Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

geschiedenen socialpolitischen Gruppe ihr charakteristisch Geistiges
in der Zusammenstellung und Zusammenwirkung der einzelnen
zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Gan-
zen zu erkennen ist und in dieser Weise als Geist der ganzen
Gruppe auch wieder im einzelnen sich darstellt, welcher Geist eben
durch sein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt
und die ganze Gruppe mit der Außenwelt sowol in der eigenthüm-
lichen subjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven An-
schauung innig auch durch den einzelnen verbindet: steht der Berg-
mann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar seiner
Berufsgenossen durchgehends als isolirte Jndividualität da; er
trägt auch das Leben und Verständniß der Außenwelt nicht in
seiner Brust. Er hat nur einen Freund um sich, das Grubenlicht,
das ihm seine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung an-
weist und durch die tägliche monotone Wiederholung seine innere
und äußere Welt kaum weiter construirt, als seine Flamme leuch-
tet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremd-
artige Abstraction ist, in welche er sich wol hineinwagen, welche
er aber niemals voll begreifen und beherrschen kann, wenn er auch
die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde
und wilder Lust genießt: so ist auch sein inneres Leben ein dun-
keles, abgeschlossenes Geheimniß, in welches selbst die ausgelassenste
Heiterkeit sich immer wieder zurückflüchtet, welches höchstens in
Ahnungen zu lebendiger Regsamkeit sich erhebt, in trüben Aber-
glauben ausläuft und gegen diesen mit verzagter Frömmigkeit
sich waffnet. Daraus erklärt sich die auffallende Thatsache, daß,
so trübe bergmännische Erscheinungen auch hier und da aufgetaucht
sind, das Gaunerthum in seiner ganzen langen Geschichte keinen
einzigen Bergmann in seiner ungeheuern Jüngerschaft aufzuweisen
hat, mindestens keinen, der ein Koryphäe war, und daß nur wenige
bergmännische Ausdrücke sich schüchtern in die Gaunersprache hin-
eingewagt haben, wogegen einzelne, scheinbar specifische Gauner-
ausdrücke in der Bergmannssprache lediglich zufällige Aehnlichkei-
ten und fast durchgehends aus einer und derselben Stammwurzel
mit verschiedener Bedeutung herzuleiten sind, wie z. B. Kau,

geſchiedenen ſocialpolitiſchen Gruppe ihr charakteriſtiſch Geiſtiges
in der Zuſammenſtellung und Zuſammenwirkung der einzelnen
zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Gan-
zen zu erkennen iſt und in dieſer Weiſe als Geiſt der ganzen
Gruppe auch wieder im einzelnen ſich darſtellt, welcher Geiſt eben
durch ſein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt
und die ganze Gruppe mit der Außenwelt ſowol in der eigenthüm-
lichen ſubjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven An-
ſchauung innig auch durch den einzelnen verbindet: ſteht der Berg-
mann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar ſeiner
Berufsgenoſſen durchgehends als iſolirte Jndividualität da; er
trägt auch das Leben und Verſtändniß der Außenwelt nicht in
ſeiner Bruſt. Er hat nur einen Freund um ſich, das Grubenlicht,
das ihm ſeine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung an-
weiſt und durch die tägliche monotone Wiederholung ſeine innere
und äußere Welt kaum weiter conſtruirt, als ſeine Flamme leuch-
tet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremd-
artige Abſtraction iſt, in welche er ſich wol hineinwagen, welche
er aber niemals voll begreifen und beherrſchen kann, wenn er auch
die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde
und wilder Luſt genießt: ſo iſt auch ſein inneres Leben ein dun-
keles, abgeſchloſſenes Geheimniß, in welches ſelbſt die ausgelaſſenſte
Heiterkeit ſich immer wieder zurückflüchtet, welches höchſtens in
Ahnungen zu lebendiger Regſamkeit ſich erhebt, in trüben Aber-
glauben ausläuft und gegen dieſen mit verzagter Frömmigkeit
ſich waffnet. Daraus erklärt ſich die auffallende Thatſache, daß,
ſo trübe bergmänniſche Erſcheinungen auch hier und da aufgetaucht
ſind, das Gaunerthum in ſeiner ganzen langen Geſchichte keinen
einzigen Bergmann in ſeiner ungeheuern Jüngerſchaft aufzuweiſen
hat, mindeſtens keinen, der ein Koryphäe war, und daß nur wenige
bergmänniſche Ausdrücke ſich ſchüchtern in die Gaunerſprache hin-
eingewagt haben, wogegen einzelne, ſcheinbar ſpecifiſche Gauner-
ausdrücke in der Bergmannsſprache lediglich zufällige Aehnlichkei-
ten und faſt durchgehends aus einer und derſelben Stammwurzel
mit verſchiedener Bedeutung herzuleiten ſind, wie z. B. Kau,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0148" n="114"/>
ge&#x017F;chiedenen &#x017F;ocialpoliti&#x017F;chen Gruppe ihr charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch Gei&#x017F;tiges<lb/>
in der Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung und Zu&#x017F;ammenwirkung der einzelnen<lb/>
zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Gan-<lb/>
zen zu erkennen i&#x017F;t und in die&#x017F;er Wei&#x017F;e als Gei&#x017F;t der ganzen<lb/>
Gruppe auch wieder im einzelnen &#x017F;ich dar&#x017F;tellt, welcher Gei&#x017F;t eben<lb/>
durch &#x017F;ein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt<lb/>
und die ganze Gruppe mit der Außenwelt &#x017F;owol in der eigenthüm-<lb/>
lichen &#x017F;ubjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven An-<lb/>
&#x017F;chauung innig auch durch den einzelnen verbindet: &#x017F;teht der Berg-<lb/>
mann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar &#x017F;einer<lb/>
Berufsgeno&#x017F;&#x017F;en durchgehends als i&#x017F;olirte Jndividualität da; er<lb/>
trägt auch das Leben und Ver&#x017F;tändniß der Außenwelt nicht in<lb/>
&#x017F;einer Bru&#x017F;t. Er hat nur einen Freund um &#x017F;ich, das Grubenlicht,<lb/>
das ihm &#x017F;eine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung an-<lb/>
wei&#x017F;t und durch die tägliche monotone Wiederholung &#x017F;eine innere<lb/>
und äußere Welt kaum weiter con&#x017F;truirt, als &#x017F;eine Flamme leuch-<lb/>
tet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremd-<lb/>
artige Ab&#x017F;traction i&#x017F;t, in welche er &#x017F;ich wol hineinwagen, welche<lb/>
er aber niemals voll begreifen und beherr&#x017F;chen kann, wenn er auch<lb/>
die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde<lb/>
und wilder Lu&#x017F;t genießt: &#x017F;o i&#x017F;t auch &#x017F;ein inneres Leben ein dun-<lb/>
keles, abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Geheimniß, in welches &#x017F;elb&#x017F;t die ausgela&#x017F;&#x017F;en&#x017F;te<lb/>
Heiterkeit &#x017F;ich immer wieder zurückflüchtet, welches höch&#x017F;tens in<lb/>
Ahnungen zu lebendiger Reg&#x017F;amkeit &#x017F;ich erhebt, in trüben Aber-<lb/>
glauben ausläuft und gegen die&#x017F;en mit verzagter Frömmigkeit<lb/>
&#x017F;ich waffnet. Daraus erklärt &#x017F;ich die auffallende That&#x017F;ache, daß,<lb/>
&#x017F;o trübe bergmänni&#x017F;che Er&#x017F;cheinungen auch hier und da aufgetaucht<lb/>
&#x017F;ind, das Gaunerthum in &#x017F;einer ganzen langen Ge&#x017F;chichte keinen<lb/>
einzigen Bergmann in &#x017F;einer ungeheuern Jünger&#x017F;chaft aufzuwei&#x017F;en<lb/>
hat, minde&#x017F;tens keinen, der ein Koryphäe war, und daß nur wenige<lb/>
bergmänni&#x017F;che Ausdrücke &#x017F;ich &#x017F;chüchtern in die Gauner&#x017F;prache hin-<lb/>
eingewagt haben, wogegen einzelne, &#x017F;cheinbar &#x017F;pecifi&#x017F;che Gauner-<lb/>
ausdrücke in der Bergmanns&#x017F;prache lediglich zufällige Aehnlichkei-<lb/>
ten und fa&#x017F;t durchgehends aus einer und der&#x017F;elben Stammwurzel<lb/>
mit ver&#x017F;chiedener Bedeutung herzuleiten &#x017F;ind, wie z. B. <hi rendition="#g">Kau,<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0148] geſchiedenen ſocialpolitiſchen Gruppe ihr charakteriſtiſch Geiſtiges in der Zuſammenſtellung und Zuſammenwirkung der einzelnen zum Ganzen als bezüglicher belebender Theile des lebendigen Gan- zen zu erkennen iſt und in dieſer Weiſe als Geiſt der ganzen Gruppe auch wieder im einzelnen ſich darſtellt, welcher Geiſt eben durch ſein collectives Leben eine Strömung nach außen gewinnt und die ganze Gruppe mit der Außenwelt ſowol in der eigenthüm- lichen ſubjectiven Thätigkeit als in der äußern objectiven An- ſchauung innig auch durch den einzelnen verbindet: ſteht der Berg- mann unten im Dunkel der Erde mitten unter der Schar ſeiner Berufsgenoſſen durchgehends als iſolirte Jndividualität da; er trägt auch das Leben und Verſtändniß der Außenwelt nicht in ſeiner Bruſt. Er hat nur einen Freund um ſich, das Grubenlicht, das ihm ſeine Arbeit und die Möglichkeit ihrer Bewältigung an- weiſt und durch die tägliche monotone Wiederholung ſeine innere und äußere Welt kaum weiter conſtruirt, als ſeine Flamme leuch- tet. Wie das Leben auf der Oberfläche der Erde ihm eine fremd- artige Abſtraction iſt, in welche er ſich wol hineinwagen, welche er aber niemals voll begreifen und beherrſchen kann, wenn er auch die gelegentlich gebotene Lebensfreude gern und oft mit Begierde und wilder Luſt genießt: ſo iſt auch ſein inneres Leben ein dun- keles, abgeſchloſſenes Geheimniß, in welches ſelbſt die ausgelaſſenſte Heiterkeit ſich immer wieder zurückflüchtet, welches höchſtens in Ahnungen zu lebendiger Regſamkeit ſich erhebt, in trüben Aber- glauben ausläuft und gegen dieſen mit verzagter Frömmigkeit ſich waffnet. Daraus erklärt ſich die auffallende Thatſache, daß, ſo trübe bergmänniſche Erſcheinungen auch hier und da aufgetaucht ſind, das Gaunerthum in ſeiner ganzen langen Geſchichte keinen einzigen Bergmann in ſeiner ungeheuern Jüngerſchaft aufzuweiſen hat, mindeſtens keinen, der ein Koryphäe war, und daß nur wenige bergmänniſche Ausdrücke ſich ſchüchtern in die Gaunerſprache hin- eingewagt haben, wogegen einzelne, ſcheinbar ſpecifiſche Gauner- ausdrücke in der Bergmannsſprache lediglich zufällige Aehnlichkei- ten und faſt durchgehends aus einer und derſelben Stammwurzel mit verſchiedener Bedeutung herzuleiten ſind, wie z. B. Kau,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/148
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/148>, abgerufen am 28.11.2024.