kende Name erst viel später, zu Ende des 17. Jahrhunderts und erst dann aufgekommen zu sein scheint, als man den vollen Un- sinn erkannte und bespöttelte, aber doch immer noch in plumper Weise darin grimassirte, wie bei der traurigen plattspaßigen Nach- ahmung der Geberden eines Trunkenbolds.
Der Galimatias ist eine taubstumme Misgeburt der Stegano- graphie, welcher Aberglaube und Unwissenheit vergeblich eine arti- kulirte Sprache durch bloße Buchstabenstellung zu verleihen streb- ten, welche aber niemals über die tolle Construction einzelner, völlig unverständlicher Wörter hinauskam und deren verkümmer- tem Organismus mit dem logischen Verständniß auch die natür- liche Lautsprache versagt blieb. Als mit dem Schluß des 15. Jahrhunderts J. Tritheim (1462--1516) die Grundsätze seiner Steganographie darlegte, hatte er das Nüchternste und Verständ- lichste von allen mit ihm auf gleichem Gebiete arbeitenden Zeit- genossen geleistet. Als ob aber schon von Anfang her der christ- liche Zaubermysticismus zur absoluten Unklarheit für alle Zeiten hätte verdammt sein sollen, entschlüpfte das einzige klare Stück ihrer Forschung, der behende Geist der Steganographie, aus den Gelehrtenstuben, wo er den Buchstabenmechanismus wie eine todte Hülse hinter sich ließ, und machte sich der neu erstehenden Krypto- graphie dienstbar, welche aus dem grauen Alterthum her durch Richelieu's schlaue Politik zur neuen geheimen Wissenschaft umge- schaffen und mächtig gefördert, in der Staatspolitik wie in der Literatur bis auf den heutigen Tag eine so geheime wie gewaltige Rolle spielen sollte, während es jener todten Hülse vorbehalten blieb, aus den Gelehrtenstuben heraus in dogmatischer, ethischer,
den zu können, so wenig wie auf Gal, Hall, Schall, Schrei, bei Schmid, "Schwäbisches Jdiotikon", S. 216, welcher dabei [fremdsprachliches Material], Stimme, [fremdsprachliches Material], jauchzen, sowie kalein, rufen, anführt. Letzternfalls würde dann eine Ableitung von kalein und matia (vergebliches, fruchtloses Unternehmen, Leichtsinn, Thorheit, Versehen, Fehler), wenn auch sehr gesucht, denkbar sein. Doch ist der Aus- druck wol immer nur ein, vielleicht mit Spott, flüchtig hingeworfener Gelehr- tenausdruck für die unsinnige Zusammensetzung nicht nur der Rede, sondern auch des einzelnen Wortes selbst.
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kende Name erſt viel ſpäter, zu Ende des 17. Jahrhunderts und erſt dann aufgekommen zu ſein ſcheint, als man den vollen Un- ſinn erkannte und beſpöttelte, aber doch immer noch in plumper Weiſe darin grimaſſirte, wie bei der traurigen plattſpaßigen Nach- ahmung der Geberden eines Trunkenbolds.
Der Galimatias iſt eine taubſtumme Misgeburt der Stegano- graphie, welcher Aberglaube und Unwiſſenheit vergeblich eine arti- kulirte Sprache durch bloße Buchſtabenſtellung zu verleihen ſtreb- ten, welche aber niemals über die tolle Conſtruction einzelner, völlig unverſtändlicher Wörter hinauskam und deren verkümmer- tem Organismus mit dem logiſchen Verſtändniß auch die natür- liche Lautſprache verſagt blieb. Als mit dem Schluß des 15. Jahrhunderts J. Tritheim (1462—1516) die Grundſätze ſeiner Steganographie darlegte, hatte er das Nüchternſte und Verſtänd- lichſte von allen mit ihm auf gleichem Gebiete arbeitenden Zeit- genoſſen geleiſtet. Als ob aber ſchon von Anfang her der chriſt- liche Zaubermyſticismus zur abſoluten Unklarheit für alle Zeiten hätte verdammt ſein ſollen, entſchlüpfte das einzige klare Stück ihrer Forſchung, der behende Geiſt der Steganographie, aus den Gelehrtenſtuben, wo er den Buchſtabenmechanismus wie eine todte Hülſe hinter ſich ließ, und machte ſich der neu erſtehenden Krypto- graphie dienſtbar, welche aus dem grauen Alterthum her durch Richelieu’s ſchlaue Politik zur neuen geheimen Wiſſenſchaft umge- ſchaffen und mächtig gefördert, in der Staatspolitik wie in der Literatur bis auf den heutigen Tag eine ſo geheime wie gewaltige Rolle ſpielen ſollte, während es jener todten Hülſe vorbehalten blieb, aus den Gelehrtenſtuben heraus in dogmatiſcher, ethiſcher,
den zu können, ſo wenig wie auf Gal, Hall, Schall, Schrei, bei Schmid, „Schwäbiſches Jdiotikon“, S. 216, welcher dabei [fremdsprachliches Material], Stimme, [fremdsprachliches Material], jauchzen, ſowie καλεῖν, rufen, anführt. Letzternfalls würde dann eine Ableitung von καλεῖν und ματία (vergebliches, fruchtloſes Unternehmen, Leichtſinn, Thorheit, Verſehen, Fehler), wenn auch ſehr geſucht, denkbar ſein. Doch iſt der Aus- druck wol immer nur ein, vielleicht mit Spott, flüchtig hingeworfener Gelehr- tenausdruck für die unſinnige Zuſammenſetzung nicht nur der Rede, ſondern auch des einzelnen Wortes ſelbſt.
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kende Name erſt viel ſpäter, zu Ende des 17. Jahrhunderts und
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Weiſe darin grimaſſirte, wie bei der traurigen plattſpaßigen Nach-
ahmung der Geberden eines Trunkenbolds.
Der Galimatias iſt eine taubſtumme Misgeburt der Stegano-
graphie, welcher Aberglaube und Unwiſſenheit vergeblich eine arti-
kulirte Sprache durch bloße Buchſtabenſtellung zu verleihen ſtreb-
ten, welche aber niemals über die tolle Conſtruction einzelner,
völlig unverſtändlicher Wörter hinauskam und deren verkümmer-
tem Organismus mit dem logiſchen Verſtändniß auch die natür-
liche Lautſprache verſagt blieb. Als mit dem Schluß des 15.
Jahrhunderts J. Tritheim (1462—1516) die Grundſätze ſeiner
Steganographie darlegte, hatte er das Nüchternſte und Verſtänd-
lichſte von allen mit ihm auf gleichem Gebiete arbeitenden Zeit-
genoſſen geleiſtet. Als ob aber ſchon von Anfang her der chriſt-
liche Zaubermyſticismus zur abſoluten Unklarheit für alle Zeiten
hätte verdammt ſein ſollen, entſchlüpfte das einzige klare Stück
ihrer Forſchung, der behende Geiſt der Steganographie, aus den
Gelehrtenſtuben, wo er den Buchſtabenmechanismus wie eine todte
Hülſe hinter ſich ließ, und machte ſich der neu erſtehenden Krypto-
graphie dienſtbar, welche aus dem grauen Alterthum her durch
Richelieu’s ſchlaue Politik zur neuen geheimen Wiſſenſchaft umge-
ſchaffen und mächtig gefördert, in der Staatspolitik wie in der
Literatur bis auf den heutigen Tag eine ſo geheime wie gewaltige
Rolle ſpielen ſollte, während es jener todten Hülſe vorbehalten
blieb, aus den Gelehrtenſtuben heraus in dogmatiſcher, ethiſcher,
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1) den zu können, ſo wenig wie auf Gal, Hall, Schall, Schrei, bei Schmid,
„Schwäbiſches Jdiotikon“, S. 216, welcher dabei _ , Stimme, _ , jauchzen,
ſowie καλεῖν, rufen, anführt. Letzternfalls würde dann eine Ableitung von
καλεῖν und ματία (vergebliches, fruchtloſes Unternehmen, Leichtſinn, Thorheit,
Verſehen, Fehler), wenn auch ſehr geſucht, denkbar ſein. Doch iſt der Aus-
druck wol immer nur ein, vielleicht mit Spott, flüchtig hingeworfener Gelehr-
tenausdruck für die unſinnige Zuſammenſetzung nicht nur der Rede, ſondern
auch des einzelnen Wortes ſelbſt.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/213>, abgerufen am 16.02.2025.
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