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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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ist, werden in genauer gerader Richtung fortgeführt. Doch findet
man zuweilen selbst in sauber und correct geschriebenen current-
schriftlichen Documenten, besonders Briefen, daß die erste (bisweilen
auch noch die zweite und dritte) Zeile zu Anfang des Briefes sich
nach links auffallend abwärts neigt. Diese krummen Linien
haben eine eigenthümliche Bedeutsamkeit und sind um so mehr zu
beachten, als sie in Gaunerbriefen stark ausgebeutet werden und
solche Briefe in Untersuchungen gegen Gauner von großer Wich-
tigkeit sein können.

Die Talmudisten führen neununddreißig Hauptarbeiten ([fremdsprachliches Material],
aboss, Väter) und eine Unzahl anderer aus diesen hergeleiteter
und ihnen ähnlicher Arbeiten ([fremdsprachliches Material], toldoss, Kinder) auf, welche
am Sabbat durchaus verboten sind und welche man im Talmud,
Tractat Schabbat, Abschn. 7, Mischnah 2, aufgeführt findet. Un-
ter den neununddreißig Aboß findet sich das Verbot, auch nur
zwei Buchstaben zu schreiben oder zwei Buchstaben zu tilgen und
zwei andere dafür zu schreiben. Das absolute Verbot des schrift-
lichen Verkehrs erstreckt sich auch auf die übrigen Festtage, unter
denen [fremdsprachliches Material], pessach, Ostern (acht Tage), und [fremdsprachliches Material], suckoss,
Hüttenfest (neun Tage), zu den längsten Festen gehören. Die
vollen strengen Feiertage beider Feste sind aber auf die zwei ersten
und zwei letzten Tage beschränkt, sodaß die vier oder fünf mittlern
Tage, [fremdsprachliches Material], chol hammoed, Halbfeiertage, Zwischenfeier-
tage, nur als halbe Feiertage gelten. Auch an diesen Halbfeier-
tagen soll man ohne dringende Noth keine Arbeiten verrichten,
also auch nicht schreiben. Tritt jedoch eine dringende Nothwendig-
keit, ein drohender Schade oder ein Zwang ein, so darf man in
beschränkter Weise das Allernöthigste thun und auch Briefe schrei-
ben. Doch pflegt man, zum Zeichen der Unfreiwilligkeit, die erste
Zeile schief zu schreiben. Der "Schulchan Aruch" gibt im ersten
Buch Orach Chajim (545) sehr specielle Vorschriften in Be-
zug auf die verschiedenen Gelegenheiten zum Schreiben während
des Chol Hammoed. 1) Gebildete Juden pflegen die erste Zeile in

1) H. G. F. Löwe erwähnt in seiner "Uebersetzung des Schulchan Aruch"

iſt, werden in genauer gerader Richtung fortgeführt. Doch findet
man zuweilen ſelbſt in ſauber und correct geſchriebenen current-
ſchriftlichen Documenten, beſonders Briefen, daß die erſte (bisweilen
auch noch die zweite und dritte) Zeile zu Anfang des Briefes ſich
nach links auffallend abwärts neigt. Dieſe krummen Linien
haben eine eigenthümliche Bedeutſamkeit und ſind um ſo mehr zu
beachten, als ſie in Gaunerbriefen ſtark ausgebeutet werden und
ſolche Briefe in Unterſuchungen gegen Gauner von großer Wich-
tigkeit ſein können.

Die Talmudiſten führen neununddreißig Hauptarbeiten ([fremdsprachliches Material],
aboss, Väter) und eine Unzahl anderer aus dieſen hergeleiteter
und ihnen ähnlicher Arbeiten ([fremdsprachliches Material], toldoss, Kinder) auf, welche
am Sabbat durchaus verboten ſind und welche man im Talmud,
Tractat Schabbat, Abſchn. 7, Miſchnah 2, aufgeführt findet. Un-
ter den neununddreißig Aboß findet ſich das Verbot, auch nur
zwei Buchſtaben zu ſchreiben oder zwei Buchſtaben zu tilgen und
zwei andere dafür zu ſchreiben. Das abſolute Verbot des ſchrift-
lichen Verkehrs erſtreckt ſich auch auf die übrigen Feſttage, unter
denen [fremdsprachliches Material], pessach, Oſtern (acht Tage), und [fremdsprachliches Material], suckoss,
Hüttenfeſt (neun Tage), zu den längſten Feſten gehören. Die
vollen ſtrengen Feiertage beider Feſte ſind aber auf die zwei erſten
und zwei letzten Tage beſchränkt, ſodaß die vier oder fünf mittlern
Tage, [fremdsprachliches Material], chol hammoëd, Halbfeiertage, Zwiſchenfeier-
tage, nur als halbe Feiertage gelten. Auch an dieſen Halbfeier-
tagen ſoll man ohne dringende Noth keine Arbeiten verrichten,
alſo auch nicht ſchreiben. Tritt jedoch eine dringende Nothwendig-
keit, ein drohender Schade oder ein Zwang ein, ſo darf man in
beſchränkter Weiſe das Allernöthigſte thun und auch Briefe ſchrei-
ben. Doch pflegt man, zum Zeichen der Unfreiwilligkeit, die erſte
Zeile ſchief zu ſchreiben. Der „Schulchan Aruch“ gibt im erſten
Buch Orach Chajim (545) ſehr ſpecielle Vorſchriften in Be-
zug auf die verſchiedenen Gelegenheiten zum Schreiben während
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[351/0385] iſt, werden in genauer gerader Richtung fortgeführt. Doch findet man zuweilen ſelbſt in ſauber und correct geſchriebenen current- ſchriftlichen Documenten, beſonders Briefen, daß die erſte (bisweilen auch noch die zweite und dritte) Zeile zu Anfang des Briefes ſich nach links auffallend abwärts neigt. Dieſe krummen Linien haben eine eigenthümliche Bedeutſamkeit und ſind um ſo mehr zu beachten, als ſie in Gaunerbriefen ſtark ausgebeutet werden und ſolche Briefe in Unterſuchungen gegen Gauner von großer Wich- tigkeit ſein können. Die Talmudiſten führen neununddreißig Hauptarbeiten (_ , aboss, Väter) und eine Unzahl anderer aus dieſen hergeleiteter und ihnen ähnlicher Arbeiten (_ , toldoss, Kinder) auf, welche am Sabbat durchaus verboten ſind und welche man im Talmud, Tractat Schabbat, Abſchn. 7, Miſchnah 2, aufgeführt findet. Un- ter den neununddreißig Aboß findet ſich das Verbot, auch nur zwei Buchſtaben zu ſchreiben oder zwei Buchſtaben zu tilgen und zwei andere dafür zu ſchreiben. Das abſolute Verbot des ſchrift- lichen Verkehrs erſtreckt ſich auch auf die übrigen Feſttage, unter denen _ , pessach, Oſtern (acht Tage), und _ , suckoss, Hüttenfeſt (neun Tage), zu den längſten Feſten gehören. Die vollen ſtrengen Feiertage beider Feſte ſind aber auf die zwei erſten und zwei letzten Tage beſchränkt, ſodaß die vier oder fünf mittlern Tage, _ , chol hammoëd, Halbfeiertage, Zwiſchenfeier- tage, nur als halbe Feiertage gelten. Auch an dieſen Halbfeier- tagen ſoll man ohne dringende Noth keine Arbeiten verrichten, alſo auch nicht ſchreiben. Tritt jedoch eine dringende Nothwendig- keit, ein drohender Schade oder ein Zwang ein, ſo darf man in beſchränkter Weiſe das Allernöthigſte thun und auch Briefe ſchrei- ben. Doch pflegt man, zum Zeichen der Unfreiwilligkeit, die erſte Zeile ſchief zu ſchreiben. Der „Schulchan Aruch“ gibt im erſten Buch Orach Chajim (545) ſehr ſpecielle Vorſchriften in Be- zug auf die verſchiedenen Gelegenheiten zum Schreiben während des Chol Hammoëd. 1) Gebildete Juden pflegen die erſte Zeile in 1) H. G. F. Löwe erwähnt in ſeiner „Ueberſetzung des Schulchan Aruch“

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/385>, abgerufen am 22.11.2024.