Achtundvierzigstes Kapitel. c) Die jüdischdeutsche Volksgrammatik.
Die christliche Mission unter den Juden hatte noch einen merkwürdigen Einfluß auf die Grammatik der jüdischdeutschen Sprache, der, wenn die Justiz, namentlich des 17. und 18. Jahr- hunderts, nur etwas scharfblickender gewesen wäre, sich auch mit den glücklichsten Folgen für die Criminaljustiz und Polizei hätte geltend machen müssen. Nachdem die heftige Polemik Müller's, Diffenbach's, Hosmann's, Wagenseil's und vor allen Eisenmenger's, zu welcher viele jüdische Apostaten, wie V. von Carbe, F. Hesse, J. A. von Embden, D. Schwabe, F. S. Brentz, J. P. Bleib- treu, A. Margarita 1) u. s. w. das willkommenste Material durch ihre perfiden, judenfeindlichen und mit dem Christenthum lieb- äugelnden Schriften hatten hergeben müssen, sich zur besonnenern Mission abgesetzt hatte, fanden sich auch noch ferner jüdische Apo- staten, Meschummodim 2), welche theils im Bewußtsein der offen daliegenden sprachlichen Unkenntniß der christlichen Missionsgram- matiker in der jüdischen Sprache und Grammatik, theils im über- müthigen Bewußtsein des ihnen durch ihren Uebertritt zum Chri- stenthum garantirten Schutzes gegen den Haß und die Verfolgun- gen des über ihren Abfall erbitterten Judenthums mit Anweisun- gen, Grammatiken, Wörterbüchern u. dgl. hervortraten. So wenig die rohe Bildung dieser traurigen Literatoren auch nur ent- fernt eine verständliche Unterweisung oder Grammatik ermöglichen konnte, so eröffneten diese Unternehmungen doch in der Menge von freilich kurz und oft schlecht erläuterten und absichtlich entstellten Vocabeln einen tiefern Blick in das verborgene, entartete Volks- leben der Juden und in den eigensten niedern Volkston der jüdisch- deutschen Sprache. Dieser Verrath des innersten Volkslebens, welches durchgehends selbst in seiner bessern Regung zweideutig, oft
1) Vgl. den Schluß des Autorenregisters vor Eisenmenger's "Entdecktem Judenthum."
2)[fremdsprachliches Material], meschummodim, von [fremdsprachliches Material], schomad,[fremdsprachliches Material], hischmid, er hat vertilgt, ist abgefallen, abtrünnig geworden. Vgl. das Wörterbuch.
Achtundvierzigſtes Kapitel. c) Die jüdiſchdeutſche Volksgrammatik.
Die chriſtliche Miſſion unter den Juden hatte noch einen merkwürdigen Einfluß auf die Grammatik der jüdiſchdeutſchen Sprache, der, wenn die Juſtiz, namentlich des 17. und 18. Jahr- hunderts, nur etwas ſcharfblickender geweſen wäre, ſich auch mit den glücklichſten Folgen für die Criminaljuſtiz und Polizei hätte geltend machen müſſen. Nachdem die heftige Polemik Müller’s, Diffenbach’s, Hosmann’s, Wagenſeil’s und vor allen Eiſenmenger’s, zu welcher viele jüdiſche Apoſtaten, wie V. von Carbe, F. Heſſe, J. A. von Embden, D. Schwabe, F. S. Brentz, J. P. Bleib- treu, A. Margarita 1) u. ſ. w. das willkommenſte Material durch ihre perfiden, judenfeindlichen und mit dem Chriſtenthum lieb- äugelnden Schriften hatten hergeben müſſen, ſich zur beſonnenern Miſſion abgeſetzt hatte, fanden ſich auch noch ferner jüdiſche Apo- ſtaten, Meſchummodim 2), welche theils im Bewußtſein der offen daliegenden ſprachlichen Unkenntniß der chriſtlichen Miſſionsgram- matiker in der jüdiſchen Sprache und Grammatik, theils im über- müthigen Bewußtſein des ihnen durch ihren Uebertritt zum Chri- ſtenthum garantirten Schutzes gegen den Haß und die Verfolgun- gen des über ihren Abfall erbitterten Judenthums mit Anweiſun- gen, Grammatiken, Wörterbüchern u. dgl. hervortraten. So wenig die rohe Bildung dieſer traurigen Literatoren auch nur ent- fernt eine verſtändliche Unterweiſung oder Grammatik ermöglichen konnte, ſo eröffneten dieſe Unternehmungen doch in der Menge von freilich kurz und oft ſchlecht erläuterten und abſichtlich entſtellten Vocabeln einen tiefern Blick in das verborgene, entartete Volks- leben der Juden und in den eigenſten niedern Volkston der jüdiſch- deutſchen Sprache. Dieſer Verrath des innerſten Volkslebens, welches durchgehends ſelbſt in ſeiner beſſern Regung zweideutig, oft
1) Vgl. den Schluß des Autorenregiſters vor Eiſenmenger’s „Entdecktem Judenthum.“
2)[fremdsprachliches Material], meschummodim, von [fremdsprachliches Material], schomad,[fremdsprachliches Material], hischmid, er hat vertilgt, iſt abgefallen, abtrünnig geworden. Vgl. das Wörterbuch.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0264"n="230"/><divn="3"><head><hirendition="#fr">Achtundvierzigſtes Kapitel.</hi><lb/><hirendition="#aq">c</hi>) <hirendition="#fr">Die jüdiſchdeutſche Volksgrammatik.</hi></head><lb/><p>Die chriſtliche Miſſion unter den Juden hatte noch einen<lb/>
merkwürdigen Einfluß auf die Grammatik der jüdiſchdeutſchen<lb/>
Sprache, der, wenn die Juſtiz, namentlich des 17. und 18. Jahr-<lb/>
hunderts, nur etwas ſcharfblickender geweſen wäre, ſich auch mit<lb/>
den glücklichſten Folgen für die Criminaljuſtiz und Polizei hätte<lb/>
geltend machen müſſen. Nachdem die heftige Polemik Müller’s,<lb/>
Diffenbach’s, Hosmann’s, Wagenſeil’s und vor allen Eiſenmenger’s,<lb/>
zu welcher viele jüdiſche Apoſtaten, wie V. von Carbe, F. Heſſe,<lb/>
J. A. von Embden, D. Schwabe, F. S. Brentz, J. P. Bleib-<lb/>
treu, A. Margarita <noteplace="foot"n="1)">Vgl. den Schluß des Autorenregiſters vor Eiſenmenger’s „Entdecktem<lb/>
Judenthum.“</note> u. ſ. w. das willkommenſte Material durch<lb/>
ihre perfiden, judenfeindlichen und mit dem Chriſtenthum lieb-<lb/>
äugelnden Schriften hatten hergeben müſſen, ſich zur beſonnenern<lb/>
Miſſion abgeſetzt hatte, fanden ſich auch noch ferner jüdiſche Apo-<lb/>ſtaten, Meſchummodim <noteplace="foot"n="2)"><gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">meschummodim,</hi> von <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">schomad,</hi><gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">hischmid,</hi><lb/>
er hat vertilgt, iſt abgefallen, abtrünnig geworden. Vgl. das Wörterbuch.</note>, welche theils im Bewußtſein der offen<lb/>
daliegenden ſprachlichen Unkenntniß der chriſtlichen Miſſionsgram-<lb/>
matiker in der jüdiſchen Sprache und Grammatik, theils im über-<lb/>
müthigen Bewußtſein des ihnen durch ihren Uebertritt zum Chri-<lb/>ſtenthum garantirten Schutzes gegen den Haß und die Verfolgun-<lb/>
gen des über ihren Abfall erbitterten Judenthums mit Anweiſun-<lb/>
gen, Grammatiken, Wörterbüchern u. dgl. hervortraten. So<lb/>
wenig die rohe Bildung dieſer traurigen Literatoren auch nur ent-<lb/>
fernt eine verſtändliche Unterweiſung oder Grammatik ermöglichen<lb/>
konnte, ſo eröffneten dieſe Unternehmungen doch in der Menge von<lb/>
freilich kurz und oft ſchlecht erläuterten und abſichtlich entſtellten<lb/>
Vocabeln einen tiefern Blick in das verborgene, entartete Volks-<lb/>
leben der Juden und in den eigenſten niedern Volkston der jüdiſch-<lb/>
deutſchen Sprache. Dieſer Verrath des innerſten Volkslebens,<lb/>
welches durchgehends ſelbſt in ſeiner beſſern Regung zweideutig, oft<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[230/0264]
Achtundvierzigſtes Kapitel.
c) Die jüdiſchdeutſche Volksgrammatik.
Die chriſtliche Miſſion unter den Juden hatte noch einen
merkwürdigen Einfluß auf die Grammatik der jüdiſchdeutſchen
Sprache, der, wenn die Juſtiz, namentlich des 17. und 18. Jahr-
hunderts, nur etwas ſcharfblickender geweſen wäre, ſich auch mit
den glücklichſten Folgen für die Criminaljuſtiz und Polizei hätte
geltend machen müſſen. Nachdem die heftige Polemik Müller’s,
Diffenbach’s, Hosmann’s, Wagenſeil’s und vor allen Eiſenmenger’s,
zu welcher viele jüdiſche Apoſtaten, wie V. von Carbe, F. Heſſe,
J. A. von Embden, D. Schwabe, F. S. Brentz, J. P. Bleib-
treu, A. Margarita 1) u. ſ. w. das willkommenſte Material durch
ihre perfiden, judenfeindlichen und mit dem Chriſtenthum lieb-
äugelnden Schriften hatten hergeben müſſen, ſich zur beſonnenern
Miſſion abgeſetzt hatte, fanden ſich auch noch ferner jüdiſche Apo-
ſtaten, Meſchummodim 2), welche theils im Bewußtſein der offen
daliegenden ſprachlichen Unkenntniß der chriſtlichen Miſſionsgram-
matiker in der jüdiſchen Sprache und Grammatik, theils im über-
müthigen Bewußtſein des ihnen durch ihren Uebertritt zum Chri-
ſtenthum garantirten Schutzes gegen den Haß und die Verfolgun-
gen des über ihren Abfall erbitterten Judenthums mit Anweiſun-
gen, Grammatiken, Wörterbüchern u. dgl. hervortraten. So
wenig die rohe Bildung dieſer traurigen Literatoren auch nur ent-
fernt eine verſtändliche Unterweiſung oder Grammatik ermöglichen
konnte, ſo eröffneten dieſe Unternehmungen doch in der Menge von
freilich kurz und oft ſchlecht erläuterten und abſichtlich entſtellten
Vocabeln einen tiefern Blick in das verborgene, entartete Volks-
leben der Juden und in den eigenſten niedern Volkston der jüdiſch-
deutſchen Sprache. Dieſer Verrath des innerſten Volkslebens,
welches durchgehends ſelbſt in ſeiner beſſern Regung zweideutig, oft
1) Vgl. den Schluß des Autorenregiſters vor Eiſenmenger’s „Entdecktem
Judenthum.“
2) _ , meschummodim, von _ , schomad, _ , hischmid,
er hat vertilgt, iſt abgefallen, abtrünnig geworden. Vgl. das Wörterbuch.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/264>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.