sie mit Abstraction von der concreten Persönlichkeit sehr oft zu all- gemeinen Begriffen nivellirt werden, und in welchem sie auch dem Gaunerthum zur beliebigen Auswahl zu Gebote stehen und wirk- lich oft gewählt werden, sodaß man bei Analyse eines Gauner- worts oft genug auf eine bestimmte Persönlichkeit geführt wird, welche mit nichts weniger als mit dem Gaunerthum zu schaffen gehabt hat, wie das besonders auch bei der Sprache der lieder- lichen Dirnen in den Bordells und besonders in der englischen Gaunersprache bei dem rhyming slang der Fall ist, z. B.: Sir Walter Scott ist a pot, a pot of beer; Tommy O'Rann ist scran, Volksausdruck für foot. Beispiele aus der deutschen Sol- datensprache oder Bordellsprache sind nicht füglich aufzuführen, da sie stets auf concrete und zumeist auf öffentliche Charaktere Bezug haben. Die allgemeinsten, üblichsten und vom Gaunerthum re- cipirten Ausdrücke findet man im Wörterbuche.
Dreiunddreißigstes Kapitel. th. Die Tieflingsprache.
Seitdem der Materialismus angefangen hat, die Erzeugnisse der Gewerbs- und Handelsarbeit mittels der riesigsten Erfindun- gen des menschlichen Geistes in ungeheuern Massen zusammen- zuhäufen, hat auch die Verkehrsbewegung einen kolossalen Maß- stab angenommen und schreitet mit Riesenschritten, welche des Raums und der Zeit spotten, durch die bei der krampfhaften Bewegung doch auch immer wieder verödende Welt, um End- punkte zu finden, an welchen sie erschöpft ausruht, und wo Menschen und Massen sich künstlich zusammenhäufen und gerade in der ge- drängten Menge am fremdesten durch- und gegeneinander sich bewegen. Als trübes Surrogat für sein daheim gelassenes häus- liches und Familienleben öffnen sich an diesen Stapelplätzen des Materialismus dem Ankömmling die weiten riesigen Hotels mit dem längst spurlos verwischten Charakter alter Hospitalität, an deren Schwelle nicht einmal mehr der Eigenthümer durch seine bloße persönliche Erscheinung stillschweigend Schutz und Anhalt
ſie mit Abſtraction von der concreten Perſönlichkeit ſehr oft zu all- gemeinen Begriffen nivellirt werden, und in welchem ſie auch dem Gaunerthum zur beliebigen Auswahl zu Gebote ſtehen und wirk- lich oft gewählt werden, ſodaß man bei Analyſe eines Gauner- worts oft genug auf eine beſtimmte Perſönlichkeit geführt wird, welche mit nichts weniger als mit dem Gaunerthum zu ſchaffen gehabt hat, wie das beſonders auch bei der Sprache der lieder- lichen Dirnen in den Bordells und beſonders in der engliſchen Gaunerſprache bei dem rhyming slang der Fall iſt, z. B.: Sir Walter Scott iſt a pot, a pot of beer; Tommy O’Rann iſt scran, Volksausdruck für foot. Beiſpiele aus der deutſchen Sol- datenſprache oder Bordellſprache ſind nicht füglich aufzuführen, da ſie ſtets auf concrete und zumeiſt auf öffentliche Charaktere Bezug haben. Die allgemeinſten, üblichſten und vom Gaunerthum re- cipirten Ausdrücke findet man im Wörterbuche.
Dreiunddreißigſtes Kapitel. ϑ. Die Tieflingſprache.
Seitdem der Materialismus angefangen hat, die Erzeugniſſe der Gewerbs- und Handelsarbeit mittels der rieſigſten Erfindun- gen des menſchlichen Geiſtes in ungeheuern Maſſen zuſammen- zuhäufen, hat auch die Verkehrsbewegung einen koloſſalen Maß- ſtab angenommen und ſchreitet mit Rieſenſchritten, welche des Raums und der Zeit ſpotten, durch die bei der krampfhaften Bewegung doch auch immer wieder verödende Welt, um End- punkte zu finden, an welchen ſie erſchöpft ausruht, und wo Menſchen und Maſſen ſich künſtlich zuſammenhäufen und gerade in der ge- drängten Menge am fremdeſten durch- und gegeneinander ſich bewegen. Als trübes Surrogat für ſein daheim gelaſſenes häus- liches und Familienleben öffnen ſich an dieſen Stapelplätzen des Materialismus dem Ankömmling die weiten rieſigen Hotels mit dem längſt ſpurlos verwiſchten Charakter alter Hospitalität, an deren Schwelle nicht einmal mehr der Eigenthümer durch ſeine bloße perſönliche Erſcheinung ſtillſchweigend Schutz und Anhalt
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ſie mit Abſtraction von der concreten Perſönlichkeit ſehr oft zu all-
gemeinen Begriffen nivellirt werden, und in welchem ſie auch dem
Gaunerthum zur beliebigen Auswahl zu Gebote ſtehen und wirk-
lich oft gewählt werden, ſodaß man bei Analyſe eines Gauner-
worts oft genug auf eine beſtimmte Perſönlichkeit geführt wird,
welche mit nichts weniger als mit dem Gaunerthum zu ſchaffen
gehabt hat, wie das beſonders auch bei der Sprache der lieder-
lichen Dirnen in den Bordells und beſonders in der engliſchen
Gaunerſprache bei dem rhyming slang der Fall iſt, z. B.: Sir
Walter Scott iſt a pot, a pot of beer; Tommy O’Rann iſt
scran, Volksausdruck für foot. Beiſpiele aus der deutſchen Sol-
datenſprache oder Bordellſprache ſind nicht füglich aufzuführen, da
ſie ſtets auf concrete und zumeiſt auf öffentliche Charaktere Bezug
haben. Die allgemeinſten, üblichſten und vom Gaunerthum re-
cipirten Ausdrücke findet man im Wörterbuche.
Dreiunddreißigſtes Kapitel.
ϑ. Die Tieflingſprache.
Seitdem der Materialismus angefangen hat, die Erzeugniſſe
der Gewerbs- und Handelsarbeit mittels der rieſigſten Erfindun-
gen des menſchlichen Geiſtes in ungeheuern Maſſen zuſammen-
zuhäufen, hat auch die Verkehrsbewegung einen koloſſalen Maß-
ſtab angenommen und ſchreitet mit Rieſenſchritten, welche des
Raums und der Zeit ſpotten, durch die bei der krampfhaften
Bewegung doch auch immer wieder verödende Welt, um End-
punkte zu finden, an welchen ſie erſchöpft ausruht, und wo Menſchen
und Maſſen ſich künſtlich zuſammenhäufen und gerade in der ge-
drängten Menge am fremdeſten durch- und gegeneinander ſich
bewegen. Als trübes Surrogat für ſein daheim gelaſſenes häus-
liches und Familienleben öffnen ſich an dieſen Stapelplätzen des
Materialismus dem Ankömmling die weiten rieſigen Hotels mit
dem längſt ſpurlos verwiſchten Charakter alter Hospitalität, an
deren Schwelle nicht einmal mehr der Eigenthümer durch ſeine
bloße perſönliche Erſcheinung ſtillſchweigend Schutz und Anhalt
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/161>, abgerufen am 24.11.2024.
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