Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutschland unternahm, um bald ganz wieder zu verschwinden.
Gerade aber auch die jüdischdeutsche Sprache war es, welche aus der jüdischen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbalistischer Formen auf den deutschen Sprachboden überführte, von denen die Gaunersprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigen- thümlichen, sehr oft phonetisch belebten Abbreviaturen, verdienen diese wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das ist ganz besonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe Anzahl auf dem deutschen Volkssprachboden sich heimisch gemacht hat, sodaß sie häufig sogar aus deutschen Wurzeln entsprossen zu sein scheinen. Jhre Kenntniß ist um so wichtiger, als man nur mit ihr gerüstet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das unheimliche Gebiet der christlichen Zaubermystik mit ihren unge- heuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch sie selbst die Ueberzeugung gewinnt, daß diese Mystik und ihr Formelwesen für alle Zeiten ein wirres, düsteres Geheimniß bleiben wird und immer nur in einzelnen Bruchstücken begriffen werden kann, welche überall aus dem socialpolitischen Leben herausragen, wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandstätte, und welche das Gaunerthum zu seinen Zinken und betrügerischen Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets- und Polizeisprache doch noch nutzbar zu machen verstand.
Dieser in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre, wüste, seit vielen Jahrhunderten zusammengehäufte, mitten in das Volksleben und tief unter dessen Boden versenkte, in fortwähren- der ungeregelter Bewegung durcheinander geschobene und verschüt- tete Stoff lag vor, noch niemals untersucht, noch niemals be- arbeitet, nur von Pott in einzelnen hellen Hindeutungen hier und da beleuchtet, von jedem andern sogenannten Bearbeiter aber blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglich
Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutſchland unternahm, um bald ganz wieder zu verſchwinden.
Gerade aber auch die jüdiſchdeutſche Sprache war es, welche aus der jüdiſchen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbaliſtiſcher Formen auf den deutſchen Sprachboden überführte, von denen die Gaunerſprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigen- thümlichen, ſehr oft phonetiſch belebten Abbreviaturen, verdienen dieſe wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das iſt ganz beſonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe Anzahl auf dem deutſchen Volksſprachboden ſich heimiſch gemacht hat, ſodaß ſie häufig ſogar aus deutſchen Wurzeln entſproſſen zu ſein ſcheinen. Jhre Kenntniß iſt um ſo wichtiger, als man nur mit ihr gerüſtet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das unheimliche Gebiet der chriſtlichen Zaubermyſtik mit ihren unge- heuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch ſie ſelbſt die Ueberzeugung gewinnt, daß dieſe Myſtik und ihr Formelweſen für alle Zeiten ein wirres, düſteres Geheimniß bleiben wird und immer nur in einzelnen Bruchſtücken begriffen werden kann, welche überall aus dem ſocialpolitiſchen Leben herausragen, wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandſtätte, und welche das Gaunerthum zu ſeinen Zinken und betrügeriſchen Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets- und Polizeiſprache doch noch nutzbar zu machen verſtand.
Dieſer in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre, wüſte, ſeit vielen Jahrhunderten zuſammengehäufte, mitten in das Volksleben und tief unter deſſen Boden verſenkte, in fortwähren- der ungeregelter Bewegung durcheinander geſchobene und verſchüt- tete Stoff lag vor, noch niemals unterſucht, noch niemals be- arbeitet, nur von Pott in einzelnen hellen Hindeutungen hier und da beleuchtet, von jedem andern ſogenannten Bearbeiter aber blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0013"n="IX"/>
Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutſchland<lb/>
unternahm, um bald ganz wieder zu verſchwinden.</p><lb/><p>Gerade aber auch die jüdiſchdeutſche Sprache war es, welche<lb/>
aus der jüdiſchen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbaliſtiſcher<lb/>
Formen auf den deutſchen Sprachboden überführte, von denen die<lb/>
Gaunerſprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch<lb/>
immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigen-<lb/>
thümlichen, ſehr oft phonetiſch belebten Abbreviaturen, verdienen<lb/>
dieſe wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das iſt<lb/>
ganz beſonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe<lb/>
Anzahl auf dem deutſchen Volksſprachboden ſich heimiſch gemacht<lb/>
hat, ſodaß ſie häufig ſogar aus deutſchen Wurzeln entſproſſen zu<lb/>ſein ſcheinen. Jhre Kenntniß iſt um ſo wichtiger, als man nur<lb/>
mit ihr gerüſtet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das<lb/>
unheimliche Gebiet der chriſtlichen Zaubermyſtik mit ihren unge-<lb/>
heuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch<lb/>ſie ſelbſt die Ueberzeugung gewinnt, daß dieſe Myſtik und ihr<lb/>
Formelweſen für alle Zeiten ein wirres, düſteres Geheimniß bleiben<lb/>
wird und immer nur in einzelnen Bruchſtücken begriffen werden<lb/>
kann, welche überall aus dem ſocialpolitiſchen Leben herausragen,<lb/>
wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandſtätte, und<lb/>
welche das Gaunerthum zu ſeinen Zinken und betrügeriſchen<lb/>
Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets- und<lb/>
Polizeiſprache doch noch nutzbar zu machen verſtand.</p><lb/><p>Dieſer in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre,<lb/>
wüſte, ſeit vielen Jahrhunderten zuſammengehäufte, mitten in das<lb/>
Volksleben und tief unter deſſen Boden verſenkte, in fortwähren-<lb/>
der ungeregelter Bewegung durcheinander geſchobene und verſchüt-<lb/>
tete Stoff lag vor, noch niemals unterſucht, noch niemals be-<lb/>
arbeitet, nur von <hirendition="#g">Pott</hi> in einzelnen hellen Hindeutungen hier<lb/>
und da beleuchtet, von jedem andern ſogenannten Bearbeiter aber<lb/>
blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[IX/0013]
Sprachgebiet hielt, auch einen kurzen Uebertritt nach Deutſchland
unternahm, um bald ganz wieder zu verſchwinden.
Gerade aber auch die jüdiſchdeutſche Sprache war es, welche
aus der jüdiſchen Kabbala eine nicht geringe Menge kabbaliſtiſcher
Formen auf den deutſchen Sprachboden überführte, von denen die
Gaunerſprache gleichfalls eine wenn auch weniger bedeutende, doch
immer beachtenswerthe Zahl aufnahm. Wie die vielen eigen-
thümlichen, ſehr oft phonetiſch belebten Abbreviaturen, verdienen
dieſe wunderlichen Formen genaue Beachtung, da (und das iſt
ganz beſonders bei den Abbreviaturen der Fall) eine nicht geringe
Anzahl auf dem deutſchen Volksſprachboden ſich heimiſch gemacht
hat, ſodaß ſie häufig ſogar aus deutſchen Wurzeln entſproſſen zu
ſein ſcheinen. Jhre Kenntniß iſt um ſo wichtiger, als man nur
mit ihr gerüſtet hier und da einen vereinzelten Schritt auf das
unheimliche Gebiet der chriſtlichen Zaubermyſtik mit ihren unge-
heuerlichen Formeln wagen darf, obgleich man auch gerade durch
ſie ſelbſt die Ueberzeugung gewinnt, daß dieſe Myſtik und ihr
Formelweſen für alle Zeiten ein wirres, düſteres Geheimniß bleiben
wird und immer nur in einzelnen Bruchſtücken begriffen werden
kann, welche überall aus dem ſocialpolitiſchen Leben herausragen,
wie die noch rauchenden Trümmer einer weiten Brandſtätte, und
welche das Gaunerthum zu ſeinen Zinken und betrügeriſchen
Zauberformeln, die Politik aber zu ihrer geheimen Cabinets- und
Polizeiſprache doch noch nutzbar zu machen verſtand.
Dieſer in nur dürrer Skizze angedeutete ungeheuere wirre,
wüſte, ſeit vielen Jahrhunderten zuſammengehäufte, mitten in das
Volksleben und tief unter deſſen Boden verſenkte, in fortwähren-
der ungeregelter Bewegung durcheinander geſchobene und verſchüt-
tete Stoff lag vor, noch niemals unterſucht, noch niemals be-
arbeitet, nur von Pott in einzelnen hellen Hindeutungen hier
und da beleuchtet, von jedem andern ſogenannten Bearbeiter aber
blos noch mehr verwirrt und verdunkelt. Es war nicht möglich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/13>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.