also überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig- keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail schon in den ältesten althochdeutschen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be- deutung Mund erst viel später im Mittelhochdeutschen. Mindestens habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von Bühel's "Leben Diocletian's" (15. Jahrhundert):
Solt ym aber übel beschehen So muosz ich iuch ouch das veriehen So tett der wint vff sinen giel Dem pferde er in den swanz viel.1)
Aus diesem ahd. gail ist sehr wahrscheinlich das mhd. gei- len und Geiler entstanden mit der Bedeutung des unverschäm- ten Forderns und Bettelns, wovon Frisch, a. a. O., S. 335, noch zahlreichere Beispiele und Composita anführt. Man vgl. auch bei Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt ist. Man vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O., S. 215.
Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen, Geilen, Giler und Geiler sowol der alten als auch der neuen Gaunersprache selbst ganz fremd sind. Auch nicht der Bedeler orden, welcher, wie seine bedeutende Vocabelzugabe ausweist, eifrig bestrebt ist, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern und zum Rotboß des letztern das diesem fehlende rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein- ziges Derivatum oder Compositum gefunden.
Somit erscheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler, Vagant, Gauner, welcher, um sich ein kränkliches und unkennt- liches Ansehen zu geben, das Gesicht oder die entblößten Körper- theile mit Farbe bemalt und entstellt. Nach dem in der baseler Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beisatz Schwartz mag
1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4 die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachsenheim und weist im Wör- terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf diese Stelle.
alſo überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig- keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail ſchon in den älteſten althochdeutſchen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be- deutung Mund erſt viel ſpäter im Mittelhochdeutſchen. Mindeſtens habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von Bühel’s „Leben Diocletian’s“ (15. Jahrhundert):
Solt ym aber übel beschehen So muosz ich iuch ouch das veriehen So tett der wint vff sinen giel Dem pferde er in den swanz viel.1)
Aus dieſem ahd. gail iſt ſehr wahrſcheinlich das mhd. gei- len und Geiler entſtanden mit der Bedeutung des unverſchäm- ten Forderns und Bettelns, wovon Friſch, a. a. O., S. 335, noch zahlreichere Beiſpiele und Compoſita anführt. Man vgl. auch bei Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt iſt. Man vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O., S. 215.
Endlich iſt noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen, Geilen, Giler und Geiler ſowol der alten als auch der neuen Gaunerſprache ſelbſt ganz fremd ſind. Auch nicht der Bedeler orden, welcher, wie ſeine bedeutende Vocabelzugabe ausweiſt, eifrig beſtrebt iſt, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern und zum Rotboß des letztern das dieſem fehlende rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein- ziges Derivatum oder Compoſitum gefunden.
Somit erſcheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler, Vagant, Gauner, welcher, um ſich ein kränkliches und unkennt- liches Anſehen zu geben, das Geſicht oder die entblößten Körper- theile mit Farbe bemalt und entſtellt. Nach dem in der baſeler Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beiſatz Schwartz mag
1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4 die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachſenheim und weiſt im Wör- terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf dieſe Stelle.
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althochdeutſchen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be-
deutung Mund erſt viel ſpäter im Mittelhochdeutſchen. Mindeſtens
habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von
Bühel’s „Leben Diocletian’s“ (15. Jahrhundert):
Solt ym aber übel beschehen
So muosz ich iuch ouch das veriehen
So tett der wint vff sinen giel
Dem pferde er in den swanz viel. 1)
Aus dieſem ahd. gail iſt ſehr wahrſcheinlich das mhd. gei-
len und Geiler entſtanden mit der Bedeutung des unverſchäm-
ten Forderns und Bettelns, wovon Friſch, a. a. O., S. 335, noch
zahlreichere Beiſpiele und Compoſita anführt. Man vgl. auch bei
Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch
noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt iſt. Man
vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O.,
S. 215.
Endlich iſt noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen,
Geilen, Giler und Geiler ſowol der alten als auch der neuen
Gaunerſprache ſelbſt ganz fremd ſind. Auch nicht der Bedeler
orden, welcher, wie ſeine bedeutende Vocabelzugabe ausweiſt, eifrig
beſtrebt iſt, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern
und zum Rotboß des letztern das dieſem fehlende rottun, bedeler,
und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein-
ziges Derivatum oder Compoſitum gefunden.
Somit erſcheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler,
Vagant, Gauner, welcher, um ſich ein kränkliches und unkennt-
liches Anſehen zu geben, das Geſicht oder die entblößten Körper-
theile mit Farbe bemalt und entſtellt. Nach dem in der baſeler
Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beiſatz Schwartz mag
1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4
die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachſenheim und weiſt im Wör-
terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf dieſe Stelle.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/55>, abgerufen am 22.11.2024.
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