Durch diese Roheit der öffentlichen Bestrafung wurde das sittliche Gefühl überall noch tiefer verletzt als durch die im geheimen von zwei Personen begangene und dann so unklug bestrafte Unzucht. Die Obrigkeit tastete mit rauher Hand in die tiefe Wunde und machte sie noch schmerzlicher und reizbarer als vorher, ohne doch irgendetwas zur Heilung beizutragen. Da verfiel der reine, fromme Sinn edler Bürger und Magistrate darauf, mit christlicher Zucht gegen die herrschende Unzucht aufzutreten, und schuf in den Frauen- häusern zunächst Asyle für die vom Volk verachteten und von jedem andern Erwerb ausgeschlossenen gemeinen Töchter. Schon im 13. Jahrhundert finden sich Frauenhäuser und Frauenwirthe in Basel, Wien, Regensburg, Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Mainz u. s. w. 1), unter obrigkeitlicher Aufsicht, ja sogar theilweise, wie in Bologna und Strasburg, für eigene Rechnung des Raths ver- waltet. Jn Toulouse erhielt, wie schon erwähnt, die "grande ab- baye" von Karl VI. im Jahre 1389 einen Freibrief. Jn Avignon befanden sich die Frauenhäuser dicht bei dem päpstlichen Schlosse, und neben dem Augustinerkloster stand ebenfalls ein Frauenhaus unter einer Aebtissin, welche nach der Verordnung der Königin Johanna von 1347 die unter ihrer Aufsicht sich preisgebenden Dirnen alle Sonnabende mit Beiziehung eines Wundarztes zu untersuchen hatte, ob sie mit ansteckenden Krankheiten behaftet seien. Doch wurde schon in der ersten Einrichtung der Frauen- häuser die fromme Absicht, das Laster unter Aufsicht zu fassen, um es allmählich bändigen zu können, sogleich durch die fromme Taktlosigkeit eludirt, daß man das Laster in den Frauenhäusern walten ließ, anstatt darin den Drachen niederzuwerfen und seine jedesmalige Erhebung wenn auch im mühsamen, doch muthi- gen und hoffnungsvollen Kampfe mit den von christlicher Zucht und Sitte gebotenen Mitteln zu Boden zu halten. Mit der Dul- dung der Preisgebung in den Frauenhäusern unter obrigkeitlicher Aufsicht war aber der Prostitution ein Recht auf Existenz einge-
1) Der erste namentlich bekannte Frauenwirth (Burchard von Esch) kommt 1293 in Basel vor.
Durch dieſe Roheit der öffentlichen Beſtrafung wurde das ſittliche Gefühl überall noch tiefer verletzt als durch die im geheimen von zwei Perſonen begangene und dann ſo unklug beſtrafte Unzucht. Die Obrigkeit taſtete mit rauher Hand in die tiefe Wunde und machte ſie noch ſchmerzlicher und reizbarer als vorher, ohne doch irgendetwas zur Heilung beizutragen. Da verfiel der reine, fromme Sinn edler Bürger und Magiſtrate darauf, mit chriſtlicher Zucht gegen die herrſchende Unzucht aufzutreten, und ſchuf in den Frauen- häuſern zunächſt Aſyle für die vom Volk verachteten und von jedem andern Erwerb ausgeſchloſſenen gemeinen Töchter. Schon im 13. Jahrhundert finden ſich Frauenhäuſer und Frauenwirthe in Baſel, Wien, Regensburg, Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Mainz u. ſ. w. 1), unter obrigkeitlicher Aufſicht, ja ſogar theilweiſe, wie in Bologna und Strasburg, für eigene Rechnung des Raths ver- waltet. Jn Toulouſe erhielt, wie ſchon erwähnt, die „grande ab- baye“ von Karl VI. im Jahre 1389 einen Freibrief. Jn Avignon befanden ſich die Frauenhäuſer dicht bei dem päpſtlichen Schloſſe, und neben dem Auguſtinerkloſter ſtand ebenfalls ein Frauenhaus unter einer Aebtiſſin, welche nach der Verordnung der Königin Johanna von 1347 die unter ihrer Aufſicht ſich preisgebenden Dirnen alle Sonnabende mit Beiziehung eines Wundarztes zu unterſuchen hatte, ob ſie mit anſteckenden Krankheiten behaftet ſeien. Doch wurde ſchon in der erſten Einrichtung der Frauen- häuſer die fromme Abſicht, das Laſter unter Aufſicht zu faſſen, um es allmählich bändigen zu können, ſogleich durch die fromme Taktloſigkeit eludirt, daß man das Laſter in den Frauenhäuſern walten ließ, anſtatt darin den Drachen niederzuwerfen und ſeine jedesmalige Erhebung wenn auch im mühſamen, doch muthi- gen und hoffnungsvollen Kampfe mit den von chriſtlicher Zucht und Sitte gebotenen Mitteln zu Boden zu halten. Mit der Dul- dung der Preisgebung in den Frauenhäuſern unter obrigkeitlicher Aufſicht war aber der Proſtitution ein Recht auf Exiſtenz einge-
1) Der erſte namentlich bekannte Frauenwirth (Burchard von Eſch) kommt 1293 in Baſel vor.
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Durch dieſe Roheit der öffentlichen Beſtrafung wurde das ſittliche
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zwei Perſonen begangene und dann ſo unklug beſtrafte Unzucht.
Die Obrigkeit taſtete mit rauher Hand in die tiefe Wunde und
machte ſie noch ſchmerzlicher und reizbarer als vorher, ohne doch
irgendetwas zur Heilung beizutragen. Da verfiel der reine, fromme
Sinn edler Bürger und Magiſtrate darauf, mit chriſtlicher Zucht
gegen die herrſchende Unzucht aufzutreten, und ſchuf in den Frauen-
häuſern zunächſt Aſyle für die vom Volk verachteten und von
jedem andern Erwerb ausgeſchloſſenen gemeinen Töchter. Schon
im 13. Jahrhundert finden ſich Frauenhäuſer und Frauenwirthe
in Baſel, Wien, Regensburg, Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Mainz
u. ſ. w. 1), unter obrigkeitlicher Aufſicht, ja ſogar theilweiſe, wie
in Bologna und Strasburg, für eigene Rechnung des Raths ver-
waltet. Jn Toulouſe erhielt, wie ſchon erwähnt, die „grande ab-
baye“ von Karl VI. im Jahre 1389 einen Freibrief. Jn Avignon
befanden ſich die Frauenhäuſer dicht bei dem päpſtlichen Schloſſe,
und neben dem Auguſtinerkloſter ſtand ebenfalls ein Frauenhaus
unter einer Aebtiſſin, welche nach der Verordnung der Königin
Johanna von 1347 die unter ihrer Aufſicht ſich preisgebenden
Dirnen alle Sonnabende mit Beiziehung eines Wundarztes zu
unterſuchen hatte, ob ſie mit anſteckenden Krankheiten behaftet
ſeien. Doch wurde ſchon in der erſten Einrichtung der Frauen-
häuſer die fromme Abſicht, das Laſter unter Aufſicht zu faſſen,
um es allmählich bändigen zu können, ſogleich durch die fromme
Taktloſigkeit eludirt, daß man das Laſter in den Frauenhäuſern
walten ließ, anſtatt darin den Drachen niederzuwerfen und ſeine
jedesmalige Erhebung wenn auch im mühſamen, doch muthi-
gen und hoffnungsvollen Kampfe mit den von chriſtlicher Zucht
und Sitte gebotenen Mitteln zu Boden zu halten. Mit der Dul-
dung der Preisgebung in den Frauenhäuſern unter obrigkeitlicher
Aufſicht war aber der Proſtitution ein Recht auf Exiſtenz einge-
1) Der erſte namentlich bekannte Frauenwirth (Burchard von Eſch) kommt
1293 in Baſel vor.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/199>, abgerufen am 22.11.2024.
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