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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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hat doch Nithart nicht für das Volk zu dichten beabsichtigt. Seine
Gedichte waren nur Spottgedichte, mit welchen er den Bauern-
stand dem Ritterthum gegenüber lächerlich zu machen suchte. Er
erhielt daher auch den Namen "Bauernfeind". Seine Gedichte
wurden im 15. und noch weit in das 16. Jahrhundert hinein
öfters gedruckt und vielfach mit andern Schwänken versetzt; sie
machten ihn zur mythischen Person und zu einem andern Eulen-
spiegel. Trotzdem fand seine Poesie keine weitere Nachahmung.
Die Volkspoesie überflutete und absorbirte auch diese platte und
geistlose Farce. Aber gegen das Ende des Mittelalters sieht man
plötzlich in Jtalien die kleinliche, selbstgefällige Verhöhnung des
tief daniedergedrückten Bauernstandes als vollendete Poesie und
poetische Gewöhnung d[fremdsprachliches Material] Fürsten und Edeln auftauchen. Die
Poesia villanesca oder contadinesca wurde von Lorenzo von
Medici dem Prächtigen selbst cultivirt. Sein Gedicht "Lode della
Nancia
" ist das älteste bekannte dieser Sorte. Nach ihm zeichneten
sich Luigi Pulci, Becca, Timeoni in dieser Dichtungsart aus,
deren Richtung Liebesgedichte und Liebeserklärungen in bäuerischem
Tone und bäuerischen Redensarten waren. Sie wurden meistens
in mehrern Ottaven abgefaßt und hatten, wenn sie nur eine Ottave
lang waren, den Namen Rispetti.

Jn Frankreich und Deutschland kam die Poesia villanesca
eigentlich in der Weise wie in Jtalien gar nicht auf, wenn auch
in Frankreich Antonius de Avena und vorzüglich der sehr interessante
Estienne Tabourot, dessen schon erwähnt ist und noch weiter Er-
wähnung gethan werden wird, diese Dichtung auszubeuten began-
nen. Man betrachtete in Frankreich und Deutschland den Bauern-
stand als integrirenden Theil des lebendigen Landwirthschafts-
inventars, ohne je Gedanken, Geist oder Poesie im Bauer oder
Bauernleben zu suchen und zu finden. 1) Der ungeheuere Druck

1) Doch kommt allerdings auch schon sehr früh eine Poesie vor, die man
eine villanesca nennen könnte, wenn man überhaupt um ihrer Entstehung
willen so entsetzliche Verse Poesie zu nennen wagen dürfte. Es sind dies jene
zahlreichen, kurzen, versificirten Parömien und Rechtsparaphrasen, welche wie
ein Hundehalsband den Bauer wie seinen Gebieter kennzeichnen. Dahin gehört

hat doch Nithart nicht für das Volk zu dichten beabſichtigt. Seine
Gedichte waren nur Spottgedichte, mit welchen er den Bauern-
ſtand dem Ritterthum gegenüber lächerlich zu machen ſuchte. Er
erhielt daher auch den Namen „Bauernfeind“. Seine Gedichte
wurden im 15. und noch weit in das 16. Jahrhundert hinein
öfters gedruckt und vielfach mit andern Schwänken verſetzt; ſie
machten ihn zur mythiſchen Perſon und zu einem andern Eulen-
ſpiegel. Trotzdem fand ſeine Poeſie keine weitere Nachahmung.
Die Volkspoeſie überflutete und abſorbirte auch dieſe platte und
geiſtloſe Farce. Aber gegen das Ende des Mittelalters ſieht man
plötzlich in Jtalien die kleinliche, ſelbſtgefällige Verhöhnung des
tief daniedergedrückten Bauernſtandes als vollendete Poeſie und
poetiſche Gewöhnung d[fremdsprachliches Material] Fürſten und Edeln auftauchen. Die
Poesia villanesca oder contadinesca wurde von Lorenzo von
Medici dem Prächtigen ſelbſt cultivirt. Sein Gedicht „Lode della
Nancia
“ iſt das älteſte bekannte dieſer Sorte. Nach ihm zeichneten
ſich Luigi Pulci, Becca, Timeoni in dieſer Dichtungsart aus,
deren Richtung Liebesgedichte und Liebeserklärungen in bäueriſchem
Tone und bäueriſchen Redensarten waren. Sie wurden meiſtens
in mehrern Ottaven abgefaßt und hatten, wenn ſie nur eine Ottave
lang waren, den Namen Rispetti.

Jn Frankreich und Deutſchland kam die Poesia villanesca
eigentlich in der Weiſe wie in Jtalien gar nicht auf, wenn auch
in Frankreich Antonius de Avena und vorzüglich der ſehr intereſſante
Eſtienne Tabourot, deſſen ſchon erwähnt iſt und noch weiter Er-
wähnung gethan werden wird, dieſe Dichtung auszubeuten began-
nen. Man betrachtete in Frankreich und Deutſchland den Bauern-
ſtand als integrirenden Theil des lebendigen Landwirthſchafts-
inventars, ohne je Gedanken, Geiſt oder Poeſie im Bauer oder
Bauernleben zu ſuchen und zu finden. 1) Der ungeheuere Druck

1) Doch kommt allerdings auch ſchon ſehr früh eine Poeſie vor, die man
eine villanesca nennen könnte, wenn man überhaupt um ihrer Entſtehung
willen ſo entſetzliche Verſe Poeſie zu nennen wagen dürfte. Es ſind dies jene
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[100/0134] hat doch Nithart nicht für das Volk zu dichten beabſichtigt. Seine Gedichte waren nur Spottgedichte, mit welchen er den Bauern- ſtand dem Ritterthum gegenüber lächerlich zu machen ſuchte. Er erhielt daher auch den Namen „Bauernfeind“. Seine Gedichte wurden im 15. und noch weit in das 16. Jahrhundert hinein öfters gedruckt und vielfach mit andern Schwänken verſetzt; ſie machten ihn zur mythiſchen Perſon und zu einem andern Eulen- ſpiegel. Trotzdem fand ſeine Poeſie keine weitere Nachahmung. Die Volkspoeſie überflutete und abſorbirte auch dieſe platte und geiſtloſe Farce. Aber gegen das Ende des Mittelalters ſieht man plötzlich in Jtalien die kleinliche, ſelbſtgefällige Verhöhnung des tief daniedergedrückten Bauernſtandes als vollendete Poeſie und poetiſche Gewöhnung d_ Fürſten und Edeln auftauchen. Die Poesia villanesca oder contadinesca wurde von Lorenzo von Medici dem Prächtigen ſelbſt cultivirt. Sein Gedicht „Lode della Nancia“ iſt das älteſte bekannte dieſer Sorte. Nach ihm zeichneten ſich Luigi Pulci, Becca, Timeoni in dieſer Dichtungsart aus, deren Richtung Liebesgedichte und Liebeserklärungen in bäueriſchem Tone und bäueriſchen Redensarten waren. Sie wurden meiſtens in mehrern Ottaven abgefaßt und hatten, wenn ſie nur eine Ottave lang waren, den Namen Rispetti. Jn Frankreich und Deutſchland kam die Poesia villanesca eigentlich in der Weiſe wie in Jtalien gar nicht auf, wenn auch in Frankreich Antonius de Avena und vorzüglich der ſehr intereſſante Eſtienne Tabourot, deſſen ſchon erwähnt iſt und noch weiter Er- wähnung gethan werden wird, dieſe Dichtung auszubeuten began- nen. Man betrachtete in Frankreich und Deutſchland den Bauern- ſtand als integrirenden Theil des lebendigen Landwirthſchafts- inventars, ohne je Gedanken, Geiſt oder Poeſie im Bauer oder Bauernleben zu ſuchen und zu finden. 1) Der ungeheuere Druck 1) Doch kommt allerdings auch ſchon ſehr früh eine Poeſie vor, die man eine villanesca nennen könnte, wenn man überhaupt um ihrer Entſtehung willen ſo entſetzliche Verſe Poeſie zu nennen wagen dürfte. Es ſind dies jene zahlreichen, kurzen, verſificirten Parömien und Rechtsparaphraſen, welche wie ein Hundehalsband den Bauer wie ſeinen Gebieter kennzeichnen. Dahin gehört

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/134>, abgerufen am 25.11.2024.