Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Die figurative Gematria erklärt den geheimen Sinn der Hei-
ligen Schrift aus den nach der Massora angegebenen großen,
kleinen, verkehrten oder zwischen den Zeilen eingeschobenen Buch-
staben, welche in diesen Schriften vorkommen. (Vgl. in Kap. 63
das über die quadratschriftlichen Majuskeln u. s. w. bereits Ge-
sagte.) So z. B. wird im Buch der Richter, Kap. 18, V. 30, er-
zählt, daß der Priester des Götzenbildes, welches in diesem Ka-
pitel vorkommt, zwar ein Levit, aber ein Sohn Gerson's und
Enkel des Manasse war. Da man aber nirgends findet, daß
Manasse einen Sohn Namens Gerson hatte, auch Manasse kein
Levit war, wol aber Moses einen Sohn dieses Namens hatte,
so erklären die Kabbalisten daraus, daß es in dem Texte anstatt
Manasse eigentlich Mose heißen solle. Um aber den Mose vor
der Welt nicht zu prostituiren, daß er einen Enkel gezeugt habe,
der ein Götzendiener war, so habe der Heilige Geist dem Schrei-
ber dieses Buchs eingegeben, den Buchstaben [fremdsprachliches Material] nicht in gleicher
Linie mit den übrigen Buchstaben, sondern über der Linie zwischen
dem Buchstaben [fremdsprachliches Material] und [fremdsprachliches Material] hängend zu schreiben ([fremdsprachliches Material]),
damit es zweideutig scheine, ob dieses Wort [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] ge-
lesen werde; daher findet man auch in allen correcten Bibeln die-
ses Wort [fremdsprachliches Material] geschrieben.

Notarikon (notare, bezeichnen) besteht darin, daß man ent-
weder aus den Anfangs- oder Endbuchstaben mehrerer Wörter ein
einziges formirt (so wird z. B. 1. Mos. 1, 1, aus den Wörtern
[fremdsprachliches Material] durch Zusammenstellung ihrer Endbuchstaben
das Wort [fremdsprachliches Material], emet, Wahrheit, gebildet 1) und bewiesen, daß
Gott die Welt blos der Wahrheit wegen geschaffen habe), oder es
werden aus einem einzigen Worte die Anfangsbuchstaben mehrerer
Wörter gebildet. So z. B. werden aus dem Worte [fremdsprachliches Material] die An-
fangsbuchstaben von Adam, David und Messias formirt, zum Be-
weis, daß die Seele Adam's in David und von diesem in den
Messias transmigrirt sei. David befahl seinem Sohne Salomo
(1. Kön. 2, 8), doch den Schimeai nicht ungestraft zu lassen,

1) Vgl. Th. II, S. 72, Note 1.

Die figurative Gematria erklärt den geheimen Sinn der Hei-
ligen Schrift aus den nach der Maſſora angegebenen großen,
kleinen, verkehrten oder zwiſchen den Zeilen eingeſchobenen Buch-
ſtaben, welche in dieſen Schriften vorkommen. (Vgl. in Kap. 63
das über die quadratſchriftlichen Majuskeln u. ſ. w. bereits Ge-
ſagte.) So z. B. wird im Buch der Richter, Kap. 18, V. 30, er-
zählt, daß der Prieſter des Götzenbildes, welches in dieſem Ka-
pitel vorkommt, zwar ein Levit, aber ein Sohn Gerſon’s und
Enkel des Manaſſe war. Da man aber nirgends findet, daß
Manaſſe einen Sohn Namens Gerſon hatte, auch Manaſſe kein
Levit war, wol aber Moſes einen Sohn dieſes Namens hatte,
ſo erklären die Kabbaliſten daraus, daß es in dem Texte anſtatt
Manaſſe eigentlich Moſe heißen ſolle. Um aber den Moſe vor
der Welt nicht zu proſtituiren, daß er einen Enkel gezeugt habe,
der ein Götzendiener war, ſo habe der Heilige Geiſt dem Schrei-
ber dieſes Buchs eingegeben, den Buchſtaben [fremdsprachliches Material] nicht in gleicher
Linie mit den übrigen Buchſtaben, ſondern über der Linie zwiſchen
dem Buchſtaben [fremdsprachliches Material] und [fremdsprachliches Material] hängend zu ſchreiben ([fremdsprachliches Material]),
damit es zweideutig ſcheine, ob dieſes Wort [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] ge-
leſen werde; daher findet man auch in allen correcten Bibeln die-
ſes Wort [fremdsprachliches Material] geſchrieben.

Notarikon (notare, bezeichnen) beſteht darin, daß man ent-
weder aus den Anfangs- oder Endbuchſtaben mehrerer Wörter ein
einziges formirt (ſo wird z. B. 1. Moſ. 1, 1, aus den Wörtern
[fremdsprachliches Material] durch Zuſammenſtellung ihrer Endbuchſtaben
das Wort [fremdsprachliches Material], emet, Wahrheit, gebildet 1) und bewieſen, daß
Gott die Welt blos der Wahrheit wegen geſchaffen habe), oder es
werden aus einem einzigen Worte die Anfangsbuchſtaben mehrerer
Wörter gebildet. So z. B. werden aus dem Worte [fremdsprachliches Material] die An-
fangsbuchſtaben von Adam, David und Meſſias formirt, zum Be-
weis, daß die Seele Adam’s in David und von dieſem in den
Meſſias transmigrirt ſei. David befahl ſeinem Sohne Salomo
(1. Kön. 2, 8), doch den Schimeai nicht ungeſtraft zu laſſen,

1) Vgl. Th. II, S. 72, Note 1.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0427" n="393"/>
            <p>Die figurative Gematria erklärt den geheimen Sinn der Hei-<lb/>
ligen Schrift aus den nach der Ma&#x017F;&#x017F;ora angegebenen großen,<lb/>
kleinen, verkehrten oder zwi&#x017F;chen den Zeilen einge&#x017F;chobenen Buch-<lb/>
&#x017F;taben, welche in die&#x017F;en Schriften vorkommen. (Vgl. in Kap. 63<lb/>
das über die quadrat&#x017F;chriftlichen Majuskeln u. &#x017F;. w. bereits Ge-<lb/>
&#x017F;agte.) So z. B. wird im Buch der Richter, Kap. 18, V. 30, er-<lb/>
zählt, daß der Prie&#x017F;ter des Götzenbildes, welches in die&#x017F;em Ka-<lb/>
pitel vorkommt, zwar ein Levit, aber ein Sohn Ger&#x017F;on&#x2019;s und<lb/>
Enkel des Mana&#x017F;&#x017F;e war. Da man aber nirgends findet, daß<lb/>
Mana&#x017F;&#x017F;e einen Sohn Namens Ger&#x017F;on hatte, auch Mana&#x017F;&#x017F;e kein<lb/>
Levit war, wol aber Mo&#x017F;es einen Sohn die&#x017F;es Namens hatte,<lb/>
&#x017F;o erklären die Kabbali&#x017F;ten daraus, daß es in dem Texte an&#x017F;tatt<lb/>
Mana&#x017F;&#x017F;e eigentlich Mo&#x017F;e heißen &#x017F;olle. Um aber den Mo&#x017F;e vor<lb/>
der Welt nicht zu pro&#x017F;tituiren, daß er einen Enkel gezeugt habe,<lb/>
der ein Götzendiener war, &#x017F;o habe der Heilige Gei&#x017F;t dem Schrei-<lb/>
ber die&#x017F;es Buchs eingegeben, den Buch&#x017F;taben <gap reason="fm"/> nicht in gleicher<lb/>
Linie mit den übrigen Buch&#x017F;taben, &#x017F;ondern über der Linie zwi&#x017F;chen<lb/>
dem Buch&#x017F;taben <gap reason="fm"/> und <gap reason="fm"/> hängend zu &#x017F;chreiben (<gap reason="fm"/>),<lb/>
damit es zweideutig &#x017F;cheine, ob die&#x017F;es Wort <gap reason="fm"/> oder <gap reason="fm"/> ge-<lb/>
le&#x017F;en werde; daher findet man auch in allen correcten Bibeln die-<lb/>
&#x017F;es Wort <gap reason="fm"/> ge&#x017F;chrieben.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Notarikon</hi> (<hi rendition="#aq">notare,</hi> bezeichnen) be&#x017F;teht darin, daß man ent-<lb/>
weder aus den Anfangs- oder Endbuch&#x017F;taben mehrerer Wörter ein<lb/>
einziges formirt (&#x017F;o wird z. B. 1. Mo&#x017F;. 1, 1, aus den Wörtern<lb/><gap reason="fm"/> durch Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung ihrer Endbuch&#x017F;taben<lb/>
das Wort <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#aq">emet,</hi> Wahrheit, gebildet <note place="foot" n="1)">Vgl. Th. <hi rendition="#aq">II,</hi> S. 72, Note 1.</note> und bewie&#x017F;en, daß<lb/>
Gott die Welt blos der Wahrheit wegen ge&#x017F;chaffen habe), oder es<lb/>
werden aus einem einzigen Worte die Anfangsbuch&#x017F;taben mehrerer<lb/>
Wörter gebildet. So z. B. werden aus dem Worte <gap reason="fm"/> die An-<lb/>
fangsbuch&#x017F;taben von Adam, David und Me&#x017F;&#x017F;ias formirt, zum Be-<lb/>
weis, daß die Seele Adam&#x2019;s in David und von die&#x017F;em in den<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;ias transmigrirt &#x017F;ei. David befahl &#x017F;einem Sohne Salomo<lb/>
(1. Kön. 2, 8), doch den Schimeai nicht unge&#x017F;traft zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0427] Die figurative Gematria erklärt den geheimen Sinn der Hei- ligen Schrift aus den nach der Maſſora angegebenen großen, kleinen, verkehrten oder zwiſchen den Zeilen eingeſchobenen Buch- ſtaben, welche in dieſen Schriften vorkommen. (Vgl. in Kap. 63 das über die quadratſchriftlichen Majuskeln u. ſ. w. bereits Ge- ſagte.) So z. B. wird im Buch der Richter, Kap. 18, V. 30, er- zählt, daß der Prieſter des Götzenbildes, welches in dieſem Ka- pitel vorkommt, zwar ein Levit, aber ein Sohn Gerſon’s und Enkel des Manaſſe war. Da man aber nirgends findet, daß Manaſſe einen Sohn Namens Gerſon hatte, auch Manaſſe kein Levit war, wol aber Moſes einen Sohn dieſes Namens hatte, ſo erklären die Kabbaliſten daraus, daß es in dem Texte anſtatt Manaſſe eigentlich Moſe heißen ſolle. Um aber den Moſe vor der Welt nicht zu proſtituiren, daß er einen Enkel gezeugt habe, der ein Götzendiener war, ſo habe der Heilige Geiſt dem Schrei- ber dieſes Buchs eingegeben, den Buchſtaben _ nicht in gleicher Linie mit den übrigen Buchſtaben, ſondern über der Linie zwiſchen dem Buchſtaben _ und _ hängend zu ſchreiben (_ ), damit es zweideutig ſcheine, ob dieſes Wort _ oder _ ge- leſen werde; daher findet man auch in allen correcten Bibeln die- ſes Wort _ geſchrieben. Notarikon (notare, bezeichnen) beſteht darin, daß man ent- weder aus den Anfangs- oder Endbuchſtaben mehrerer Wörter ein einziges formirt (ſo wird z. B. 1. Moſ. 1, 1, aus den Wörtern _ durch Zuſammenſtellung ihrer Endbuchſtaben das Wort _ , emet, Wahrheit, gebildet 1) und bewieſen, daß Gott die Welt blos der Wahrheit wegen geſchaffen habe), oder es werden aus einem einzigen Worte die Anfangsbuchſtaben mehrerer Wörter gebildet. So z. B. werden aus dem Worte _ die An- fangsbuchſtaben von Adam, David und Meſſias formirt, zum Be- weis, daß die Seele Adam’s in David und von dieſem in den Meſſias transmigrirt ſei. David befahl ſeinem Sohne Salomo (1. Kön. 2, 8), doch den Schimeai nicht ungeſtraft zu laſſen, 1) Vgl. Th. II, S. 72, Note 1.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/427
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/427>, abgerufen am 18.07.2024.