam-
menzuhängen, namentlich in der Compoſition kütbüten (büten, tauſchen),
vom verſteckten Tauſchhandel, namentlich der Kinder in der Schule mit allerlei
Lappalien aus der Taſche.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/59>, abgerufen am 16.07.2024.
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