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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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seine Kraft abklären wollte, um diese seine Kraft zu beherrschen
und zu erhalten. Nur die kurzsichtigste Einseitigkeit beschränkt den
Begriff der Zunftsprache auf die dürre Bezeichnung technischer
Begriffe und Thätigkeiten; nur diese Einseitigkeit findet solche Be-
zeichnung roh und abgeschmackt, da sie nicht bedenkt, daß Begriff
und Wort eine erste kindliche Entstehung hatten, und daß die Bei-
behaltung der unveränderten, unbefangenen alten Form gerade
ein frisches Zeichen von der Gewalt des Geistes ist, welcher
diese Formen schuf und erhielt, bis die zur Wahrung des
Kunst- und Zunftgeheimnisses geheim gehaltenen Begriffe, Zeichen
und Losungsworte zuerst von der ängstlichen Reichsgesetzgebung
in politischer Hinsicht verdächtigt, in neuerer Zeit durch Heraus-
treten der mechanischen, physikalischen und chemischen Wissenschaften
auf der Folie gelehrter Kunstausdrücke lächerlich gemacht und durch
das von der Gewerbefreiheit mächtig geförderte Emporwuchern
eines proletarischen vagabundirenden Handwerksburschenthums mit
aller polizeilichen Strenge überwacht und gemaßregelt wurden.
Gerade aber diese specifische Zunft- oder Handwerkersprache, als
bedeutsames Zeugniß für die innere Kräftigkeit und Sittlichkeit
der Zünfte, sollte nicht so obenhin angesehen werden. Der als
Mitglied der Familie seines Lehrmeisters aufgenommene Lehrling
wurde, nachdem er die großen Cardinaltugenden des socialpoliti-
schen Lebens, Zucht, Ordnung und Gehorsam, gelernt und geübt
hatte, zum Gesellen gesprochen und der Geselle angewiesen, durch
Wandern seine Kenntnisse und Geschicklichkeit zu erweitern. Mit
jener sittlichen Ausrüstung ging er in die Fremde und kehrte als
geschickter, kenntnißreicher Arbeiter zurück. Er brachte das Beste
mit, und das Schlechte, wenn er es nicht schon auswärts als
solches erkannt und gemieden hatte, konnte er nicht in das reine
Sittenleben der zünftigen Familie zurücktragen. Der in der
Fremde verdorbene Ankömmling wurde gemieden und ausgestoßen.
Wenn es ja einen Absolutismus in den Zünften gab, so war es
der Absolutismus der strengen Sittlichkeit. Der Luxus mit seinen
entsittlichenden Consequenzen ist Folge des Handels und ging,
wenn überall in alle socialpolitischen Schichten, doch am spätesten

ſeine Kraft abklären wollte, um dieſe ſeine Kraft zu beherrſchen
und zu erhalten. Nur die kurzſichtigſte Einſeitigkeit beſchränkt den
Begriff der Zunftſprache auf die dürre Bezeichnung techniſcher
Begriffe und Thätigkeiten; nur dieſe Einſeitigkeit findet ſolche Be-
zeichnung roh und abgeſchmackt, da ſie nicht bedenkt, daß Begriff
und Wort eine erſte kindliche Entſtehung hatten, und daß die Bei-
behaltung der unveränderten, unbefangenen alten Form gerade
ein friſches Zeichen von der Gewalt des Geiſtes iſt, welcher
dieſe Formen ſchuf und erhielt, bis die zur Wahrung des
Kunſt- und Zunftgeheimniſſes geheim gehaltenen Begriffe, Zeichen
und Loſungsworte zuerſt von der ängſtlichen Reichsgeſetzgebung
in politiſcher Hinſicht verdächtigt, in neuerer Zeit durch Heraus-
treten der mechaniſchen, phyſikaliſchen und chemiſchen Wiſſenſchaften
auf der Folie gelehrter Kunſtausdrücke lächerlich gemacht und durch
das von der Gewerbefreiheit mächtig geförderte Emporwuchern
eines proletariſchen vagabundirenden Handwerksburſchenthums mit
aller polizeilichen Strenge überwacht und gemaßregelt wurden.
Gerade aber dieſe ſpecifiſche Zunft- oder Handwerkerſprache, als
bedeutſames Zeugniß für die innere Kräftigkeit und Sittlichkeit
der Zünfte, ſollte nicht ſo obenhin angeſehen werden. Der als
Mitglied der Familie ſeines Lehrmeiſters aufgenommene Lehrling
wurde, nachdem er die großen Cardinaltugenden des ſocialpoliti-
ſchen Lebens, Zucht, Ordnung und Gehorſam, gelernt und geübt
hatte, zum Geſellen geſprochen und der Geſelle angewieſen, durch
Wandern ſeine Kenntniſſe und Geſchicklichkeit zu erweitern. Mit
jener ſittlichen Ausrüſtung ging er in die Fremde und kehrte als
geſchickter, kenntnißreicher Arbeiter zurück. Er brachte das Beſte
mit, und das Schlechte, wenn er es nicht ſchon auswärts als
ſolches erkannt und gemieden hatte, konnte er nicht in das reine
Sittenleben der zünftigen Familie zurücktragen. Der in der
Fremde verdorbene Ankömmling wurde gemieden und ausgeſtoßen.
Wenn es ja einen Abſolutismus in den Zünften gab, ſo war es
der Abſolutismus der ſtrengen Sittlichkeit. Der Luxus mit ſeinen
entſittlichenden Conſequenzen iſt Folge des Handels und ging,
wenn überall in alle ſocialpolitiſchen Schichten, doch am ſpäteſten

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[118/0152] ſeine Kraft abklären wollte, um dieſe ſeine Kraft zu beherrſchen und zu erhalten. Nur die kurzſichtigſte Einſeitigkeit beſchränkt den Begriff der Zunftſprache auf die dürre Bezeichnung techniſcher Begriffe und Thätigkeiten; nur dieſe Einſeitigkeit findet ſolche Be- zeichnung roh und abgeſchmackt, da ſie nicht bedenkt, daß Begriff und Wort eine erſte kindliche Entſtehung hatten, und daß die Bei- behaltung der unveränderten, unbefangenen alten Form gerade ein friſches Zeichen von der Gewalt des Geiſtes iſt, welcher dieſe Formen ſchuf und erhielt, bis die zur Wahrung des Kunſt- und Zunftgeheimniſſes geheim gehaltenen Begriffe, Zeichen und Loſungsworte zuerſt von der ängſtlichen Reichsgeſetzgebung in politiſcher Hinſicht verdächtigt, in neuerer Zeit durch Heraus- treten der mechaniſchen, phyſikaliſchen und chemiſchen Wiſſenſchaften auf der Folie gelehrter Kunſtausdrücke lächerlich gemacht und durch das von der Gewerbefreiheit mächtig geförderte Emporwuchern eines proletariſchen vagabundirenden Handwerksburſchenthums mit aller polizeilichen Strenge überwacht und gemaßregelt wurden. Gerade aber dieſe ſpecifiſche Zunft- oder Handwerkerſprache, als bedeutſames Zeugniß für die innere Kräftigkeit und Sittlichkeit der Zünfte, ſollte nicht ſo obenhin angeſehen werden. Der als Mitglied der Familie ſeines Lehrmeiſters aufgenommene Lehrling wurde, nachdem er die großen Cardinaltugenden des ſocialpoliti- ſchen Lebens, Zucht, Ordnung und Gehorſam, gelernt und geübt hatte, zum Geſellen geſprochen und der Geſelle angewieſen, durch Wandern ſeine Kenntniſſe und Geſchicklichkeit zu erweitern. Mit jener ſittlichen Ausrüſtung ging er in die Fremde und kehrte als geſchickter, kenntnißreicher Arbeiter zurück. Er brachte das Beſte mit, und das Schlechte, wenn er es nicht ſchon auswärts als ſolches erkannt und gemieden hatte, konnte er nicht in das reine Sittenleben der zünftigen Familie zurücktragen. Der in der Fremde verdorbene Ankömmling wurde gemieden und ausgeſtoßen. Wenn es ja einen Abſolutismus in den Zünften gab, ſo war es der Abſolutismus der ſtrengen Sittlichkeit. Der Luxus mit ſeinen entſittlichenden Conſequenzen iſt Folge des Handels und ging, wenn überall in alle ſocialpolitiſchen Schichten, doch am ſpäteſten

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/152>, abgerufen am 22.11.2024.