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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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belebte. Er betrachtet die Segel wie Lungen, durch welche das
Schiff athmet, um mit rüstiger Kraft durch das Wasser zu streichen.
Nichts ist dem Matrosen verhaßter als Windstille, die ihm als
ein höchst bedenklicher Zustand des Schiffs, als ein Marasmus
desselben erscheint und ihn selbst in tiefe, trübe Mitleidenschaft ver-
setzt, während er im Sturm mit Lebensgefahr die Segel refft oder
einzieht, um das in Leidenschaft gesetzte Schiff sich nicht übermäßig
anstrengen und Schaden leiden zu lassen.

Jn dieser eigenthümlichen Anschauung und Weise hat sich
denn auch die Schiffer- und Matrosensprache in höchst origineller
Weise ausgebildet. Wenn sie auch eine nicht geringe Menge zum
Theil fremder specifischer Kunstausdrücke sich angeeignet hat, so
verläßt sie doch durchaus nicht den Boden des Niederdeutschen.
Sie überträgt aus dieser Mundart eine Menge Begriffsausdrücke
auf das specielle Wesen, Leben und Treiben des Schiffs, deren
metaphorische Transpofition erst dann recht farbig hervortritt,
wenn sie in dieser sprachlichen Weise und Bedeutung durch den
Mund des Matrosen wieder in das bürgerliche Verkehrsleben zu-
rückgeführt und auf die verschiedensten Gegenstände und Begriffe
dieses Lebens angewandt wird. 1) Die Sprache erhält somit eine
zwiefache Bedeutsamkeit und ein erhöhtes Leben. Sie verdient

1) So nennt der Matrose alles, was tüchtig, gut oder stark ist, steif,
von gut gestrafftem Tauwerk; stif Eten, steifes, d. h. gutes Essen; stifen
Brannwin,
starker Branntwein; stifen Kenrl, kräftiger Mensch. Koi (Koje)
ist Quartier, Stube, Haus; stoppen, anhalten, warten; sweideln (schwe-
ben), taumeln; een an Backbord, eine Ohrfeige (Backbord ist die linke Seite
des Schiffs), weil gewöhnlich mit der rechten Hand nach der linken Wange des
Gegners geschlagen wird; Bonkspreet, Nase; Batterie, Mund; Vörsteven,
Brust; Spieren, Flossen, Arme und Beine; Stenrn, Achtersteven,
Gatt, Achtergatt,
Sitztheil; die schlanke Taille seines Mädchens ist scharpe
Snitt,
schlank scharp sneeden, Kuß Prüntje (ein Stück Kautaback),
küssen prüntjen; kalfatern coire, auch prügeln, besonders mit der Faust
u. s. w. Ueber die technische Terminologie der Seemannssprache gibt sehr um-
fängliche Nachweise J. H. Röding, "Allgemeines Wörterbuch der Marine in
allen europäischen Seesprachen, nebst vollständiger Erklärung (4 Bde., Ham-
burg und Hull, o. J.).

belebte. Er betrachtet die Segel wie Lungen, durch welche das
Schiff athmet, um mit rüſtiger Kraft durch das Waſſer zu ſtreichen.
Nichts iſt dem Matroſen verhaßter als Windſtille, die ihm als
ein höchſt bedenklicher Zuſtand des Schiffs, als ein Marasmus
deſſelben erſcheint und ihn ſelbſt in tiefe, trübe Mitleidenſchaft ver-
ſetzt, während er im Sturm mit Lebensgefahr die Segel refft oder
einzieht, um das in Leidenſchaft geſetzte Schiff ſich nicht übermäßig
anſtrengen und Schaden leiden zu laſſen.

Jn dieſer eigenthümlichen Anſchauung und Weiſe hat ſich
denn auch die Schiffer- und Matroſenſprache in höchſt origineller
Weiſe ausgebildet. Wenn ſie auch eine nicht geringe Menge zum
Theil fremder ſpecifiſcher Kunſtausdrücke ſich angeeignet hat, ſo
verläßt ſie doch durchaus nicht den Boden des Niederdeutſchen.
Sie überträgt aus dieſer Mundart eine Menge Begriffsausdrücke
auf das ſpecielle Weſen, Leben und Treiben des Schiffs, deren
metaphoriſche Transpofition erſt dann recht farbig hervortritt,
wenn ſie in dieſer ſprachlichen Weiſe und Bedeutung durch den
Mund des Matroſen wieder in das bürgerliche Verkehrsleben zu-
rückgeführt und auf die verſchiedenſten Gegenſtände und Begriffe
dieſes Lebens angewandt wird. 1) Die Sprache erhält ſomit eine
zwiefache Bedeutſamkeit und ein erhöhtes Leben. Sie verdient

1) So nennt der Matroſe alles, was tüchtig, gut oder ſtark iſt, ſteif,
von gut geſtrafftem Tauwerk; ſtif Eten, ſteifes, d. h. gutes Eſſen; ſtifen
Brannwin,
ſtarker Branntwein; ſtifen Kērl, kräftiger Menſch. Koi (Koje)
iſt Quartier, Stube, Haus; ſtoppen, anhalten, warten; ſweideln (ſchwe-
ben), taumeln; een an Backbord, eine Ohrfeige (Backbord iſt die linke Seite
des Schiffs), weil gewöhnlich mit der rechten Hand nach der linken Wange des
Gegners geſchlagen wird; Bōkſpreet, Naſe; Batterie, Mund; Vörſteven,
Bruſt; Spieren, Floſſen, Arme und Beine; Stērn, Achterſteven,
Gatt, Achtergatt,
Sitztheil; die ſchlanke Taille ſeines Mädchens iſt ſcharpe
Snitt,
ſchlank ſcharp ſneeden, Kuß Prüntje (ein Stück Kautaback),
küſſen prüntjen; kalfatern coire, auch prügeln, beſonders mit der Fauſt
u. ſ. w. Ueber die techniſche Terminologie der Seemannsſprache gibt ſehr um-
fängliche Nachweiſe J. H. Röding, „Allgemeines Wörterbuch der Marine in
allen europäiſchen Seeſprachen, nebſt vollſtändiger Erklärung (4 Bde., Ham-
burg und Hull, o. J.).
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[111/0145] belebte. Er betrachtet die Segel wie Lungen, durch welche das Schiff athmet, um mit rüſtiger Kraft durch das Waſſer zu ſtreichen. Nichts iſt dem Matroſen verhaßter als Windſtille, die ihm als ein höchſt bedenklicher Zuſtand des Schiffs, als ein Marasmus deſſelben erſcheint und ihn ſelbſt in tiefe, trübe Mitleidenſchaft ver- ſetzt, während er im Sturm mit Lebensgefahr die Segel refft oder einzieht, um das in Leidenſchaft geſetzte Schiff ſich nicht übermäßig anſtrengen und Schaden leiden zu laſſen. Jn dieſer eigenthümlichen Anſchauung und Weiſe hat ſich denn auch die Schiffer- und Matroſenſprache in höchſt origineller Weiſe ausgebildet. Wenn ſie auch eine nicht geringe Menge zum Theil fremder ſpecifiſcher Kunſtausdrücke ſich angeeignet hat, ſo verläßt ſie doch durchaus nicht den Boden des Niederdeutſchen. Sie überträgt aus dieſer Mundart eine Menge Begriffsausdrücke auf das ſpecielle Weſen, Leben und Treiben des Schiffs, deren metaphoriſche Transpofition erſt dann recht farbig hervortritt, wenn ſie in dieſer ſprachlichen Weiſe und Bedeutung durch den Mund des Matroſen wieder in das bürgerliche Verkehrsleben zu- rückgeführt und auf die verſchiedenſten Gegenſtände und Begriffe dieſes Lebens angewandt wird. 1) Die Sprache erhält ſomit eine zwiefache Bedeutſamkeit und ein erhöhtes Leben. Sie verdient 1) So nennt der Matroſe alles, was tüchtig, gut oder ſtark iſt, ſteif, von gut geſtrafftem Tauwerk; ſtif Eten, ſteifes, d. h. gutes Eſſen; ſtifen Brannwin, ſtarker Branntwein; ſtifen Kērl, kräftiger Menſch. Koi (Koje) iſt Quartier, Stube, Haus; ſtoppen, anhalten, warten; ſweideln (ſchwe- ben), taumeln; een an Backbord, eine Ohrfeige (Backbord iſt die linke Seite des Schiffs), weil gewöhnlich mit der rechten Hand nach der linken Wange des Gegners geſchlagen wird; Bōkſpreet, Naſe; Batterie, Mund; Vörſteven, Bruſt; Spieren, Floſſen, Arme und Beine; Stērn, Achterſteven, Gatt, Achtergatt, Sitztheil; die ſchlanke Taille ſeines Mädchens iſt ſcharpe Snitt, ſchlank ſcharp ſneeden, Kuß Prüntje (ein Stück Kautaback), küſſen prüntjen; kalfatern coire, auch prügeln, beſonders mit der Fauſt u. ſ. w. Ueber die techniſche Terminologie der Seemannsſprache gibt ſehr um- fängliche Nachweiſe J. H. Röding, „Allgemeines Wörterbuch der Marine in allen europäiſchen Seeſprachen, nebſt vollſtändiger Erklärung (4 Bde., Ham- burg und Hull, o. J.).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/145>, abgerufen am 24.11.2024.